Die Schweden sind ein tolles Volk - sehr offen und wahnsinnig hilfsbereit. So wurde ich gleich in der ersten Woche zum Geburtstag meines Vermieters eingeladen. Dort habe ich sehr viel Schwedisch gehört, aber nur sehr wenig verstanden - doch daran arbeite ich. Das Lesen geht schon recht gut.
Sie fühlen sich gut aufgenommen?
Definitiv. Ein weiteres Beispiel: Ich habe sogar schon einen Gastvortrag an der Universität hier in Östersund gehalten, den mir meine Vermieterin vermittelt hatte. Irgendwie alles sehr unkompliziert. Und auf der Loipe werde ich auch schon ab und zu erkannt, man grüßt sich. Es fühlt sich schon so an, als sei ich angekommen. Östersund ist ein bisschen wie Bamberg, eine kleine Universitätsstadt mit Charme. Ich fühle mich rundherum wohl.
Sie haben erst recht spät zum Langlauf gefunden. Ist das nicht ein großer Nachteil gegenüber den Skandinaviern?
Oh ja, das ist es ganz sicher. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Schweden mit Skiern an den Füßen geboren werden. Kürzlich habe ich wieder eine Familie gesehen, die mit ihren Kindern, die gerade einmal laufen konnten, auf Ski unterwegs war. Das hole ich niemals auf, ich bekomme aber viele Tipps, um meine Technik zu verbessern. Neulich wurde ich beim Training von Britta Johansson Norgren überholt. Sie ist die wohl beste Langstreckenlangläuferin der Welt. In den paar Sekunden, in denen sie mich überholt hat, konnte ich wahnsinnig viel mitnehmen - allein beim Zuschauen. Das alles hilft mir hoffentlich weiter auf meinem Weg.
Bevor Sie Ende März beim Nordenskiöldsloppet starten, folgt einige Wochen zuvor noch der Wasalauf in Südschweden über 90 Kilometer. Er ist mit 16 000 Teilnehmern das weltgrößte Skirennen. Laufen Sie nicht Gefahr, es zu übertreiben?
Nein, ich denke, das passt ganz gut. Danach habe ich knapp vier Wochen, um mich zu regenerieren und mir den letzten Feinschliff zu holen. Das werde ich in Jokkmokk tun, wo ich direkt nach dem Wasalauf hinziehe. Der Wasalauf ist außerdem ein Muss, wenn man langlaufbegeistert ist. Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal Videos vom Start anzuschauen - ein wahnsinnig beeindruckendes Schauspiel, wenn fast 16 000 Menschen gleichzeitig starten. Das ist das Faszinierende, aber auch das Schreckliche an dem Rennen: Je weiter hinten man startet, desto länger steht man im Stau, desto größer ist die Gefahr, einen Stock zu brechen. Um das zu vermeiden, versuche ich mich über verschiedene Qualirennen in einer Startgruppe weiter vorn zu platzieren. Das erste von vier Rennen werde ich am 13. Januar bestreiten und dann einen Anhaltspunkt haben, ob und wie sich mein Training auszahlt.
Wie trainieren Sie, um 220 Kilometer auf Skiern durchzuhalten?
Am Stück werde ich sicher nie mehr als 100 Kilometer fahren, aber in der Summe versuche ich, bis zum Start in Jokkmokk zwischen 1500 und 2000 Kilometer abzuspulen. Ob es reicht? Ich hoffe es. Am Ende entscheidet der Kopf über Weiterfahren oder Aufgeben.
In welcher Zeit wollen Sie ankommen?
Die Zeit ist extrem abhängig von den Bedingungen. Fällt etwa Schnee, sind die Loipen deutlich langsamer, der Kraftaufwand höher. Letztlich ist das pure Ankommen in der maximal zulässigen Zeit von 30 Stunden schon wie ein Sieg. Jeder, der es unter 21:22 Stunden ins Ziel schafft, der Siegerzeit von 1884, wird mit einer Medaille honoriert. Das allein würde mich schon wahnsinnig glücklich machen.
Haben Sie Angst zu scheitern und das Rennen aufgeben zu müssen? Gescheitert wäre ich in meinen Augen nur dann, wenn ich das Rennen nicht beenden würde und mir vorwerfen müsste, nicht alles dafür getan zu haben. Wenn äußere Umstände dazu führen, das Rennen nicht beenden zu können, wäre das für mich natürlich frustrierend, da ich sehr viel investiert habe. Aber gleichzeitig kann mir diese Erfahrung niemand mehr nehmen, schon damit wäre diese Reise ein Erfolg. Und ja, ich habe Angst, das Rennen nicht zu beenden - damit wäre ich in guter Gesellschaft. 2018 haben von 350 Startern 121 Sportler das Ziel nicht erreicht. Aber mit negativen Gedanken möchte ich mich jetzt gar nicht beschäftigen.
Nach vier Wochen in Schweden: Bereuen Sie Ihre Entscheidung, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben?
Nein, ich bereue nichts. Ich würde es genauso wieder tun, es erweitert meinen Horizont enorm, die Trainingsfortschritte sind deutlich erkennbar. Das wenige Sonnenlicht ist weniger schlimm als gedacht, da ich eigentlich immer draußen bin, wenn es hell ist. Was ich allerdings etwas unterschätzt habe, ist der Aufwand, jeden Tag zu kochen. Da war es schon sehr entspannt, bei der Arbeit am Mittag einfach in die Kantine gehen zu können.
Der Blog von Carsten Unger
Carsten Unger verfasst einen umfangreichen Blog über sein Projekt, dort berichtet er ausführlich in Text und Bild über seine Zeit in Schweden, seine Erwartungen und Sorgen. Den Blog finden Sie unter https://mission220km.wordpress.com/