Auch in Franken verzichten Menschen ganzjährig auf Schuhe. Sie schwören auf die natürliche Form der Fortbewegung. Was treibt sie an und ist das gesund?
"Wenn schon joggen, dann richtig", denkt sich Stephan Schröder, als er 2008 mit dem Laufsport startet. Der Fürther legt sich teure Sportschuhe zu, doch nach kurzer Zeit sind sie plötzlich da, die höllischen Knieschmerzen. Schröder sucht nach Lösungen und findet Inspiration in dem Buch "Born to Run". "Ich war fasziniert von dem Gedanken, barfuß zu laufen."
Der heute 50-Jährige testet zunächst eng anliegende Zehenschuhe. "Mit diesen bin ich aber nie glücklich geworden." Als nächstes probiert er sogenannte "Luna Sandals" aus, auf den ersten Blick eine moderne Form von Sommersandalen. Die nutzt er heute noch, vor allem, wenn die Straßen im Winter voll von Salz und Split sind.
Ansonsten geht der 50-Jährige aber aus Überzeugung nur noch barfuß durchs Leben. "Auch beim Einkaufen war ich schon ohne Schuhe und Socken." Ein Schritt, der sich gelohnt hat.
"Die Knieschmerzen sind komplett weg", freut sich Schröder.
Durch Tauchbäder geheilt
Barfußläufer wie Schröder gelten immer noch als Exoten, aus medizinischer Sicht spricht aber Einiges für die "Unten ohne"-Variante. Bereits vor rund 130 Jahren empfahl Sebastian Kneipp, Priester und Hydrotherapeut, das Barfußgehen als "Naturarznei". Abgehärtete Füße würden zu einer abgehärteten Gesundheit führen.
Nachdem sich Kneipp durch eiskalte Tauchbäder von Tuberkulose selbst geheilt haben soll, beschäftigte sich der Schwabe mit der gesundheitsfördernden Wirkung von Wasserbädern. Kneipp verdanken wir die Popularität des Wassertretens, auch "Kneippen" genannt.
Der Gang durch kniehohes, unter 18 Grad kaltes Wasser soll kreislauf- und stoffwechselanregend wirken und das Immunsystem stärken.
Mediziner: langsam anfangen
Auch die heutigen Mediziner sind sich einig: Barfußlaufen kann durchaus gesundheitsfördernd sein - wenn man sich richtig fortbewegt. "Die Frage ist nicht, ob man barfuß läuft oder nicht, sondern wie man läuft", sagt beispielsweise der Evolutionsbiologe Daniel Lieberman von der Harvard Universität. Der Lauf-Fan fand in Tests heraus, dass durch das Barfußlaufen geringere Belastungen für den Bewegungsapparat und die Gelenke entstehen, weil man den Vor- und Mittelfuß wieder stärker belastet - ein Laufstil, den unsere Vorfahren praktiziert haben.
In Schuhen läuft der Mensch hingegen verstärkt auf der Ferse.
Häufig sind Fehlstellungen die Folge, die man durch eine Umstellung auf den Barfußlauf allerdings nicht ohne weiteres beheben kann. "Barfußlaufen trainiert den Fuß und hilft, solange es nicht schmerzt", erklärt Dieter Heller, Vizepräsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ärzte empfehlen deshalb keine radikale Umstellung. Besonders jene, die lange nicht mehr barfuß unterwegs waren, sollten langsam anfangen. Sonst bestehe die Gefahr von Überlastungs-Symptomen. Es mache zum Einstieg Sinn, in der Wohnung nur mal Strümpfe anzuziehen, sagt Heller.
Passanten feuern ihn an
Trotz der offenkundigen Vorzüge begegnet man Barfußläufern wie Stephan Schröder eher selten an der Supermarktkasse. Manchmal erntet der 50-Jährige deshalb auch unglaubwürdige Blicke.
Doch größtenteils sind die Rückmeldungen positiv: "Klasse, du läufst ja barfuß" oder "Daumen hoch" würden ihn die Passanten anfeuern. Der Mittelfranke ist von den positiven Auswirkungen überzeugt und würde seine Schuhe am liebsten ständig zu Hause lassen. "Berufsbedingt kann ich aber nicht immer barfuß laufen, da ich mich um Arbeitssicherheit in Unternehmen kümmere. Da muss ich Sicherheitsschuhe anziehen."
Sogar seine Frau hat Schröder mittlerweile überzeugt. Dennoch ist er im Alltag nicht missionarisch unterwegs. "Andere möchte ich nicht überzeugen. Das Barfußlaufen muss jeder für sich selber entdecken.
Ich denke, in unserer westlichen Welt gibt es da noch sehr viele Vorurteile."
Interview mit einem Barfußtrainer: "90 Prozent der Menschen sind verweichlicht"
Vor fast 27 Jahren zieht Burkhard Reinberg seine Schuhe aus und geht seither fast nur noch barfuß durchs Leben. Im Interview erklärt der Barfußtrainer, warum seine große Leidenschaft sein Leben verändert hat.
Herr Reinberg, die Frage muss erlaubt sein: Wie viele Schuhe besitzen Sie noch?Nicht mehr viele. Eigentlich lagern unsere Schuhe nur noch in Kartons im Keller und auf dem Speicher. Meine Frau und ich haben schon überlegt, die Schuhe zu spenden.
Sie konnten Ihre Frau also auch überzeugen? Zu Beginn nicht. Aber meine Frau hat lange über starke Migräneanfälle geklagt.
Irgendwann habe ich ihr gesagt: Probiert es doch mal aus. Seit 2008 sind die Anfälle weg.
Sind Sie überall barfuß unterwegs?Nein. Manchmal trage ich auch Schuhe. Aber ich würde nie sagen: Da gehe ich ohne Schuhe nicht rein. Ich war beispielsweise auch schon in der Semperoper in Dresden. Mit Anzug, aber eben mit nackten Füßen. Wir haben einfach erkannt, wie gut uns das tut. Für den Geist und den Körper. Ich war zuletzt vor 15 Jahren erkältet.
Klingt nach einer echten Heilungsmethode.Davon bin ich überzeugt. Auch aufgrund meiner persönlichen Geschichte. Zu meiner Bundeswehrzeit war ich Leistungssportler, hatte dann einen Bandscheibenvorfall. Ein Bundeswehrarzt hat damals zu mir gesagt: "Du musst mehr barfuß laufen." Das habe ich dann gemacht.
Mittlerweile bin ich schon fast 27 Jahre barfuß unterwegs.
Kritiker werden sagen: Das ist doch ein Einzelfall.Das ist es nicht. 98 Prozent der Menschen werden mit gesunden Füßen geboren. In Deutschland leiden aber über 65 Prozent an Fußerkrankungen und Begleiterscheinungen wie Knie- oder Rückenproblemen. Das hängt damit zusammen, dass wir zu häufig Schuhe tragen. Durch das Barfußgehen wird hingegen die Fuß-, Waden- und Beinmuskulatur gestärkt.
Trotzdem ist die Zahl der Barfußläufer vergleichsweise gering.Es ist immer noch eine Randerscheinung. Und die wird es leider auch bleiben. Das hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass wir ein gestörtes Verhältnis zu Füßen haben. Die meisten Menschen assoziieren mit nackten Füßen doch unangenehme Gerüche oder ein Gefühl von Ekel.
In der Öffentlichkeit ohne Schuhe und Socken zu laufen, hat deshalb etwas mit Überwindung zu tun.
Ab und zu sieht man sie aber doch.Das sind Menschen, die erkannt haben: Das tut mir gut. Es fällt natürlich auf, weil es immer noch sehr wenige sind. Aber der Mensch ist vier Millionen Jahre barfuß auf zwei Beinen unterwegs. Die vielen gesundheitlichen Probleme, die wir haben, hängen damit zusammen, dass wir ständig Schuhe tragen.
Viele dürften auch Angst vor den Reaktionen haben.Natürlich gibt es erstaunte Blicke, ich werde auch häufig angesprochen. Aber beschwert hat sich bisher keiner, da kommt eher die Frage: "Ist Ihnen nicht kalt?" Ich selbst bin auch nur einmal abgewiesen worden. Das war im Mainzer Dom, da hat ein Security-Mitarbeiter behauptet, ich würde mit dem Fußschweiß den Marmor kaputt machen.
Ich konnte einen der Verantwortlichen aber davon überzeugen, mich doch reinzulassen.
Ist im Winter Barfußlaufen überhaupt möglich?Die Frage höre ich immer wieder. Dabei wird die Durchblutung durch Socken und Schuhe gestört. Und dann bekommt man auch permanent kalte Füße. 90 Prozent der Menschen sind verweichlicht und haben Angst, krank zu werden. Dabei muss man sich nur bewegen. Auch barfuß bei kühleren Temperaturen. Nach kurzer Zeit merkt man schnell: Es ist gar nicht so kalt.
Welche Tipps haben Sie für Einsteiger?Sobald man zu Hause ist, sollte man erst mal raus aus den Schuhen. Man kann den Bewegungsradius dann langsam immer weiter ausdehnen.
Das Gespräch führten Christian Pack und Anna-Maria Höcht