Gemeinsamkeit macht stark

Wie war das noch gleich mit den Bremer Stadtmusikanten? Ein Hahn, ein Hund, eine Katze und ein Esel werden von ihren Besitzern nicht länger gebraucht und sollen getötet werden. Sie fliehen, finden einander und machen sich auf in Richtung Bremen. Im Wald stoßen sie auf die Hütte einer Räuberbande, die vertreiben sie und übernehmen ihre Immobilie.
In der Produktion "Geaechtet" von "Hörsturz" und "Wackelkontakt" - Trommel- und Tanzgruppe der Offenen Behindertenarbeit (OBA) - trägt der Hahn ein goldenes Jackett, wildes Haar, ein Stirnband. Thomas Dippold sieht aus wie einer Glam-Rock-Band der 80er entstiegen. Während "Hörsturz" ein Trommelgewitter produziert, stolziert Dippold zackig über die Bühne der Alten Seilerei.
Zusatzvorstellungen im Februar
Das ist die erste von vier Tanz-Interpretationen der Stadtmusikanten. Angelika Kehl tanzt einen neugierigen Hund, der von der Percussion durch den Halbkreis gejagt wird. Katharina Schabacker ist ein starker, seinen Bizeps küssender Esel. Logisch, denn er muss stabil genug sein, um die anderen drei zu tragen. Und Hannah Bezold tastet sich zuerst als elegante Katze durchs Gelände, bevor sie wie vom Teufel gestochen auf die Trommler zufegt und deren Instrumente bearbeitet.
Laura Schabacker, Leiterin der Tanzgruppe, Philipp Zeitler, Leiter der Trommler und Harald Rink haben "Geaechtet" zusammen erarbeitet. Alle drei Vorführen sind ausverkauft. Im Februar wird es Zusatzvorstellungen geben. Fans der OBA-Kulturwerkstatt sehen viele Protagonisten des jüngsten Erfolgs "Mensch Odysseus" auf der Bühne wieder.
Der Unterschied: Diesmal handelt es sich um reines, zeitgenössisches Tanztheater - ohne Text. Die Gruppe hat sich nur grob an der Vorlage orientiert und ein Leitmotiv herausgeschält: Vier, die nicht mehr nützlich sind, werden von der Gesellschaft ausgestoßen. Sie halten zusammen und finden dadurch zu Stärke. Diesen Konflikt der vier Außenseiter gegen die Masse haben "Wackelkontakt" und "Hörsturz" in Tanz und Musik übersetzt. Die psychedelischen Illustrationen auf der Leinwand stammen ebenfalls aus dem Atelier Lebenskunst der OBA.
Wild und koordiniert zugleich
Die inklusive Kulturproduktion, getragen von der Lebenshilfe, hat sich mittlerweile einen Ruf erarbeitet, Vorstellungen zustande zu bringen, die in ihrem Charakter mit nichts anderem vergleichbar sind. Auch "Geaechtet" ist zugleich wild als auch koordiniert, unberechenbar aber durchgeplant. Die Choreografie erlaubt es, eine Geschichte nachzuvollziehen, in deren Kern das Zusammenfinden der vier "Geaechteten" steht: Wenn sie einander an den Händen haltend eine verschlungene, verknotete Kette bilden, entsteht ein Bild, das gleichermaßen von Zärtlichkeit wie Kraft spricht.
Die Musiker von Hörsturz begleiten diese Handlungsebene nicht nur, sondern fügen ihr immer wieder überraschende Momente hinzu. Während über die Leinwand ein Weg aus tausenden Fotos nachvollzogen wird - durch den Wald, durch den Bamberger Hafen, in die Stadt - plätschert und gurgelt und knackt es aus den Reihen der Trommler und aus allen Ecken. Der Hafen ist ein metallisches Hauen auf die Tonne, die Stadt ist Klingeln und Hupen. Auch Specht und Uhu sind scheinbar in die Seilerei eingezogen.
Die Zuschauer lassen sich von dieser Mischung gern gefangen nehmen. Und gerne auch verwirren. Am Ende wogt die Menge als großes, gemeinsames Ganzes, man hat wieder zusammen, zueinander gefunden. Es ist besser, miteinander fröhlich zu zappeln, als sich Fäuste vor die Stirn zu werfen.