Menschenwürdig sterben - das ist ein Thema, mit dem sich auch der Gesetzgeber beschäftigt.
S terben ist ein Teil des Lebens und darf nicht im Verborgenen stattfinden, sagt die aus Lichtenfels stammende Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner. Für die CDU/CSU-Fraktion ist sie die Verantwortliche in allen Fragen rund um die Palliativmedizin. Wie wichtig das Thema ist, hat sie unter anderem bei ihrer Ausbildung zur Krankenschwester in
Bamberg erlebt.
Sie waren 26 Jahre alt, die jüngste Frau im Bundestag, als Sie 2013 damit angefangen haben, an einem neuen Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland zu arbeiten. Oft war damals zu lesen, das Thema sei nichts für eine junge Frau...Emmi Zeulner: Sterben und Tod sind naturgemäß Themen, mit denen man sich nicht gerne beschäftigt. Aber Sterben ist Teil des Lebens und es darf nicht im Verborgenen stattfinden. Es muss wieder Teil der Gesellschaft werden - und auch für jüngere Menschen ein Thema. Schließlich werden alle Generationen mit dem Sterben konfrontiert.
Ich habe selbst in der Familie erlebt, wie wichtig eine gute Versorgung und eine professionelle Hilfe am Lebensende sind. Wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet, verlangt das Angehörigen psychisch beziehungsweise emotional unglaublich viel ab. Deswegen verdient der Betroffene mit seiner Familie eine besondere Unterstützung.
Als Krankenschwester haben Sie Erfahrung auf der Palliativstation im Bamberger Klinikum gesammelt. Hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit im Gesundheitsausschuss des Bundestages? Ja, durch persönliche Eindrücke, Begegnungen sowie Gespräche werden andere Sichtweisen geprägt, als durch Lehrbücher. Auch die praktische Erfahrung im Krankenhaus hat geholfen, zielführende Veränderungen in den Gesetzen herbeizuführen. Es ist wichtig, dass die von uns beschlossenen Gesetze auch in der Praxis für Verbesserungen sorgen.
Anfang November 2015 hat der Bundestag mit der Zustimmung von Union, SPD und Grünen das unter Ihrer Federführung erarbeitete Gesetz beschlossen, im Dezember trat es in Kraft. Was hat sich seitdem an der Palliativversorgung in Deutschland verbessert? Unabhängig davon, wo die Menschen ihren Lebensabend verbringen - ob in ihrem eigenen Zuhause, in einer Pflegeeinrichtung, im Hospiz oder im Krankenhaus - , können sie sich künftig auf eine bessere Versorgung verlassen. Jährlich sterben mehr als 400 000 Menschen in deutschen Krankenhäusern. Da jedoch nur 15 Prozent der Häuser über eine Palliativstation verfügen, war es mir wichtig, auch die Versorgung auf anderen Akutstationen zu verbessern. Krankenhäusern wird künftig über ein Zusatzentgelt die Möglichkeit eröffnet, multiprofessionelle Palliativdienste bereitzustellen. Mit diesen Diensten können Patienten eine verbesserte Schmerztherapie und professionelle Begleitung erhalten - unabhängig davon, auf welcher Station sie liegen. Kleine Krankenhäuser können nun den Dienst auch untereinander über Kooperationen organisieren und sich somit die Fachkräfte teilen. Weiterhin können Palliativstationen entscheiden, ob sie über tagesgleiche Pflegesätze oder über das Fallpauschalen-System abrechnen. Dadurch ist gewährleistet, dass der Palliativstation keine finanziellen Nachteile entstehen, wenn dort auf Wunsch des Patienten keine Diagnostik mehr durchgeführt wird. Zudem verbessern wir die Finanzierung der ambulanten Hospizdienste, wodurch die Trauerbegleitung von Angehörigen unterstützt werden kann. Schließlich können sich Versicherte bei ihrer Krankenkasse über die Leistungen der Hospiz- und Palliativversorgung beraten lassen.
Sie haben gesagt, Sterben in Würde lasse sich nicht politisch definieren. Was gehört für Sie persönlich dazu? Sterben in Würde bedeutet für mich, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Den Sterbenden und seine Bedürfnisse. So wie es viele verschiedene Lebensentwürfe gibt, so gibt es auch vom "Sterben in Würde" unterschiedliche Vorstellungen. Deswegen ist es so wichtig, in dieser Phase auf den Sterbenden zu hören. Ihm zuzuhören.
Uns darf es nicht darum gehen, wie man den Sterbenden am längsten am Leben hält, sondern wie man ihn am besten auf seinem Weg begleiten kann. Gerade in Zeiten der Apparatemedizin ist ein künstliches Am-Leben-Halten leider zu leicht möglich. Doch es geht auch darum, den Todkranken gehen zu lassen. Ihm beizustehen. Mit viel Sensibilität auf seine Wünsche einzugehen, ohne ihm eigene Vorstellungen aufzudrängen.
In Debatten zu diesem Thema betonen Sie immer wieder auch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung SAPV. Wieso ist gerade diese so wichtig?Der Patient und seine Familie sollten zu jeder Tages- und Nachtzeit unterstützt werden, vor allem in Notsituationen. Diese Unterstützung sollte unabhängig vom Wohnort gewährleistet sein und medizinische, pflegerische und seelsorgerische Bedürfnisse berücksichtigen. Die SAPV greift bei besonders schweren Diagnosen, das heißt bei komplexen Symptomen und einer besonders aufwändigen Versorgung.
Die speziell geschulten SAPV-Teams setzen sich multiprofessionell aus qualifizierten Ärzten mit der Zusatzbezeichnung "Palliativmediziner", aus Pflegekräften mit "Palliative Care"-Weiterbildung und Koordinationskräften zusammen. Aufgabe der SAPV-Teams ist es, in Zusammenarbeit mit den Hausärzten die häusliche Betreuung schwerstkranker Patienten in der letzten Lebensphase mittels einer Rund-um-die-Uhr-Rufbereitschaft sicherzustellen, sodass unnötige Krankenhauseinweisungen und das Herausreißen aus der gewohnten Umgebung vermieden werden. Die SAPV ermöglicht ein Sterben in Würde und in vertrauter Umgebung zu Hause.
Für Oberfranken werden wir eine flächendeckende Versorgung mit SAPV zum Jahresbeginn 2017 erreichen. Das ist herausragend für eine ländlich geprägte Region.
Als sich der Bundestag mit aktiver Suizidbeihilfe beschäftigte, haben Sie eine funktionierende Palliativversorgung gefordert. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Palliativmedizin und aktiver Sterbehilfe?Die organisierte und gewerbliche Sterbehilfe in jeglicher Form lehne ich ab. Es darf kein Geschäft mit dem Tod geben. Nicht die Sterbehilfe, sondern die gute Sterbebegleitung sollte im Mittelpunkt stehen. Menschen, die nach einem schnellen Tod rufen, wollen oft nur nicht leiden. Deshalb gilt es, das Angebot der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland weiter auszubauen und zu stärken, um so den Ängsten der Menschen zu begegnen. Tatsächlich zeigt eine Studie aus dem Jahr 2012, dass hinter einem vermeintlichen Sterbewunsch oft der Wunsch steht, die Kontrolle über das eigene Leben zu erhalten. Palliative Behandlung lindert nicht nur Schmerzen, sondern betreut den Patienten auch pflegerisch und psychologisch-seelsorgerisch. Dennoch wird es immer Einzelfälle geben, in denen auch Palliativmedizin einen Sterbewunsch nicht nehmen kann.
Fast zwei Drittel der Deutschen wünschen sich, zuhause zu sterben. Trotzdem stirbt jeder zweite Langzeitkranke im Krankenhaus. Wie kann man dem entgegenwirken?Tatsächlich sind noch immer den wenigsten Menschen die Möglichkeiten der Palliativmedizin und Hospizarbeit ausreichend bekannt: Nur jeder Zweite gab in einer Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes an, überhaupt von dem Begriff "palliativ" gehört zu haben. Von dieser Gruppe konnten wiederum nur 32 Prozent die richtige Bedeutung angeben. Jeder sollte wissen, dass kein Mensch auf seinem letzten Weg allein ist. Es ist auch Aufgabe der Politik, das gesellschaftliche Bewusstsein über die Möglichkeiten und die Ausgestaltung der Hospiz- und Palliativarbeit weiter zu stärken.
Alle Anstrengungen müssen darauf abzielen, auch bei einer letalen Krankheit jeden verbleibenden Tag lebenswert zu machen. Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.
Wie beurteilen Sie den derzeitigen Zustand der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland?Grundsätzlich haben wir eine Struktur, die von unten nach oben gewachsen ist. So mussten Fachkräfte erst ausgebildet werden, und die Palliativmedizin wurde 2009 als Pflichtlehr- und Prüfungsfach im Curriculum des Medizinstudiums aufgenommen. In den vergangenen Jahren ist aber ein differenziertes Netz an Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung gewachsen, darunter rund 1500 ambulante Einrichtungen, 221 stationäre Hospize für Erwachsene, 14 Kinderhospize, 304 Palliativstationen und über 295 SAPV-Teams. Das sind die aktuellsten Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Wir konnten erreichen, dass meine Heimat Oberfranken fast flächendeckend mit SAPV versorgt wird. Die Verhandlungen, um die letzten verbliebenen weißen Flecken zu schließen, laufen.
Noch ein letztes Wort?Ich möchte allen danken, die so wertvolle Arbeit leisten: allen Ehrenamtlichen, Seelsorgern, Pflegenden und Palliativmedizinern. Allen, die mit Hingabe und viel Engagement den Sterbenden helfen, ihnen Wegbegleiter sind, Trost spenden und den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die das Thema nicht zum Tabu machen, sondern stattdessen einfach da sind, beistehen und ein Sterben in Würde ermöglichen.