Die elfjährige Mia aus dem Bamberger Landkreis geht nicht aufs Gymnasium - obwohl sie könnte. In Bayern entscheiden vor allem drei Noten, an welcher Schule Viertklässler weiterlernen dürfen. Das ruft seit Jahren Kritiker auf den Plan.
"Irgendetwas mit Tieren." Genauer hat sich Mia noch nicht überlegt, was sie später einmal arbeiten will. Aber mit ihren elf Jahren hat die Schülerin aus dem Bamberger Landkreis noch Zeit. Zumal sie vor einem Jahr bereits eine wichtige Entscheidung getroffen hat: Wie soll es nach der Grundschule weitergehen? Aktuell stehen Zehntausende Viertklässler in Bayern vor der Frage, auf welche Schule sie wechseln. Was kann ich, was soll ich, was will ich? Antworten darauf geben nicht immer die Kinder selbst.
Gymnasium? Mittelschule? Realschule? Für Mia war die Sache klar: "Ich möchte nicht nur lernen, lernen, lernen - dafür habe ich zu viele Hobbys." Also entschied sie sich gegen das Gymnasium, obwohl sie formal gesehen die Eignung mitgebracht hätte. Sprich: Die Noten hätten gepasst. Ob sie später eine Bildungsschippe drauflegen, vielleicht sogar studieren will, möchte sie jetzt noch nicht festlegen.
In Bayern sind im Gegensatz zu anderen Bundesländern in erster Linie die Anfang Mai ausgegebenen Übertrittszeugnisse richtungsweisend für die weitere schulische Laufbahn. Wurden die Fächer Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachkundeunterricht im Schnitt nicht schlechter als 2,33 bewertet, ist der Weg fürs Gymnasium frei. Während das Bayerische Kultusministerium das Konzept des Freistaats als Erfolgsmodell anpreist, hagelt es auch Kritik.
"Noten messen Kompetenzen nur bedingt - sie lösen zudem Druck und Angst aus", sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Zumal Zensuren nur eine "scheinbare Objektivität" vortäuschten, so Simone Fleischmann. Um den Schnitt zu ermitteln, müssen die Kinder zwischen Weihnachten und April einen Prüfungsmarathon absolvieren, meint der BLLV. Und der überfordere die Kinder.
Mias Oma, selbst Rektorin einer Grundschule, bestärkt die Elfjährige, sich richtig entschieden zu haben. Auch weil die Familie schon gute Erfahrungen mit dem zweiten Bildungsweg sammelte. Mias Mama startete einst von der Mittelschülerin zur Hochschulabsolventin durch. Dass Kinder nicht aufs Gymnasium gehen, trägt für viele Eltern oft den faden Beigeschmack einer Niederlage. Der Druck auf Kinder und Eltern wächst. Auch auf die Lehrer: "Sie halten dem Druck kaum stand", sagt BLLV-Chefin Fleischmann. Viele lehnten sogar die Leitung dritter und vierter Klassen ab.
Petition gegen Notenzwang
Kritiker wie Gabriele Elsinger aus dem mittelfränkischen Eckenthal bemängeln, das Wohl der Kinder werde vernachlässigt, wenn die notenabhängige Schulempfehlung nicht abgeschafft wird. Sie gehört einer Bürgerinitiative an, die dafür eine Online-Petition gestartet hat. Auch der Bayerische Elternverband (BEV) kritisiert den Stellenwert der Notengebung. "Dass eine derart einseitige Sicht auf ein Kind so weitreichende Folgen nach sich zieht, ist nicht zufriedenstellend", moniert BEV-Vorsitzender Martin Löwe.
Zumal Abitur nicht zwingend für beruflichen Erfolg ist. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo ist stolz auf die hohe Durchlässigkeit des Schulsystems. Nur noch etwa die Hälfte aller Hochschulzugangsberechtigungen werden auf dem Gymnasium erworben. Dringend nötig, sagt Fleischmann: "Weil wir Kinder schon so früh trennen, muss unser System durchlässig sein. Sonst stranden wir." Während der Schulzeit ist die Wechselrate aber gering. Laut Bayerischem Bildungsbericht 2018 haben im Schuljahr 2015/16 nur 0,1 Prozent der Realschüler aufs Gymnasium gewechselt. Umgekehrt waren es 2,6 Prozent.