Tonnenweise giftiger Boden auf dem ehemaligen Sattler-Gelände

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In Schonungen geht die Sanierung des ehemaligen Sattler-Geländes in die heiße Phase. 110.000 Tonnen giftiger Boden werden ausgetauscht. Eine Kraterlandschaft entsteht.

Baustelle! Das Wort springt jedem ins Auge, der Schonungen besucht: im Internet. Die Gemeinde baut ihre Homepage um. In natura macht der Ort vor den Toren Schweinfurts auf den ersten Blick nicht den Eindruck, als wäre hier Außerordentliches im Gang. Und doch: Es ist Frankens größte Baustelle. Auf der aber nicht einmal gebaut wird.

Der Grund hört sich idyllisch an: Schweinfurter Grün. Das ist kein Stadtpark in Unterfranken, sondern eine riesengroße Sauerei unter der Erde. Giftgrün trifft's. Schonungen wurde auf Arsen und Blei gebaut.

Von der tickenden Zeitbombe ahnt man auch auf den zweiten Blick nichts, wenn man sich auf der B26 nähert und einen der wenigen von 7800 Einwohnern, die an diesem Wintertag auf der Straße sind, nach dem Weg zum Rathaus fragt. "Es geht wohl um Schloss Mainberg?", will die freundliche Dame noch wissen. Nein, geht es nicht, es geht um die zweite Altlast der Gemeinde, viel jünger und viel größer als das verfallende Kulturdenkmal.

Schlaflose Nächte

Altlasten. Ironischerweise hat damit ausgerechnet der bis vor kurzem noch jüngste Bürgermeister Deutschlands zu tun. Trotzdem ist nicht nur das Büro in dem modernen Verwaltungsbau aufgeräumt, sondern auch Stefan Rottmann (SPD) selbst: Der 26-Jährige ist nach "vielen schlaflosen Nächten" froh, dass ein Alptraum zu Ende geht.

Nach jahrelangem Stillstand und Rechtsstreit soll Schonungen Ende 2015 giftfrei sein. Da, wo jetzt keiner mehr wohnen will, entsteht ein neues Dorf. Das mit der Ironie geht weiter: Ausgerechnet ihrem größten Wohltäter hat die Gemeinde ihre größte Bürde zu verdanken. Wilhelm Sattler (1784-1859) wurde mit Tapeten und Farben reich. Er sammelte Kunstschätze an und engagierte sich sozial. Sein Verkaufshit war ein leuchtendes Grün, das nach dem Herstellungsort benannt wurde.

Weil er die Nachfrage nach dem Schweinfurter Grün Mitte des 19. Jahrhunderts kaum noch befriedigen konnte, baute Sattler in Schonungen eine neue Fabrik. Der schöne Schein: In den grünen Sälen wurden die Menschen bald krank, Napoleon soll an seiner Vorliebe für die grünen fränkischen Tapeten gestorben sein. Das Rezept für das Grün enthält Arsen, Cadmium, Blei, Kupfer. Ein Giftcocktail.

Deshalb wurde das Schweinfurter Grün nach einer kurzen Blütezeit verboten. Als Farbe. Landwirte und Winzer durften es aber noch lange als Pflanzenschutzmittel verwenden. Die Farbenfabrik geriet in Vergessenheit, in Schonungen entstand auf dem Gelände, elf Hektar groß, eine Siedlung. Als in den 90er Jahren die giftigen Hinterlassenschaften entdeckt wurden, machte sich Entsetzen breit: Das Ausmaß der Umweltverschmutzung überstieg alle Vorstellungen. Die Grenzwerte für die Giftstoffe im Boden werden an einigen Stellen um den Faktor 3000 überschritten.

110.000 Tonnen Erdreich sind so stark belastet, dass sie ausgegraben, in eine Deponie gebracht und durch saubere Erde ersetzt werden müssen. Das sind 80.000 Kubikmeter, ein Fußballplatz, 16 Meter tief. Das giftige Erbe betrifft öffentliche Flächen und 47 private Grundstücke mit 220 Einwohnern. Etliche Häuser müssen abgerissen und der Untergrund bis zu 15 Meter tief ausgebaggert werden. "Ein Riesenloch", sagt Rottmann. "Einige Häuser, die auf sauberem Erdreich fußen, stehen dann wie Inseln über dem Abgrund."

33 Millionen Euro kostet die Sanierung. Den Großteil trägt der Freistaat, der eine "Lex Sattler" beschließen musste, um die Gemeinde und ihre Bürger schonen zu können. Denn nach der Rechtslage gilt, da es Sattler und sein Unternehmen längst nicht mehr gibt, als "Zustandsstörer" der Grundstücksbesitzer.

13,33 Euro pro Quadratmeter

Bis zur Höhe des Grundstückswertes müsste ein Hausbesitzer für die Sanierung "bluten", was einer Enteignung gleichkäme. Deshalb hat der Staat die Kosten auf 13,33 Euro pro Quadratmeter gedeckelt. Die Gemeinde bekommt staatliche Beihilfen, um nicht an dem Gift von anno dazumal zu ersticken: 13 Millionen Euro. "Drei Millionen bleiben aber an uns hängen", sagt Rottmann. Die Homepage, die für Neu-Schonungen werben soll, ist billiger. Und diese Baustelle ist auch schneller abgeschlossen.