Eine Zehnjährige aus der Nähe von Bamberg schreibt gerade ihr erstes Buch: "Die Wolkenfabrik" heißt es und handelt von einer alten Fabrik, in der wundersame Dinge passieren. Die Idee dazu hatte Kira bei einer Autofahrt nach Erlangen.
Wenn Kira etwas Interessantes sieht oder erlebt, fängt es in ihrem Kopf an zu arbeiten. Das zehnjährige Mädchen mit den braunen Augen und der Glitzerspange im braunen Haar lebt in Memmelsdorf bei Bamberg und hat jede Menge Fantasie: Als sie vor ein paar Jahren mit ihrer Familie im Auto auf dem Weg in ein Erlanger Einkaufszentrum war, sah sie etwas, das ihr nicht mehr aus dem Kopf ging: "Wir sind an einer alten Fabrik vorbeigefahren", erzählt das Mädchen. "Die hatte lange Schornsteine, aus denen Rauch aufgestiegen ist. Der Rauch sah aus wie kleine Wolken."
Sie schreibt ihre Ideen sofort auf
Kira hatte damals ihre Schultasche dabei, holte ihr Handy raus und schrieb noch im Auto den Anfang ihrer Fantasy-Geschichte "Die Wolkenfabrik" auf. "In der Geschichte bin ich die Erzählerin. Meine Oma ist mit mir unterwegs zu einem großen Einkaufszentrum", erzählt Kira lächelnd. "Gegenüber vom Parkplatz steht eine alte, kaputte Fabrik, aus deren Schornsteinen kleine Wolken kommen."
Die Kira in der Geschichte quengelt so lange, bis ihre Oma ihr erlaubt, im Auto bleiben zu dürfen. "Aber natürlich tut Kira nur so. Sie fühlt sich von der alten Fabrik wie magisch angezogen." Die Kira in der Geschichte findet schließlich einen Eingang in das alte Gebäude. Drinnen sieht sie seltsame Maschinen und begegnet einem mürrischen alten Mann, der sie anschnauzt und sagt: "Kinder haben hier nichts zu suchen!" Das Mädchen in der Geschichte gehorcht dem Mann und verlässt die Fabrik. "Aber das alles geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Haben die Maschinen etwas mit den Wolken zu tun, die aus den Schornsteinen in den Himmel aufsteigen?"
In der Geschichte fahren das Mädchen Kira und ihre Oma ein weiteres Mal zum Einkaufszentrum. Wieder tut das Mädchen so, als würde es im Auto warten und geht stattdessen heimlich in die Fabrik. "Kira erfährt von dem alten Mann, dass die Wolken keine normalen Wolken sind", erklärt die "echte" Kira. "Sie enthalten die Träume der Menschen und nehmen sie mit in den Himmel." Wo sie natürlich in Erfüllung gehen sollen. So wie der Traum von Mohamed, einem jungen Flüchtling. Er wünscht sich so sehr, in einer Welt ohne Krieg leben zu können und zur Schule zu gehen. "Kira hilft ihm, seinen Traum als Wolke aufsteigen zu lassen."
Ausprobieren geht ganz einfach
Auch die "echte" Kira hat einen großen Traum: Irgendwann soll aus ihrer Geschichte ein richtiger Roman werden. "Und wenn man seinen Traum verfolgt - so wie ich mit meiner Geschichte - dann wird das auch irgendwann was!"
In ihrer Klasse durfte sie einen Teil ihrer Geschichte vorlesen. "Anschließend konnten mir die anderen Fragen stellen. Die schwierigste war: Wie komme ich auf so etwas?" Kira zuckt lachend mit den Schultern: "Das weiß ich auch nicht. Es fällt mir einfach ein und dann schreibe ich es auf! Natürlich lasse ich in die Geschichte Sachen einfließen, die ich in echt erlebe."
Kiras Tipp für alle, die das auch mal ausprobieren wollen: "Einfach machen! Man kann zum Beispiel drei Wörter nehmen: Paris, Box und Turm - und sich dann eine Geschichte dazu ausdenken", empfiehlt sie.
Die junge Autorin selbst macht das auch oft - sozusagen als Lockerungsübung, bevor sie an ihrer Geschichte weiterarbeitet. Und die wird gerade richtig spannend: "Die Wolkenfabrik ist nämlich in Gefahr. Und das Mädchen Kira muss eine schwere Entscheidung treffen", verrät Kira und zwinkert vielsagend. Sie hat schon eine tolle Idee, wie's weitergeht!
Das erste Kapiel von "Die Wolkenfabrik" von Kira Jahnel
Es ist Samstagnachmittag, meine Eltern sind noch arbeiten und ich bin bei meiner Oma.
Oma fährt mit mir immer in die nächstgrößere Stadt zum Einkaufen. Während wir also auf dem Weg zum Supermarkt sind, sehe ich aus dem Fenster im Auto. Wie schnell doch die Welt an mir vorbeizieht. In der Ferne erblicke ich eine wie ich glaube alte und heruntergekommene Fabrik. "Was mag das wohl für eine Fabrik sein?", frage ich mich und fasse den Entschluss, mir die Fabrik einmal etwas näher anzusehen. Zum Glück ist die Fabrik ganz in der Nähe des Einkaufszentrums, und so kann ich nach ein wenig Quengeln meine Oma überreden, im Auto warten zu dürfen, um mich dann heimlich still und leise aus dem Staub in Richtung Fabrik zu machen.
Sobald meine Oma außer Sichtweite war, renne ich über den Parkplatz und einen schmalen Feldweg entlang in Richtung der verlassen geglaubten Fabrik. Ich spüre mein Herz immer schneller pochen, immer näher komme ich an das alte Gebäude heran.
Kurz davor bleibe ich laut atmend stehen: Ob ich dort wirklich hineingehen soll? Was sich wohl dahinter verbirgt? Schwer schnaufend blicke ich durch das große Eisentor, das mich noch von der Fabrik trennt. Nur noch ein paar Meter und ich kann den Türgriff öffnen und sehen, was sich hinter dieser seltsamen Fabrik, die so anziehend auf mich wirkt, verbirgt. "Los Kira, fass jetzt allen Mut zusammen und geh die letzten Meter die verfallenen, moosbewachsenen Marmorstufen nach oben, dann hast du dein Ziel erreicht!", denke ich mir, fasse mir ein Herz und gehe vorsichtig die ersten Stufen hinauf. Ich strecke meine Hand aus und umfasse vorsichtig den gusseisernen Griff der Fabriktüre. "Huch? Was war das? Hat da nicht eben etwas im Gebüsch geraschelt?", sage ich flüsternd zu mir selbst und blicke mich dabei nach beiden Seiten um. Niemand ist zu sehen also drücke ich den kalten Griff nach unten und drücke so fest ich kann gegen die vermeintlich schwere Tür.
Die Tür springt mit lautem Knarren auf und ich purzelte beinahe mit einem Überschlag in die Vorhalle der großen Fabrik.
Hustend klopfe ich mir den Staub von der Kleidung und beginne mich umzusehen.
Der ganze Boden ist voll Staub und Spinnweben. Die Fenster haben schon lange keinen Putzlappen mehr gesehen und es roch nach Moder und etwas, was ich noch nie vorher gerochen hatte.
Ich ging etwas weiter in die Halle hinein und betrachtete die Maschinen. Große, kleine, mit Laufbändern und Rohren versehene Förderbänder waren da. Maschinen mit und ohne Räder, aber Moment mal... Ich betrachtete mir die Maschinen genauer und musste feststellen, dass hier etwas ganz und gar nicht in das Bild einer heruntergekommenen Fabrik passte. Staub am Boden, Staub am Fenster, doch die Maschinen sahen aus, als seien sie noch vor wenigen Minuten benutzt worden...
Plötzlich hörte ich lautes Stampfen und ein Räuspern hinter mir. Ich versuchte mich hinter einer der Maschinen zu verstecken, doch kaum hatte ich ein Versteck gefunden vernahm ich eine laute, sehr strenge Stimme: "Kinder haben hier nichts zu suchen!", schrie sie mich an. Langsam und voller Angst erwischt worden zu sein kroch ich aus meinem Versteck. Meine zittrigen Augen sahen einen großen alten Mann mitten in der Halle des Gebäudes stehen. Ich wusste nicht, was ich ihm entgegnen sollte, so begann ich zu stammeln: "Ich , ich, ich ... ", weiter ließ mich mein Kopf nicht kommen, denn dann erblickte ich, dass hinter dem Düsteren alten Mann kleine Menschen, fast wie Zwerge standen und alle Augen auf mich gerichtet waren. "Ich ahm .. ich .. ich wollte mich hier nur mal umsehen", stotterte ich schließlich.
Der alte Mann grinste hämisch und sprach mit strenger Stimme: "Das hier ist meine Wolkenfabrik! Wer bist du? Was willst du hier? Hier war schon seit vielen Jahren niemand mehr!"
Immer noch angespannt atmete ich laut hörbar auf und nickte dem Alten zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich nicht in seine Fabrik einbrechen wollte. Dabei ging ich langsam Schritt für Schritt rückwärts in Richtung Eingangstür, die sich hinter mir befand. Noch während ich hinter meinem Rücken die Eisenklinke spüren konnte schluckte ich schwer und entgegnete dem Mann: " Es, es ... es tut mir leid, ich geh schon wieder, ich ... ahm ich war nur ... nur neugierig."
Der Alte lachte und die kleinen Menschen ließen mich nicht aus den Augen. Ich öffnete die Türe und ging rückwärts hinaus.
Plötzlich stolperte ich die schiefe Marmortreppe hinunter und hab mir wohl dabei den Kopf gestoßen, denn das Nächste woran ich mich erinnern konnte war, dass ich wieder bei meiner Oma im Auto saß und sie mich lächelnd fragte: "Na, du bist wohl eingeschlafen?"
"Bin ich das? War das alles nur ein Traum? War ich wirklich in der alten Fabrik? ", dachte ich mir und lächelte meine Oma an, um mir nichts anmerken zu lassen. " Ja, Oma!", antwortete ich ihr um sie nicht zu beunruhigen. Dann blickte ich auf meine staubigen Hosenbeine und wischte leicht mit der Hand darüber, damit Oma nichts bemerkte.
Doch meine Oma ließ nicht locker als sie eine dicke Beule an meinem Kopf bemerkte. "Wo hast du die denn her, hm?", fragte sie mich bevor sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte.
Ich tastete langsam meinen Kopf ab, sagte aber nichts. "Wenn du mir nichts sagst, kann ich dir nicht helfen Kind", fuhr mich meine Oma an. "Ich war in der Fabrik", antwortete ich genervt von der Fragerei. "Was für eine Fabrik?", fragte Oma mich erneut. Ich wollte mir nichts mehr aus der Nase ziehen lassen und tat so als würde ich erschöpft einschlafen. Meine Oma durchschaute jedoch meine List und ließ nicht locker: "Du bist ganz schön starrköpfig!", sagte sie. Ich antwortete ihr nicht und schlief kurz darauf tatsächlich ein. Ich träumte von den Zwergenmenschen, den Maschinen und dem alten, grimmigen Mann. Dann hörte ich meine Oma fluchen: "So ein Mist! Der Tank ist leer!"
Oma rief den Abschleppdienst und nach einigen Minuten des Schweigens wurde ich das Gefühl nicht los, dass meine Oma genau wusste, was mir widerfahren war.
Plötzlich klopfte es an die Autoscheibe. Oma fuhr die Fensterscheibe herunter und der Mann grüßte sie freundlich mit den Worten: "Sie haben einen Abschleppdienst bestellt?"
Oma nickte und blickte in den Rückspiegel zu mir nach hinten auf die Rücksitzbank des alten Fords. Da überkam es mich: " WIE, DER MANN AUS DER FABRIK!", sagte ich laut und gut hörbar und biss mir dabei gleich auf die Lippen. "Mist!", dachte ich und hielt meine Hand vor den Mund.
"Was ist denn mit der los?", fragte der Mann mit verwirrtem Blick meine Oma. Diese blickte sich erneut nach mir um und antwortete: " Ach, Fieber, Grippe, vielleicht auch Masern, sie wissen ja wie die Jugend heutzutage ist, wenn sie krank ist!" Oma zwinkerte mir im Rückspiegel zu.
Der Mann befestigte den Abschlepphaken an unserem Ford und fuhr uns zur nächsten Tankstelle.
Nach einer endlos scheinenden Autofahrt, die wir schweigend verbrachten, waren wir endlich zuhause. Ich stieg aus und half meiner Oma die Einkäufe ins Haus zu tragen.
"Ich glaube, es ist besser, du legst dich noch eine Weile in dein Bett!", sagte Oma zu mir, nachdem alle Einkäufe verräumt waren. Ich gab keinerlei Widerworte und verzog mich, um Oma die sichtlich gereizt war, nicht noch mehr Gründe zum Sauer sein auf mich zu geben. Meine Gedanken kreisten um die Fabrik und darum, was meine Oma davon wusste. War sie selbst schon einmal in der Fabrik? Warum hat sie dem Mann vom Abschleppdienst so eine Lüge über mich erzählt?
Während ich so darüber nachdachte, musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen wieder öffnete, stand meine Mama vor mir und wollte mich mit zu uns nach Hause nehmen.
Ich zog mich an, verabschiedete mich von Oma und tat so, als sei nichts gewesen.
Zuhause verzog ich mich in mein Zimmer, denn auf nervende Elternfragen hatte ich jetzt genau so wenig Lust, wie die Fragen meiner Oma zu beantworten. Um nichts zu vergessen, notierte ich das heute Erlebte in mein Tagebuch und machte mich bettfertig.
Die nächsten Tage waren sehr merkwürdig: Ich hatte ab und an immer das Gefühl beobachtet zu werden. Dennoch versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Wann immer ich konnte, versuchte ich erneut in die Nähe der Fabrik zu kommen, es gelang mir jedoch nie näher als hundert Meter an die Fabrik zu gelangen.
Es gab Tage, da konnte man sehen, dass große, weiße Gebilde in den Himmel aufstiegen, genau an der Stelle, an der sich die Fabrik befand. "Das hier ist meine Wolkenfabrik!", hatte der alte, grimmige Mann gesagt. "Was ist denn eine Wolkenfabrik? Das hab ich noch nie gehört", dachte ich mir.
In den nächsten Tagen begannen meine Eltern das Haus weihnachtlich zu dekorieren. Hier ein Weihnachtsmann auf dem Kamin, dort ein Gebilde aus Äpfel und Zimtstangen, es roch nach Zimt und süßen Plätzchen. Ich fertigte meine Geschenkeliste und freute mich schon auf die Feiertage, vor allem, weil dann Schulferien sind, und ich hoffentlich wieder Zeit finden würde, näher an die Fabrik zu gelangen, wenn meine Eltern arbeiten müssen.
Oma schrie aus dem Flur: "Das Christkind war da !" Ich rannte die Treppe herunter und lachte: "Oma trink nicht so viel Punsch, bis Weihnachten sind es noch drei Tage." Während ich an der Küchentür vorbeilief, lief mir ein Schauer den Rücken herunter: War da nicht ein Wichtel aus der Fabrik in unserer Küche?
Ich schüttelte den Kopf und starrte Oma an, die allem Anschein nach, wirklich ein paar Gläser Punsch zu viel hatte. Sie schien den Wichtel nicht zu bemerken. Nach ein paar wilden Gesten machte sich der Wichtel auch schon wieder aus dem Staub. Ich konnte die Gesten des Zwergs nicht deuten und war heilfroh, dass er nun wieder verschwand. So musste ich wenigstens niemandem erklären, was ich gesehen hatte.
Heilig Abend. Ich wurde dieses Jahr wieder reich beschenkt: Eine neue Bettwäsche, ein Buch, ein paar Spiele für meine Playstation und mein ersehntes IPhone waren nur einige der vielen Geschenke. Wir sangen Weihnachtslieder und der Tannenbaum leuchtete mit meinen Augen um die Wette.
Plötzlich viel mir ein seltsames Glitzern zwischen all dem Geschenkpapier, das auf dem Wohnzimmerboden lag auf. Ich wühlte in den Papiermassen und spürte einen harten Gegenstand in meiner Hand. "Ein Anhänger!", sagte ich zu mir selbst. "Komisch, den hatte ich vorhin gar nicht bemerkt." Ich nahm ihn aus dem Papiermüll und steckte ihn in meine Hosentasche.
Meine Oma schien das trotz ihrer leicht angetrunkenen Art zu bemerken und zwinkerte mir zu.
Ich beschloss, meine Oma über den Anhänger etwas genauer zu befragen, doch sie wusste von nichts.
Der Anhänger war wie eine kleine Wolke geformt und sah sehr alt aus. "Alt, aber hochwertig", dachte ich mir und wünschte mir, nach der ganzen Reihe von komischen Gefühlen, die mich überkamen, nie in die alte Fabrik gegangen zu sein. Lange dachte ich darüber nach, wer mir wohl diesen Anhänger unter den Weihnachtsbaum gelegt haben könnte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Deshalb waren die Zwerge also in unserem Haus.
Vor Schreck ließ ich den Anhänger aus den Händen fallen. Er prallte auf den Boden und zersprang in feinen weißen Glitzerstaub. "Oh nein!", dachte ich und suchte nach Schaufel und Besen, um den Staub vom Boden weg zu kehren. Doch was war das? Sobald ich den glitzrigen Puderstaub auf der Schaufel hatte, formte sich, wie von Geisterhand, ein kleiner Schlüssel daraus. Auf dem Schlüssel befand sich eine Gravur: REIBE, REIBE UND ICH BEGLEITE.
Was das wohl zu bedeuten hatte? Ich schlich mich in mein Zimmer, um ungestört zu sein und begann den Schlüssel näher zu betrachten. Immer wieder rieb ich unbemerkt, wie von einer eigenartigen Kraft gelenkt, über den Schlüssel. Plötzlich knallte es! Ich erschrak und hatte Angst, dass meine Eltern oder Oma etwas bemerken würden. Es rauchte fürchterlich in meinem Zimmer und noch während der Rauch sich verzog, hörte ich, wie jemand die alte Holztreppe zu meinem Zimmer hinaufging und sah auch noch eine fremde Gestalt in meinem Zimmer stehen.
Ich bekam Panik und sah wie versteinert, wie jemand die Türklinke zu meinem Zimmer hinunter drückte. Die fremde Gestalt blickte mich an und ich deutete ihr, sich zu verstecken. In dem Moment öffnete sich auch schon meine Zimmertür und Oma stand, noch immer leicht beschwipst, unter dem Türstock. "Mit wem redest du denn?", fragte sie . "Ich habe Stimmen gehört!" Sie blickte mich immer noch fragend an. Ich musste handeln, hatte ja keine Wahl! Ich musste jetzt etwas unternehmen, ehe sie mir auf die Schliche kommt. Ich fasste mir ein Herz und ging auf sie zu, bevor sie noch einen Schritt mehr in mein Zimmer setzen konnte, drückte sie mit den Worten: "Das geht dich gar nichts an OMA!", aus dem Türstock und knallte ihr die Türe vor der Nase zu. "Na warte", sagte Oma, "das sage ich deinen Eltern! Die werden ein ernstes Wörtchen mit dir reden, mein Fräulein!" Wütend ging sie die Treppe hinunter.
Puh, da hab ich gerade noch eine größere Katastrophe verhindern können. Nun schlich sich auch die Gestalt aus dem Schlüssel wieder aus ihrem Versteck. "Du kennst die Wolkenfabrik,", sagte die Gestalt mit dunkler Stimme. Ich nickte vorsichtig, "die Zwergenmenschen und den alten Mann, der in der Fabrik wohnt?", fragte er weiter, während er mich von oben bis unten zu mustern schien. Abermals nickte ich. " Sie schicken mich zu dir! Du bist die einzige, die von ihrer Existenz weiß! Sie brauchen deine Hilfe!", sagte die Gestalt mit ruhiger Stimme.
Immer noch etwas verunsichert, ob ich nun träumte oder nicht, fragte ich den Fremden: "Wie soll ich ihnen denn helfen können?"
Die Gestalt erklärte mir, dass die alte Fabrik abgerissen werden soll und ich das um jeden Preis verhindern muss! Denn das würde etwas Schlimmes für uns alle bedeuten.
"Seltsam", dachte ich, "ich habe gar keine Angst vor der Gestalt." Zusammen überlegten wir uns eine List, wie wir die Abrissarbeiten verhindern könnten. Da hatte ich einen Gedankenblitz! Ich kramte nach einem Zettel und einem Stift und begann zu schreiben:
SEHR GEEHRTE DAMEN UND HERREN,
WIR BITTEN SIE INSTÄNDIG, DIE BAUARBEITEN AN DER ALTEN FABRIK NICHT WEITER FORT ZU FÜHREN, DA WIR GRUND ZU DER ANNAHME HABEN, DASS SICH AUF DEM GELÄNDE DER ALTEN FABRIK NICHT NUR SELTENE UND GESCHÜTZTE TIERARTEN BEFINDEN, SONDERN AUCH GESCHÜTZTE PFLANZENARTEN IHREN LEBENSRAUM GEFUNDEN HABEN.
MIT FREUNDLICHEN GRÜßEN
ROLAND KAISERSTAB GREENPEACE
Das sollte die Bauarbeiten bis zur genaueren Überprüfung erst einmal aufhalten und uns etwas mehr Zeit verschaffen.
Gesagt getan, den Brief noch schnell ausdrucken in ein Kuvert, dann Briefmarke darauf und ab in die Post!
Am nächsten Morgen bat ich meine Eltern, unter dem Vorwand, mich mit einer Freundin zum Shoppen zu treffen, mich zum Einkaufszentrum zu fahren. Auf der Fahrt dort hin schwiegen wir uns an und meine Gedanken schweiften immer wieder zu der Fabrik. Immer wieder tastete ich in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel, der offensichtlich zu der Wolkenfabrik gehörte, um sicher zu gehen, dass ich ihn bei mir hatte. Die Fahrt kam mir unendlich lange vor. Als wir endlich beim Einkaufszentrum ankamen, verabschiedete ich mich von meinen Eltern und wartete bis sie vom Parkplatz gefahren waren. Dann lief ich über den Parkplatz, wie schon beim letzten Mal, in Richtung der alten Fabrik.
Dort angekommen wartete schon der alte Mann vor der Fabrik auf mich.
Diesmal war er jedoch nicht mehr so grimmig, sondern blickte sehr besorgt in meine Richtung.
"Komm nur näher!", rief er mir entgegen. Zögerlich trat ich durch das Eisentor in Richtung Fabrik und an der alten Marmortreppe angekommen, öffnete der Alte mir die Türe und deutete mir, einzutreten.
So stand ich wieder in der alten Fabrik und um mich herum die Zwergenmenschen. Mein Herz pochte. "Warum bin ich hier?", fragte ich ungeduldig. Ich wollte nun endlich Antworten auf meine Fragen.
Der alte, grauhaarige Mann schloss die Tür der Fabrik und erklärte mir: " Nun, vor unzähligen Jahren wurden auf der Welt sieben Wolkenfabriken gebaut. Jede Fabrik hatte ihren eigenen Leiter und fünfzig Wichtel, wie wir sie nennen, die für die Arbeit der Fabrik zuständig waren. Wie der Name schon sagt, wurden hier Wolken fabriziert. Immer wenn jemand träumte, bekamen wir Material für unsere Wolken um Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Das bedeutet, wenn auf der Welt ein Mensch ganz fest glaubt und seinen Traum verfolgt, sind es unsere Wolken, die den Traum Wirklichkeit werden lassen, verstehst du?", sagte der alte Mann. Ich nickte und hörte weiter aufmerksam zu." Jeder Fabrikleiter war für den Fortbestand der Fabrik zuständig und erhielt als Dank für seine Dienste Unsterblichkeit, so lange, bis ein Nachfolger für seine Arbeit ausgewählt wurde und der Nachfolger seine Arbeit aufnehmen konnte. Als Zeichen der Verbundenheit mit der Fabrik, erhielt jeder Auserwählte einen Anhänger, der die Macht besaß, wenn der Auserwählte ihn in der Hand hält, sich zu einem Schlüssel, der zur Wolkenfabrik passt zu verwandeln und eine treue Geistergestalt enthält, die eben auch die Auserwählten in die Fabrik bringen kann."
Dann verstummte der alte Mann und ich fragte ihn: "Aber was mache ich dann hier? Und wenn die Fabrik von den Träumen der Menschen lebt, warum ist sie dann so heruntergekommen?" Der alte Mann holte tief Luft und seufzt: " Weißt du, die Menschen träumen nicht mehr. Sie verfolgen ihre Ziele nicht mehr und geben ihre Träume zu schnell auf. Das bedeutet, dass wir immer weniger Wolken fabrizieren können, da uns der Stoff aus dem die (Wolken-) Träume sind einfach fehlt!" Ich begriff langsam, worauf der Alte hinaus wollte und seufzte ebenfalls. "Und was hab ich nun damit zu tun?", fragte ich erneut.
"Nun", sagte der alte Mann, "verstehst du das immer noch nicht? DU bist meine Auserwählte! Du hast noch echte Träume! Träume, die du auch verwirklichen willst! Träume, an die du ganz fest glaubst! Deshalb hat dich mein treuer Begleiter hierher gelockt, damit du uns helfen kannst, die Fabrik vor dem Abriss zu bewahren und ein würdiger Beschützer der Fabrik zu sein. "
Sichtlich berührt nickte ich dem Alten zu und versprach mein möglichstes zu tun, um die Fabrik zu schützen.
Ich erzählte ihm von dem Brief und versprach ihm alles in meiner Macht stehende zu tun, um die Fabrik zu beschützen.
Der Alte fasste mich bei der Hand und führte mich in der ganzen Fabrik herum, um mir alles genau zu erklären. Auch alle Wichtel, wie er die Zwergenmenschen nannte, stellte er mir vor und ich schloss bereits jetzt jeden von ihnen in mein Herz.
Am Ende des Rundganges ermahnte der Alte mich noch einmal: "Kira, ich verlange viel von dir! Das ist mir bewusst. Doch wenn du dich erst einmal an das Leben in der Fabrik gewöhnt hast, dann hast du ein langes und erfülltes Leben vor dir!" Ich hörte ihn sprechen und blickte ihn mit großen Augen an: "In der Fabrik wohnen? Heißt das, ich werde meine Eltern, meine Oma, meine Familie nie mehr wieder sehen?"
Der graue Mann nahm mich in den Arm um mich zu trösten: "Ja, das bedeutet es, du wirst jetzt ein paar Tage Zeit haben, um dich von deiner Familie zu verabschieden. Doch vergiss nicht: Kein Wort über die Fabrik und was hier passiert! Denn sollte auch nur ein Mensch hinter unser Geheimnis kommen, sind wir alle verloren und die Fabrik muss abgerissen werden.
Tränen kullerten mir über das Gesicht, doch ich verstand worauf der Alte hinaus wollte.
"Geh jetzt", sagte er mit strenger Stimme zu mir, "du hast drei Tage, dann lasse ich nach dir schicken!"
Wortlos drehte ich mich um und rannte so schnell ich konnte zurück auf den Parkplatz, auf dem meine Eltern bereits auf mich warteten. In mir brodelten die Gedanken. Stumm fuhren mich meine Eltern nach Hause.
Ich, der neue Beschützer der Wolkenfabrik, Beschützer der Träume von Kindern wie mir.