Online-Saufspiel: Ein Bier, drei Nominierte, 24 Stunden

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Tobias Kalblitzer . Foto: Screenshot/Facebook
Tobias Kalblitzer . Foto: Screenshot/Facebook
Foto: Uni Bamberg
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Das neueste Netzphänomen ist ein Saufspiel, an dem ein fränkischer Bürgermeister partout nicht teilnehmen mag, obwohl er nominiert wurde. Warum so viele den Unsinn mitmachen, erklärt der Bamberger Psychologe Jörg Wolstein.

Vor etwa einer Woche stellte Carsten Joneitis (SPD) fest, dass sich auf seiner Facebookseite mal wieder ein neuer Internettrend ausbreitet. Es häuften sich Videos von Freunden, die ein Bier auf Ex tranken und drei andere nominierten, es ihnen binnen 24 Stunden nachzutun. Der Oberhaider Bürgermeister hoffte, dass es ihn nicht trifft. Wer nicht mitmacht, muss irgendwelche Strafen erfüllen, beispielsweise eine Kiste Bier ausgeben - und mit ewiger Schande im Netz rechnen. Am Dienstag wurde Joneitis nominiert. "Ich bin stark vernetzt mit der Jugend, ich will ja bürgernah sein", sagt er. Aber vor der Kamera saufen, das wollte er nicht. "Ich habe ja auch eine Vorbildfunktion!" Mittwoch postete er sein Video. Darin erklärt er, warum er nicht mitmacht - und erntete statt sozialer Ächtung Anerkennung. Gestern hatte der Beitrag schon 200 Likes.

Bier-Nominierung, Social Beer Game oder Neck Nominating wird das Internet-Trinkspiel genannt. Die einen finden's lustig, die anderen fürchten gleich um die Gesundheit der Jugend. Jörg Wolstein befasst sich als Psychologe wissenschaftlich mit Themen wie Alkohol und Medien, und er arbeitet in Projekten wie "Halt" an Prävention bei Kindern und Jugendlichen. Er findet es zwar ein "Unding", Alkoholkonsum auf Facebook zur Schau zu stellen, fordert aber einen gelassenen Umgang mit dem Phänomen. "Von einem Bier bekommt man ja keine Alkoholvergiftung." Problematischer sei Schnaps. "Ein unerfahrenes Mädchen trinkt das so schnell, dass sie schon ins Koma fällt, bevor sie sich betrunken fühlt", sagt der Bamberger Professor. Trotz solcher Extreme dürfe nicht übersehen werden, dass der Alkoholkonsum abgenommen hat und sich auch das Medienverhalten Jugendlicher weiterentwickelt. "Sie sind vorsichtiger geworden. Die meisten können gut unterscheiden, ob eine unsinnige Aktion ihnen später mal Probleme macht. Zum Beispiel, weil es ein Arbeitgeber sieht."

Besorgten Eltern empfiehlt Wolstein, den Kindern ihre Ängste zu erklären. Bloß nicht so tun, als gäbe es etwas wie das "Social Beer Game" nicht. "Eltern haben manchmal Angst, nicht die richtigen Antworten zu finden, weil sie selbst Alkohol konsumieren." Sie sollten einfach offen mit den Kindern reden und klare Regeln aufstellen.



Aber warum wird aus dem Trinken überhaupt ein Spiel? Oft ist es ein Wettbewerb, ein Kräftemessen. In vielen studentischen Burschenschaften hat Kampftrinken irgendwann echte Kämpfe ersetzt. "Viele Dinge sind in sozialen Gruppen stark ritualisiert", erklärt der Psychologe. "In Betrieben ist zum Beispiel oft üblich, dass eine Flasche Sekt geöffnet wird, wenn einer Geburtstag hat. Auch eine Art Trinkspiel." Bei Jugendlichen komme zum Ritual noch der Reiz, zu provozieren. "So zeigen sie der Welt, dass sie erwachsen werden." Und die Welt ist heute eben online vernetzt. "Deshalb müssen wir immer mehr mit solchen Phänomenen leben."

Skurrile Netztrends gab es inzwischen schon viele. Keiner hielt sich länger als ein paar Wochen. "Ich habe keine große Sorge, dass wegen dieses neuen Phänomens eine große Saufwelle beginnt", sagt Wolstein. Auch Bürgermeister Joneitis nimmt das Ganze nicht zu ernst. Weil er nicht mitgemacht hat, wird er regelgemäß eine Kiste Bier ausgeben. "Ich will ja kein totaler Spielverderber sein."


Online-Saufspiel
Vor der Kamera eine Halbe auf Ex trinken, dann drei Freunde nennen, die das nachmachen und binnen 24 Stunden das Video auf Facebook stellen: Der neueste Internettrend kombiniert Kettenbrief und Saufspiel - und verbreitet sich so extrem schnell. Ein Bürgermeisterkandidat macht damit sogar Wahlkampf: Der Schongauer Tobias Kalblitzer (ALS, Foto links) nominierte seine Gegenkandidaten und gelangte damit zu einiger Berühmtheit. Gestern sagte er aber, er bedauere die Teilnahme. Denn der Spaß kann gefährlich werden: In Irland sprang ein Jugendlicher nach dem Bier in einen Fluss. Er ertrank.


110 Liter...
...Bier trinkt laut Statistischem Bundesamt jeder Deutsche jährlich im Schnitt. Mitte der 1970er Jahre waren es gut 150 Liter, 1990 waren es noch mehr als 140 Liter. Insgesamt sinkt der Alkoholkonsum seitdem kontinuierlich; am stärksten ist der Rückgang beim Bier.


10 Liter...
...reinen Alkohols nimmt der Durchschnittsdeutsche laut Drogen- und Suchtbericht 2013 zu sich. Berechnet wird dies anhand des Alkoholgehalts der verkauften Getränke. Damit trinken 9,5 Millionen Deutsche mehr als empfohlen wird, 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängig. An direkten und indirekten Folgen übermäßigen Alkoholkonsums sterben jährlich 74.000 Menschen.


7,4 Milliarden Euro...
...kostet übermäßiger Alkoholkonsum das deutsche Gesundheitssystem laut Drogen- und Suchtbericht 2013 jedes Jahr.


Doppelt...
...so viele jugendliche Gewalttäter wie zehn Jahre zuvor waren in Bayern 2010 alkoholisiert, wie die Kriminologische Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei gestern meldete.


20 Prozent...
...der Jungs haben laut Kinder- und Jugendgesundheitssurvey mit elf Jahren schon einmal Alkohol getrunken; bei den Mädchen sind es zehn Prozent. Der regelmäßige Alkoholkonsum bei 12- bis 17-Jährigen ging laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 17,9 Prozent im Jahr 2001 auf 14,2 Prozent (2011) zurück.


Gegentrends
Kabarettist Ottfried Fischer sagt in seinem Video: "Man kann's mit Bier auch machen. Aber ich bin nominiert zum Scheißen. Und ich nominiere, wenn ich fertig bin, den Horst Seehofer." Kreative Ideen gibt's auch in Franken: Wie in all den anderen Videos kippt sich einer in einer Erlanger Brauschänke eine Halbe rein - dann ist zu sehen, dass es ein Alkoholfreies war. Und ein Kronacher regte zum Blutspenden an, statt andere zum Bierexen zu nominieren.