Michael Nast schreibt über Alltagsbeobachtungen und trifft den Nerv einer von ihm selbst erschaffenen Generation: die der Beziehungsunfähigen.
Erster Stock links, Abteilung "Lebenshilfe". "Generation Beziehungsunfähig" steht in der Buchhandlung da, wo es der Autor selbst vermutlich nicht einsortiert hätte. Bei den Beziehungsratgebern. Dabei gibt er weniger Tipps, als dass er vielmehr über sein eigenes Liebesleben - und das von allerlei Freunden - schreibt.
"Die Welt" bezeichnet Michael Nast als "Sprachrohr" seiner Generation. Die Frage, welches seine Generation ist, wird nicht beantwortet. Es ist die Generation, die durch das Fühlen ist. Nast fühlt sich wie 29. Er sieht auch so aus, ist aber 42. Das entscheidende Detail: Er steht zu seinem Jahrgang, erwähnt aber seltener sein Geburtsjahr, sondern öfter, wie man sich halt so fühlt, so als Dreißiger, irgendwo zwischen den Jahren verwurzelt. Älter fühlen geht zwar auch, ist aber eine seltenere Erscheinung.
In "Generation Beziehungsunfähig" geht es vielmehr um all diejenigen, die entdecken, dass sie noch viel zu jung, viel zu gut ausgebildet, viel zu wenig faltig, viel zu wenig sesshaft, viel zu wenig erfolgreich, viel zu wenig richtig verliebt, ... sind.
"Zu wenig" für all die Dinge übrig haben, die ihre Eltern zu dieser Zeit schon getan haben: Heiraten, Kinderkriegen, Reihenhaus kaufen. Zu viel gibt es eigentlich nur von den Luxusproblemen.
Dates mit dem Handy
Zum Beispiel von den Möglichkeiten, heutzutage jemanden kennenzulernen. Elitepartner und Co. sind etwas für Spießer, bei denen die Ideale sowieso nicht mit der Werbung übereinstimmen, da sind sich die meisten einig. "Tinder" ist ein "Schmarrn" - so auch hier die Aussage der meisten, die man darauf anspricht. Aber ein solcher, den die "Generation Beziehungsunfähig" trotzdem ausprobiert. Nur mal zum Gucken. Und hat man sich die Dating-App mal probeweise runtergeladen, ist man fleißig am Tindern. Zwei Gedanken bestimmen das Wischen: "Es könnte noch was Besseres kommen." Und: "Es könnte mir ja etwas entgehen."
An die wirklich große Liebe glaubt dabei jedenfalls keiner. Schließlich weiß man, dass es nicht nur aufs Aussehen ankommt, wenn man es länger als eine halbe Stunde miteinander im Chat verbringen möchte. Um die eine wahre Liebe geht es gar nicht. Es geht ums Wild-Sein, Jung-Sein, Ich-Sein. Auf den 238 Seiten "Generation Beziehungsunfähig" vor allem auch ums Nast-Sein.
Das tut der Sache mit dem Ich-Sein aber kaum einen Abbruch. Denn selbst für diejenigen, die mehr oder weniger fest liiert sind, hat Nast in seinem Buch ein paar Sätze parat. Jeder, der dazugehören möchte, findet eine Alltagsgeschichte, die umgemünzt werden kann. Auf der Flucht vor dem Einheitsbrei droht die Gefahr, im "Anders-Sein-Wollen" gemeinsam zu versumpfen.
Nast erfindet weder die Generation noch die selbst gemachten Sorgen neu. Er hat sie schlichtweg zu Papier gebracht - beziehungsweise erst ins Internet und dann auf mehrere Seiten verteilt, weil das gedruckte Werk dann doch mehr Profit abwerfen kann. Und es wirft. Die "Generation Beziehungsunfähig" führt die "Spiegel"-Bestsellerliste in der Kategorie Sachbuch an.
Beziehungsunfähigkeit wird bei Nast nicht als eine Krankheit deklariert. Nicht als Störung. Vielmehr ist es eine bewusste Entscheidung. "Beziehungsunfähigkeit" als Zustand, bei dem das Gefühl überwiegt, allein besser dran zu sein als zu zweit.
All die schönen Dinge zu zweit - gemeinsam Kochen, Filmschauen, Sex und ab und an auch Kuscheln - sind ja trotzdem möglich, wofür sonst gibt es Begriffe wie "Mingle". Während sich das Wort aus "Mixed" und "Single" zusammensetzt, bleibt für den Gedanken, dass auch das Wort "Mangel" gar nicht so weit entfernt ist, keinen Raum. Was zählt: Freiraum.
Prioritäten setzen
Die Nast'sche Generation priorisiert anders: "Die Zeit, die ich normalerweise mit einer Freundin verbracht hätte, habe ich mit der Arbeit verbracht." Aber das ist nicht schlimm. Nicht so für die "Generation Beziehungsunfähig". Die Arbeit ist schließlich eine Berufung und Überstunden werden bei so manchem einem gemeinsamen Abendessen vorgezogen.
Das andere Extrem sind die, die völlig zufrieden sind mit dem, was sie erreicht haben und gerne jeden Abend in der Bar mit Freunden abhängen. Alles, bloß nicht daheim ein ödes Dasein fristen.
Das alles sind Entscheidungen, die auf Sorgen beruhen. Solche, die diese hervorbeschworene "Generation Beziehungsunfähig" plagen. Der Gedanke des Kompromisses scheint ausweglos. Was zählt, ist eben das Ich-Sein, das Wild-Sein, das Lebendig-Sein, alles, nur nicht Alt-Sein. Und trotzdem bloß nicht Allein-Sein.
Für all die, die durch ein Buch scrollen wie durch eine Facebook-Timeline, hat Nast die wichtigsten Sätze sicherheitshalber fett gedruckt. Reiht man alle Lebensweisheiten aneinander, ergibt sich daraus zwar kein Leitfaden fürs Beziehungsfähigsein, aber es kann passieren, dass man einen Aufschwung seiner selbst erfährt. Wenn Michael Nast noch so jung sein darf, dann darf ich das auch. Einfach mal leben, ob alleine oder zu zweit, das ist doch am Ende gar nicht mehr wichtig.
Was zählt? Das Ich-Sein, Jung-Sein, Zufrieden-Sein. Dann klappt es vielleicht auch mit der nächsten Beziehung. Wenn man sich überhaupt noch mal auf diese altmodische Konstellation einlässt ...