Was bleibt zurück, nachdem bei Events wie dem "Public Viewing" Massen auf dem Maxplatz abfeiern? Die Kehrseite der Spaßkultur erleben weitaus weniger Bamberger. So stoßen ihre Klagen meist auf Unverständnis.
"Natürlich sollen junge Leute Spaß haben. Den wollen wir ihnen nicht verderben", sagt Ulrike Beckstein. "Und doch graut mir und meinem Mann vor jedem Public Viewing, vor jedem Festival, nach dem aufgeputschte Grüppchen an unserem Haus vorbei lärmen, durch den Briefschlitz unserer Eingangstür pinkeln oder Flaschen gegen die Scheiben klirren lassen." Resigniert verfolgt die Mitinhaberin der gleichnamigen Bäckerei in der Langen Straße, welche Aggressivität Anwohnern entgegenschlägt, die angesichts des Vandalismus verzweifeln. "90 Prozent der Bamberger bekommen eben nicht mit, wie wir bis spät in die Nacht traktiert werden, nachdem Veranstaltungen auf dem Maxplatz oder am Gabelmann gegen 22 Uhr enden, die Nachwehen aber erst spürbar werden."
Wieder aufgeschoben
Wieder diskutierte der Stadtrat über die Bamberger Eventkultur. Während die Becksteins, die gleich über ihrem Kaffeehaus wohnen, neue Hoffnung schöpften. Wieder aber wurden Entscheidungen vertagt, aufgeschoben. Wer bringt sich schließlich freiwillig in die Schusslinie von Partyfans, die die drohende Vergreisung der Innenstadt anprangern? "Man lässt uns im Stich, Lärm und Vandalismus ausgesetzt, nachdem 126 Anwohner mit ihrer Unterschrift den Stadtrat schon 2011 um Unterstützung baten", meint Ulrike Beckstein.
Entscheidet das Mehrheitsprinzip darüber, inwieweit Partyterror zumutbar ist? Unerträglich wurde für Christiane Hartleitner am Gabelmann neben dem Lärm die "Blockadehaltung" gegenüber Anwohnern. "Sprüche wie ,locker bleiben, einfach mitfeiern‘ kamen, sobald ich das Lautstärkenproblem an entscheidender Stelle ansprach", berichtet die dreifache Mutter. Erst mit Hilfe eines Rechtsbeistands setzte die Anwohnerin beim Bluesfestival 2011 Lärmmessungen durch. Und tatsächlich erreichte sie die Senkung des Pegels, der sich davor mit 94 Dezibel noch gegen 23 Uhr im Motorsägen- und Schwerlastlärm-Bereich bewegte. "Unerträglich für mich und meine Familie, obwohl ich Musik quer durch die Sparten liebe und früher Auftritte von Straßenmusikanten gleich vor unserem Haus genoss." Nur seien früher parallel dazu keine Bierbänke und Getränkebuden aufgebaut worden, an denen das Partyvolk konsumiert, um anschließend alkoholisiert durch die Straßen zu ziehen. "Eine Gittertür schützt mittlerweile unseren Hauseingang leidlich vor Wildpinklern und anderen, die uns Essenreste, leere Flaschen, Erbrochenes und sogar Fäkalien hinterließen."
Bis in die frühen Morgenstunden
Von Pöbeleien, Streitereien und anderem Gegröle, mit dem "Schlachtenbummler" Obstmarkt-Bewohner nach Events bis in die frühen Morgenstunden "unterhalten", berichtet Reinhold Burger. "Längst haben wir Schallschutzfenster einbauen lassen, können in solchen Nächten aber dennoch nur mit Ohrstöpseln schlafen", berichtet der Diplom-Geograph. Überbleibsel des nächtlichen Treibens, das Festivals, Open Airs und anderen Events im Herzen der Stadt folgt: "Scherben, Erbrochenes, angebissene Pizzastücke, die an Wänden kleben", so Burger. Schilder würden hin und wieder weggerissen. Tja, und dann gibt‘s noch bleibende Erinnerungen wie Urinflecken vor einem Haus der Habergasse, "durch die man sich wegen des Gestanks morgens sowieso kaum traut." Bitter für die Nachbarin, die vergeblich versuchte, das Ekelobjekt zu beseitigen.
Nichts als weitere Querulanten, die keinen Spaß verstehen und die Partykultur im Herzen der Domstadt zu eliminieren suchen? Friedemann Haertl glaubt, dass Massenveranstaltungen dem Renommee Bambergs schaden und fordert angesichts des Welterbetitels "Qualität statt Quantität". Das würde zu keiner Verödung der Innenstadt führen, eine schleichende "Rothenburgisierung" als Folge von Events, die bei Touristen mehr als Einheimischen punkten, aber verhindern. Statt sich nach Festivals weiter über unliebsame Hinterlassenschaften des Partyvolks auf der Oberen Brücke zu ärgern, suchte der Gold- und Silberschmied übrigens das Weite. "Ja, Veranstaltungen wie ,Bamberg zaubert‘ gehörten zu den Gründen, warum ich in die Gärtnerstadt zog."
An die Polizei verwiesen
Großem Druck sieht sich mittlerweile Gisela Schlenker ausgesetzt, die als Sprecherin der "Lärm-AG" des Bürgervereins Bamberg-Mitte an vorderster Front steht. "Nachdem Anwohner bei der Stadt kein Gehör fanden oder gleich weiter an die Polizei verwiesen wurden, gründeten wir 2009 den Arbeitskreis ,Lärm‘. Und seither suchten rund 200 Betroffene unsere Hilfe, um in der Innenstadt wieder einigermaßen erträglich leben zu können." Dabei sei die Lautstärke nur ein Problem, neben dem eben Vandalismus, die Vermüllung und Verunreinigung von Hauseingängen mit Essensresten oder Exkrementen stünden. "Ältere ängstigen sich mittlerweile vor alkoholisierten Gruppen so, dass sie sich bei Veranstaltungen wie dem Public Viewing kaum mehr auf die Straße wagen."
Ausweichende Antworten
Natürlich wandte sich die Bürgervereinssprecherin an die Verantwortlichen. "Manchem waren die Hände gebunden. An anderer Stelle erhielt ich ausweichende Antworten oder Zusagen, die letztlich nicht gehalten wurden". OB Starke selbst teilte dem Bürgerverein im Januar 2011 mit, dass "keine weitere Übertragung von Sportgroßereignissen vor 2012 vorgesehen sei", woraufhin im Juni Basketball-Fans gleich zweimal zum "Public Viewing" auf dem Maxplatz anrückten.
Aber handelt es sich dabei nicht um wenige und somit zu vernachlässigende Ausnahmeveranstaltungen? "Ausnahmeveranstaltungen? Wie würden Partyfans, die Beschwerden von Anwohnern belächeln, wohl reagieren, wenn
ihre Scheiben eingeschlagen werden,
sie Exkremente von der Hauswand kratzen müssten oder nachts vor Prüfungen nicht schlafen könnten?" Auch in diesem Jahr sei wieder ein fünftägiges Weinfest auf dem Maxplatz geplant, zu dem im Sommer zahllose Busse anrollen, das siebentägige Blues- und Jazzfestival, "Bamberg zaubert" als dreitägige Veranstaltung und manches mehr, was Anwohner fürchten lernten.
Sondereinsätze der Ordnungshüter
Und die Polizei? Fuhr Sondereinsätze. So führte das "Eventjahr 2012" zu einer "erheblichen Zusatzbelastung", wie die Inspektion Bamberg-Stadt vermerkte. Im Vergleich zu 2007 seien die Einsatzstunden um rund 80 Prozent gestiegen, während sich die Zahl der Sondereinsätze von 362 auf 700 nahezu verdoppelte. Einen "Schwerpunkt" bildete "neben öffentlichen Großveranstaltungen dabei die polizeiliche Begleitung von Sportevents". Anders als die "Betreuung" der Landesgartenschau, die als "Grundlast" im Rahmen des täglichen Dienstes erfolgt sei.
Eine Verlegung von Großveranstaltungen auf die Jahnwiese, ins Fuchspark-Stadion oder die Stechert-Arena wünschen sich gestresste Anwohner. Nur ist das "Exil" für etliche Eventfans, die sich im Netz nach entsprechenden Vorschlägen empörten, keine Alternative. So sucht man weiterhin nach Lösungen, obwohl sich die Initiative "PartyNachtRuhe" im vergangenen Jahr aus keinem anderen Grund mit Vertretern der Stadt, Gastronomen, Bürgervereinsmitgliedern, dem Stadtmarketing und anderen Beteiligten gründete.
Man warb für ein harmonisches Miteinander, wie Gisela Schlenker berichtete. Nur sei es bei wohlklingenden Worten geblieben, dem kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner. "Davon mal abgesehen, dass man während der Fußball-EM eine symbolische ,Rote Karte‘ an alle verteilte, die durch rücksichtsloses Verhalten auffielen."
Die Kirche entfernt sich weiter von ihren Schäflein. Die Politiker weiter vom Wähler. Die Zeitung weiter vom Leser. Wenn man so berichtet alle mal! Es geht auch gar nicht darum einer Mehrheit oder Mindheit nach dem Mund zu reden. Die Zeitung sollte aber die Aufgabe habe, alle im gleichen Umfang zu Wort kommen zu lassen. Wo ist das Pro und Contra? Und nicht nur Aufschreiben, was die eine Seite einer Debatte zu vermelden hat. Die Recherchearbeit fehlt komplett. Die Landesgartenschau mit Public Viewing in Sachen Polizei-Arbeit zu vergleichen ist ein Witz. Wo bleibt die recherchierte Analyse, wer ist betroffen, wer profitiert, wie schlimm ist es wirklich in Vergleich zu anderen Städten? Was wären die Nachteile, wie haben sich andere Städte entwickelt. Der FT rennt zum Stadtrat hält dort das Mikro hin, oder zum nächsten Sprecher der Bewegung XY. Und dann selbstverliebt davon sprechen, daß doch die Stärke der Zeitung die lokale Nähe ist. Nähe zu wem?
Das wollte ich mit meinem unten stehenden Kommentar auch ausdrücken. Da ich beruflich mit Schall bzw. Schalldruck usw. in einem anderen Umfeld zu tun habe, ist mir halt aufgefallen, daß jemand sagt: 'Des is ober laud' - ja, ist recht, das ist aber so keine überprüfbare und meßtechnisch korrekte Aussage.
Die Gegendarstellung, die es ja auch geben muss, fehlt komplett.
@Wert 1212: Ich stimme vollkommen zu, daß Müll und Fäkalien generell zu viel sind, jeder kann seinen Müll mit nach Hause nehmen - geht ja auf den Bergen auch. Das Fäkalienproblem kriegt man leider mit Dixi's nicht in den Griff, weil's immer irgendwelche 'Wildsäu' gibt. Da muss dann die soziale oder öffentliche Kontrolle her.
Aus dem Artikel: 'Senkung des Pegels, der sich davor mit 94 Dezibel noch gegen 23 Uhr im Motorsägen- und Schwerlastlärm-Bereich bewegte'
Solche Aussagen sind natürlich leicht getroffen, aber dann müßte man schon auch dazu sagen, wie, was, wann und wo gemessen wurde. Glauben wir mal daß es dB (A) waren - aber wo gemessen, und mit was?
Weiteres zum Thema gibt's hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Bel_(Einheit)
Ich glaube jederzeit, daß es da laut ist, aber bitte etwas präziser berichten
Müll un Fäkalien sind auch relativ, besonders wenn ich es nicht weräumen muß.
http://www.bamigo-bamberg.net/ein-leserbrief-an-gisela-schlenker-zum-artikel-partyterror-larm-mull-fakalien-4236/
Aber wenn man dieses nicht besitzt, ist es wohl eher unklug, wenn man versucht ehemaligen Schwergewichten der Union nachzueifern. Ignoranz ist hier m.E. der falsche Ratgeber und auch einer Lokalpolitikerin unwürdig, ich würde mich schämen.
Wenn einem die Argumente ausgehen und man sogar befürchten muss, dass eigene Anhänger eine andere Meinung haben, dann löscht man eben und hofft die Sache auszusitzen, aber dafür braucht man wohl mehr politisches Schwergewicht