Todesfall in Wingersdorf: Staatsanwalt erkennt kein Fehlverhalten

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Nach dem Tod seines Vaters hatte Stefan Reichert Vorwürfe gegen Rettungsleitstelle und Bereitschaftsdienst erhoben.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Todesfall in Wingersdorf sind abgeschlossen, das Verfahren wurde eingestellt. "Die durchgeführten Ermittlungen haben keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Mitarbeitern der ILS (Integrierte Leitstelle) Bamberg-Forchheim oder des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns ergeben", heißt es in der Begründung der Staatsanwaltschaft. Für Stefan Reichert aus Wingersdorf enthält der Abschlussbericht "einige durchaus nachdenkenswerte, mitunter auch erstaunliche Aussagen".

An Abend des 4. März hatte Reicherts Mutter versucht, Hilfe für ihren kranken Mann zu bekommen, sowohl über den Notruf 112, als auch über die Nummer des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes, die 116 117. Als nach Stunden gegen 0.15 eine Ärztin in Wingersdorf eintraf, konnte sie nur noch den Tod des 78-Jährigen feststellen.

Im Bericht der Staatsanwaltschaft werden die Ereignisse dieser Nacht noch einmal beleuchtet. Als die Ehefrau des Verstorbenen um 21.28 Uhr in der Rettungsleitstelle anrief, berichtete sie zunächst von einem Gichtanfall wenige Tage zuvor, wegen dem ihr Mann bereits beim Arzt gewesen sei. Nun gehe es ihm schlecht, er könne nicht mehr laufen und gehöre ins Krankenhaus. Der Mitarbeiter der Rettungsleitstelle verwies die Frau an den ärztlichen Bereitschaftsdienst, unter dessen Nummer jedoch besetzt gewesen sei.

Als die Frau gegen 21.35 Uhr wieder in der Rettungsleitstelle anrief, sagte ihr der Mitarbeiter, sie müsse es weiter probieren. Ihre Frage, ob ein Mensch so einfach sterben könne, wertete der Disponent als provokante Aussage, die er nicht beantworte. Um 21.56 Uhr rief die Frau zum dritten Mal bei der Rettungsleitstelle an und erklärte, dass die Situation lebensbedrohlich sei und es sich nicht mehr um den Gichtanfall handeln könne. Nun stellte der Mitarbeiter der Rettungsleitstelle einen telefonischen Kontakt zum ärztlichen Bereitschaftsdienst her. Dort habe die Frau erklärt, "dass sie für ihren Mann einen Arzt benötige, weil er total schwach sei und nicht mehr laufen könne". Das ginge bereits seit Tagen so und sei nun ganz schlecht geworden. Die Mitarbeiterin des ärztlichen Bereitschaftsdienstes teilte ihr darauf mit, dass der Bereitschaftsarzt vorbeikommen werde. Die zuständige Ärztin wurde per SMS informiert, der Fall mit Priorität C, also nicht dringlich, gekennzeichnet. Freilich hatte die Ärztin zu diesem Zeitpunkt bereits einige andere Patienten mit gleicher Priorität auf ihrer Liste - weshalb sie es erst um 0.15 Uhr nach Wingersdorf schaffte. Nach der Obduktion der Leiche kommt nun ein rechtsmedizinisches Gutachten zum Ergebnis, dass Stefan Reicherts Vater durch Verbluten nach innen aus Speiseröhren- und Magenschleimhautgeschwüren verstorben ist. Wann die Blutungen genau einsetzten, sei nicht mehr zu bestimmen.

Der zuständigen Bereitschaftsärztin könne laut Staatsanwaltschaft kein Fehlverhalten zur Last gelegt werden, weil sie von der niedrigsten Prioritätsstufe C ausgegangen sei. Auch den Mitarbeitern von Rettungsleitstelle und Ärztlichem Bereitschaftsdienst könne nicht angelastet werden, dass sie die Situation nicht zutreffend eingeschätzt und nicht unverzüglich einen Notfalleinsatz in die Wege geleitet hätten.

Von einer akut lebensbedrohlichen Situation sei der Mitarbeiter der Rettungsleitstelle wohl auch nicht ausgegangen, weil die Ehefrau des Verstorbenen vom vorangegangenen Gichtanfall als Auslöser des aktuellen Gesundheitszustandes berichtet hatte und ihr Mann bereits in ärztlicher Behandlung gewesen sei.

Entscheidend für die Einstellung des Verfahrens ist laut Oberstaatsanwalt Otto Heyder auch die Feststellung im Sachverständigengutachten, nach dem "der Tod des Verstorbenen auch im Falle eines nach dem ersten Anruf ab etwa 21.30 Uhr eingeleiteten Notarzteinsatzes nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können". Für Stefan Reichert enthält diese Bewertung "einen Hauch von Zynismus, denn mit dieser Argumentation bräuchte man überhaupt keinen Rettungs- oder Bereitschaftsdienst mehr losschicken, weil immer eine Restwahrscheinlichkeit eines möglichen Ablebens bleibt".

Reichert forder t über den Fall seines Vaters hinaus Konsequenzen: "Wir können doch jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Man muss sich drauf verlassen können, dass der Rettungsdienst kommt, wenn man ihn braucht." Reichert erwartet, dass die Telefonisten, die darüber entscheiden, ob Rettungsdienst oder Bereitschaftsdienst losgeschickt werden, und auch mit welcher Dringlichkeit, über ausreichend medizinische Kenntnisse verfügen. Außerdem müssten diese Mitarbeiter so fragen können, dass sie auch medizinischen Laien die entscheidenden Informationen entlocken, "von genügend Empathie ganz zu schweigen".

Dass ihre Mitarbeiter "in der Regel durchaus die Gabe haben, auf Anrufer einzugehen", stellt Christine Feldbauer, Geschäftsführerin der Integrierten Leitstelle Bamberg-Forchheim, fest. "Unsere Disponenten sind sehr wohl geschult, sie kommen entweder aus dem Rettungsdienst oder der Feuerwehr und werden im jeweils anderen Bereich zusätzlich ausgebildet." Auch die Kassenärztliche Vereinigung hatte auf medizinisches Fachpersonal verwiesen, das die Anrufe unter der Nummer 116 117 entgegennehme und über das weitere Vorgehen entscheide.

Grundsätzlichen Reformbedarf in Sachen Notruf sieht ILS-Geschäftsführerin Feldbauer nicht: "Das System hat sich bewährt, wir haben jedes Jahr etwa 70 000 Dispositionen, die meist völlig geräuschlos ablaufen. Es ist immer tragisch, wenn etwas passiert, und ich verstehe auch, dass die Angehörigen dann nach Ursachen und Verantwortlichkeiten fragen."