Vor 75 Jahren, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg. Beim Überfall auf Polen war das Bamberger Panzerregiment 35 dabei. Zeitzeugen erinnern sich an dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte, das sich auch auf Bamberg auswirkte.
Dient der Bamberger Ehrenfriedhof tatsächlich den Lebenden zur Mahnung? Ehren sie noch die 2600 Soldaten aus der Stadt, die zwischen 1939 und 1945 auf den Schlachtfeldern Europas gefallen sind?
Ruhe, tiefste Grabesruhe herrscht am Ehrenplatz mit dem Steindenkmal eines liegenden, verstorbenen Soldaten, an den Gruppen von Steinkreuzen und den im Boden angeordneten Steinplatten mit den Namen, Geburts- und Todesdaten von Wehrmachtssoldaten. Selbst die Vögel, die sonst so trostbringend in den Bäumen des Hauptfriedhofes zwitschern, fliegen anscheinend einen weiten Bogen um diese Stätte.
Blenden wir 75 Jahre zurück. Der 20. August 1939 ist ein Sonntag, die Große Marienprozession zieht aus der Oberen Pfarrkirche. Als sich die Spitze der Kapuzinerstraße nähert, prellt ihr ein von auswärts kommendes Panzerregiment in den Rücken. Die Prozession wird gesprengt, einzelne Gruppen drängen in die Seitengassen.
Nur wenige erreichen die Martinskirche und endlich wieder das Liebfrauenmünster am Kaulberg.
In den Kasernen rumorte es Acht Tage später der nächste Schlag: Jeder Bamberger Haushalt bekommt amtlich gestempelte Ausweiskarten als Bezugsscheine für Lebensmittel, Seife, Hausbrandkohle, Textilien. Merkblätter für den Luftschutz werden verteilt. Und während die Ämter und Parteidienststellen mit "vorbeugenden Maßnahmen" arbeiten, rumort es in den Kasernen: Alle aktiven Bamberger Regimenter wie das Kavallerieregiment 17 und das gesamte Panzerregiment 35 haben längst ihren Standort verlassen, die Verbliebenen müssen ihre Klamotten abgeben und dafür die erste "Mobgarnitur" (Mob = Mobilisierung) und eiserne Ration fassen. Auch die "Hundemarke" (Erkennungsmarke) wird ausgegeben. Dazwischen gibt es immer wieder Probealarme.
Dabei hat doch Reichskanzler Adolf Hitler stets öffentlich seine angeblichen Friedensabsichten betont.
Sollte die Bevölkerung nicht vorgewarnt sein? Hitler vergrößerte das Deutsche Reich schon vor 1939 mehr oder weniger "friedlich": 1936 ließ er die Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren. 1938 erfolgte - im damaligen Sprachgebrauch - der "Anschluss" Österreichs, dann wurden die Sudetendeutschen "heimgeholt" ins Reich. Nächstes Eroberungsziel ist Polen. Doch Großbritannien und Frankreich geben Garantien für Polen ab. Daraufhin schließt Hitler mit der Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag, den "Hitler-Stalin-Pakt". In einem geheimen Zusatzabkommen teilen Hitler und Stalin Polen bereits auf.
Der Angriff auf Polen ist längst vorbereitet: "Schon im Juli 1939 ist das Bamberger Panzerregiment 35 nach Neuhammer bei Oppeln in Schlesien verlegt worden", weiß der Gaustadter Andreas
Stenglein (85) nach intensiver Familienforschung. Sein entfernter Verwandter Hans Stenglein sei damals Oberstleutnant dieses Panzerregiments gewesen, das beim Angriff auf Polen am 1. September 1939 beteiligt war. Auch drei weitere Gaustadter, die er gut gekannt habe, hätten zu dem Panzerregiment 35 gehört. Dieses Regiment habe ebenfalls am 1. September bei Windenau (Wichrów) in der Nähe von Rosenberg (Olesno) die deutsch-polnische Grenze überschritten.
Gegen 7.30 Uhr seien die Panzer in die Gegend von Mokra gelangt und in einen größeren Kampf mit der wolynischen Kavallerie-Brigade unter Oberst Julian Filipowicz geraten. Der erste Verwundete sei sein Verwandter Hans Stenglein gewesen. "Zeitgleich mit dem Angriff im Norden Polens erfolgte der also auch im Süden, was oft nur verbrämt in der Geschichtsschreibung erwähnt wird", erklärt Andreas Stenglein.
Dies wolle er ins Bewusstsein rufen.
Erfundener Kriegsgrund Und auch, dass der Zweite Weltkrieg mit Lügen und einem erfundenen Kriegsgrund beginnt: Im Sommer 1939 bekommen SS-Kommandos einen Spezialauftrag: SS-Männer in polnischen Uniformen überfallen am 31. August 1939 den deutschen Radiosender Gleiwitz in Oberschlesien. Mitgebracht haben sie einen entführten Polen. Er wird vor Ort ermordet und liegengelassen - als fingierter Beweis für den angeblichen polnischen Angriff. Am 1. September 1939 um 4.45 Uhr feuert das deutsche Schulschiff "Schleswig-Holstein" bei Danzig auf polnische Verteidigungsanlagen. Bereits zwölf Minuten zuvor wird - 100 Kilometer östlich von Breslau - die polnische Kleinstadt Wielun bombardiert. 29 deutsche Stukas schalten erstmals ihre sogenannte Jericho-Trompete ein. Die Sirenen sollen den Gegner in Angst versetzen.
In der militärisch unbedeutenden Stadt sterben rund 1200 Menschen. Der Vernichtungskrieg hat begonnen.
"Die Begeisterung war seinerzeit groß", erinnert sich der langjährige Bürgermeister von Heiligenstadt, Johann Daum, noch genau an die ersten Septembertage 1939. Der 94-Jährige, der seit geraumer Zeit in Bamberg lebt, hört förmlich noch den Jubel seines damaligen Chefs - Kreisleiter der NSDAP im Kreis Ebermannstadt und Inhaber eines Baugeschäftes - über den Kriegsausbruch. Daums Vater dagegen - "der war rot bis in die Knochen" - habe den Krieg "auch öffentlich total verflucht und wurde dafür drei Mal eingesperrt".
"Mächtig geschimpft" Auch Prälat Hans Wich, 1929 in Bamberg-Bug geboren, weiß noch genau, dass sein Vater ebenfalls "mächtig auf die Nazis geschimpft hat". Besonders dann, als zehn Tage nach Kriegsbeginn schon das erste Opfer
in der Familie beklagt werden musste. "Mein Cousin Georg Rauh ist gleich in Polen gefallen", ist Wich die schlimme Todesnachricht in Erinnerung geblieben. Auch als damals zehnjähriger Bub sei ihm bewusst geworden, "was Krieg bedeutet". Zumal schon mit dem Abend des 1. Septembers 1939 in Bamberg die angeordnete Verdunkelung eintrat, und bald Schulen, das Priesterseminar und ein Teil des Krankenhauses Lazarett wurden.
Das "Bamberger Tagblatt" bringt am 2. September 1939 die Schlagzeile "Die Stunde der Entscheidung findet alle Deutschen zum Einsatz bereit". "Ernst und gefasst" habe die Bevölkerung Bambergs die "bedeutungsschweren Nachrichten aufgenommen, die wir gestern durch Sonderblätter verbreiteten". Es sei nicht "jene überschäumende Begeisterung von 1914" gewesen, so heißt es im Tagblatt weiter, "sondern der Ingrimm eines Menschen, in allen von uns, der nach unerträglich gewordener Schikane sich nun aufrichtet und entschlossen ist nach
langer Geduld dem Friedensstörer endlich zu zeigen, daß er nicht wehrlos ist, sondern zuschlagen kann".
Das "Bamberger Tagblatt" schlägt weiter auf seine propagandistische Weise zu, indem es sogar den heiligen Kaiser Heinrich für seine Zwecke vereinnahmt und ihn als "erfolgreichen Kämpfer" gegen Polenherzog Boleslaw bemüht: "Wir Bamberger aber können wahrhaft stolz sein auf den Gründer unserer Stadt und des Bistums. Heute, wo der Führer das Reich aus Ohnmacht und Schande wieder zu Größe und Ehre führt, erinnern wir uns dankbar unseres Kaisers Heinrich, der vor mehr als 900 Jahren ruhmvoll die gleiche Aufgabe löste."
Fürbitte für den Frieden Heute müsste jeder wissen, welchen "Ruhm" das Deutsche Reich erlangt hat: Im von Nazideutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieg verloren 60 bis 70 Millionen Menschen ihr Leben.
"Leiden, Qualen, Grausamkeiten, Hunger und Elend, Zerstörung und massenhafte Tötungen dieser Jahre sind unvorstellbar und unbegreiflich", sagt Erzbischof Ludwig Schick. Er ruft alle Pfarrer dazu auf, in den Gottesdiensten am 30. und 31. August eine Fürbitte für den Frieden zu beten, zum Beispiel: "Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Befreie alle Völker und Nationen von Krieg und Terror, schenke und erhalte unserer Welt den Frieden."
Erzbischof Schick bittet die Pfarrer ferner darum, am Montag, 1. September, um 19 Uhr die Glocken in ihren Kirchen zehn Minuten lang zu läuten, um ein Zeichen gegen jeden Krieg und für den Frieden zu setzen.
Am historischen Ort wird es ein gemeinsames deutsch-polnisches Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkriegs geben:
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw
Gadecki, werden am morgigen Sonntag, 31. August, in der Kathedrale von Gleiwitz einen Gottesdienst feiern. Danach findet eine Gedenkfeier am ehemaligen Radiosender Gleiwtz statt. Vertreter der evangelischen Kirche Polens und der jüdischen Gemeinschaft sowie der Bürgermeister der Stadt werden Gebete und Worte der Erinnerung vortragen.
Für Kardinal Marx ist die Versöhnung von Deutschen und Polen nach einer Geschichte der Gewalt sowie die gemeinsame Zukunft der Völker in einem geeinten Europa und der Beitrag der beiden Länder für eine friedliche, freiheitliche und solidarische Ordnung in der Welt Leitmotiv seines Besuches.
Am 1. September trifft er sich in Warschau mit Kardinal Kazimierz Nycz und besucht auch das Museum des Warschauer Aufstands.