Mehr und mehr Ortschaften sterben - Ist das fränkische Dorf überhaupt noch zu retten?

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Ein leerstehendes und teilweise verfallenes Wohnhaus Foto: Jens Büttner/dpa
Ein leerstehendes und teilweise verfallenes Wohnhaus Foto: Jens Büttner/dpa

Die vielen kleinen Ortschaften machen Franken erst lebenswert und liebenswert. Jetzt droht der Verfall oder ein Ausverkauf.

Unser Dorf soll schöner werden, unser Dorf hat Zukunft ... Es gibt viele Initiativen rund um das Dorfleben und unzählige Expertisen. Es ist viel die Rede von Leerständen und verödeten Ortskernen und vom demografischen Wandel. Ja, es wird viel geredet über die Dörfer, die Zukunft haben und (noch) schöner werden sollen. Und doch vor sich hin siechen.

Das Leben in den Städten boomt, auch in Franken. Wer sich die Kartenwerke anschaut, die die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung anschaulich machen, bekommt es mit der Angst zu tun: Die ländlichen Regionen in Franken verlieren massiv, die größeren Städte bleiben zumindest stabil, Zentren wie Nürnberg platzen aus allen Nähten. Die Jungen, die Erfolgreichen und die Reichen zieht es in die Stadt, zurück bleiben die Alten, die Verlierer. Ist das so? Wenn ja: Muss das sein?

Unser Dorf hat Zukunft. Das sagen selbst mit Blick auf die erschreckenden Zahlen die Experten, die es wissen müssen, beschäftigen sie sich doch im Deutschen Zukunftsinstitut genau damit. Die Zukunftsgucker bescheinigen dem Landleben mit Häuschen, Garten, Hund und Hühnern, heute (wieder) ganz auf der Höhe der Zeit zu sein.

Der "Cottage Trend" füllt die Zeitschriften-Regale. Das Ländliche ist ein Hit, für Haus- und Handgemachtes wird gutes Geld bezahlt, und die Gartenmesse lockt Massen ins ländliche Nirwana. Sie kommen, staunen, sie kaufen ein und fahren wieder heim.

Die jungen Kreativen, das schreibt Cornelia Kelber vom Zukunftsinstitut, sitzen im Büro am Bildschirm "und träumen vom eigenen Garten". Na prima! Garten mit Haus gibt es im Frankenland reichlich und günstig obendrein. Warum veröden dann so viele Dörfer, warum braucht es Leerstandsmanager? Warum stehen die Freunde des Landlebens nicht Schlange vor den alten Bauernhäuschen, packen an und verwirklichen sich ihren Traum?
"Die jungen Deutschen träumen vom Landleben, aber nur wenige ziehen wirklich da hin", konstatiert Frau Kelber. Das Häuschen im Grünen wird idealisiert und verklärt. Auch das Wagenrad an der Wand der Garage aus dem Katalog in der Neubausiedlung ist nur eine tote Reliquie des Landlebens. Landleben war und ist Arbeit.


Kartoffel oder Rübe?

Als die ersten Siedler vor 1300 Jahren nach Franken kamen, trotzten sie der Natur Stück für Stück mühsam den Lebensraum ab. "Cottage" war Wohn- und Arbeitsplatz, Mensch und Vieh wohnten unter einem Dach, der einzige beheizte Raum war die rauchige Küche. Der Garten war kein schönes Hobby, sondern die Lebensversicherung für den langen harten Winter mit seiner Kartoffeln-und-Rüben-Diät.

Gute alte Zeit? Über die Jahrhunderte war das Landleben armselig und hart. Und das Dorf? Naja. Noch Fotos aus den 1960er Jahren zeigen, dass das fränkische Landidyll alles andere als idyllisch war. Vergammelte Fassaden, verschachtelte Schuppen, staubige oder schlammige Straßen ... Wasser vom Brunnen und Abwasser in die Gosse. Nur als schwarz-weißes Foto ist das ansatzweise malerisch.

Aber: Diese Dörfer steckten voller Leben, auf der Straße oder, in besseren Zeiten, im Dorfwirtshaus spielte die Musik, wenn auf den Feldern und in den Ställen Feierabend war. Das muss man nicht verklären, aber das sind die Fakten aus der Zeit, als die Dörfer noch keine Schlafsiedlungen als Wurmfortsatz der Industriestädte waren.
Der Wandel setzte schon ein, als noch niemand über die Demografie nachdachte. Immer mehr Arbeitsplätze wanderten von der Landwirtschaft in die Industrie, vom Land in die Stadt. Man kann den Niedergang der traditionellen Landwirtschaft und das Ausbluten der Dörfer nicht trennen. Die wenigen Höfe sind immer größer geworden, so groß, dass sie aus dem Herzen des Dorfes an den Rand wandern mussten. Die Dörfer verlieren mit dem Bauernhof ihr Herz und ihre Seele. Die alten Höfe im Ortskern mit ihren Scheunen und den in den 60er und 70er Jahren auf das Grundstück gepferchten Maschinenhallen verwaisen. Selbst wenn es Liebhaber für solches Gerütsch gibt: Was soll man mit so viel Platz anfangen? Bauer werden vielleicht? Die Butter ist heute billiger als vor 50 Jahren, aber der Apfel von der Wiese am Ortsrand teurer als der Supermarkt-Import.

Die Dörfer hängen am Tropf der Städte, und vielen geht es nicht einmal schlecht dabei, noch nicht. Man kann in der Stadt gut verdienen und auf dem Land billig wohnen. Nur: Kann sich das Land, die Landgemeinde das auf Dauer leisten? Das Lebenserhaltungssystem, das Siedlungen wuchern und Straßen wachsen ließ, kollabiert.

Natürlich: Es gibt Förderprogramme, Zuschüsse, Beihilfen zuhauf, mit denen die große Politik das große Ziel zu erreichen versucht: gleiche Lebensbedingungen in der Stadt und auf dem Land. Aber Geld alleine ist es nicht, ganz abgesehen davon, dass es nicht reichen wird. Es gibt einen simplen Faktencheck, der viele Dörfer buchstäblich alt aussehen lässt. Die ländliche Infrastruktur stammt (ebenso wie die in den Städten) großteils aus den 70er und 80er Jahren, aus der Boom-Zeit, als die Dörfer wuchsen. Straßen und Kanäle, Wasser- und Stromleitungen, die Kläranlagen und die Straßenbeleuchtung sind in die Jahre gekommen, müssen erneuert werden.
Dafür gibt zumindest dann öffentliche Fördergelder, wenn man die Infrastruktur so weit verkommen lässt, dass es mit Reparatur nicht mehr getan ist, sondern ein Neubau ansteht. Viele Landgemeinden stehen wegen solcher Altlasten vor dem Ruin, selbst wenn sie das Schreckensinstrument Kommunalabgabengesetz virtuos anwenden, das die Anwohner bei solchen Bauprojekten zur Kasse bittet. In der Stadt funktioniert das noch, auch wenn sie von 50 000 auf 40 000 Einwohner schrumpft. Aber für 400 statt 500 Dorfbewohner wird das Landleben unbezahlbar. Kann es sein, dass Rentner ihr Sparschwein schlachten müssen, damit die Gemeinde eine Straße oder einen Kanal bauen kann?

Und die Finanzen sind nur eine Seite der Medaille. Es sagt nichts über Lebensqualität, wenn Wasser und Strom fließen. Wie bringt man Leben in die Dörfer? "Es wird Dörfer geben, die man aufgeben muss", sagt Philipp Oswald von der Stiftung Bauhaus in Dessau. Vielleicht wirkt diese Art von Pessimismus wie ein Weckruf. Vielleicht entsteht daraus eine ganz neue Art von Dorfwettbewerb, ein neues Bewusstsein für das Dorf, in dem die Menschen nicht einfach nur wohnen.

Ein Ort, wo man leben kann, weil er (wieder) voller Leben steckt. Das lässt sich schwerlich am grünen Tisch planen, und mit Förderrichtlinien und Verwendungsnachweisen lässt es sich nicht fassen. Das Dorf muss selbstbewusst werden. Es hat es verdient!



DAZU EIN KOMMENTAR VON UNSEREM REDAKTEUR Günter Flegel:

Leben auf dem Land: ganz schön robust!

Zu den Sonnenseiten des Landlebens gehört er ohne jeden Zweifel: der beste Freund des Menschen, Fiffi, Hasso oder wie auch immer. Man muss keinen Platz im Stadtpark buchen, um mit ihm Gassi zu gehen. Einfach durchs Pförtla raus in die Natur.
Zu den Schattenseiten des Landlebens gehört, dass Fiffi die Natur vor der Haustüre nicht für sich alleine hat. Schwanzwedelnd genießt der beste Freund den Duft der weiten Welt auf dem frisch geodelten Acker, wo er beschließt, dass er kein güldenes Fell mit dezentem Hundearoma haben möchte. Sondern nach gut abgehangenen Mistbatzen riechen will. Passend zum Gülle-Teint besteht Fiffis Frühstück aus Pferdeäpfeln und einem zunächst undefinierbaren Fetzen, der sich später als sterblicher Überrest eines vor Wochen dahin geschiedenen Hasen entpuppt, im Dauerfrost gut konserviert und vom schmelzenden Schnee wieder freigegeben. Landluft!
Ohne Zweifel: Fürs Landleben müssen man, frau und hund geboren sein, und auch der Zweibeiner tut gut daran, sich ein dickes Fell zuzulegen. Das gilt, wohlgemerkt, nicht für das pseudoromantische Landleben aus dem Baukasten für Doppelhausviertel. Ein bisschen Vorgarten und Carport da, ein bisschen Terrasse und Bodendecker dort. Allenfalls der Grill oder die Mülltonne des Nachbarn stinkt hier mal zum Himmel.
Das Landleben hat einen robusten Charme, wohl fühlt sich hier, wer anpacken kann, sich auch mal die Finger schmutzig machen will. Die Anpacker halten den Sportverein am Leben, weil sie am Sonntagnachmittag die Bratwürste grillen, die Feuerwehr, weil sie sich nachts um 3 aus dem Bett klingeln lassen, und den Landkindergarten, weil sie Kuchen backen.
Auch das sind sind die Aspekte des Landlebens, über die so mancher die Nase rümpft, auf die der Stadtmensch geringschätzig blickt. Aber: Auf dem Land, im Dorf funktioniert vieles, was in der Stadt mühsam bürokratisch organisiert werden muss. Fiffi fühlt sich jedenfalls wohler in dem kleinen Dorf als in dem großen, das sich Stadt nennt. Auf dem Land darf Mensch und Hund noch Mensch sein.