Geisterfahrer: Wie groß ist die Gefahr wirklich?

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Foto: Armin Weigel/dpa
Foto: Armin Weigel/dpa

Warum Autofahrer auf die falsche Spur geraten, bleibt für Experten ein ewiges Rätsel. Forscher suchen nach den Ursachen und tüfteln an Systemen zur Vermeidung schwerer Unfälle. Absoluten Schutz kann es aber wohl niemals geben.

Bei der Meldung im Verkehrsfunk erschrickt man unwillkürlich, auch wenn man auf der A70 zwischen Schweinfurt und Bamberg unterwegs ist und die Warnung die A 9 betrifft: Achtung, Geisterfahrer! Zwar verursachen Falschfahrer nur einen kleinen Prozentsatz der Unfälle, doch die Wahrnehmung ist überdimensional, denn die Folgen solcher Unfälle sind meist furchtbar. Erst jüngst gab es sechs Tote auf der A5, im Oktober fünf Tote auf der A73.

Die auffällige Häufung solcher Unfälle in den letzten Wochen führt schon zu Schlagzeilen wie "Schwarzer Herbst auf deutschen Straßen", bewegt sich aber nach Angeben des Innenministeriums in München im Bereich statistischer Schwankungen. "Bei der kleinen Zahl der Unfälle gibt es immer wieder Ausreißer nach unten und nach oben", sagt ein Sprecher der Behörde.

Das Innenministerium in Bayern ist bundesweit bislang das einzige, das die Falschfahrer in der Unfallstatistik gesondert ausweist.

Über den Verkehrsfunk in Bayern laufen jedes Jahr rund 350 Falschfahrer-Meldungen, um die 2000 sind es bundesweit. 2009, 2010 und 2011 verursachten Geisterfahrer auf bayeri-schen Autobahnen 45 Unfälle, bei denen sechs Menschen starben, sagt Michael Siefener vom Innenministerium. Rechnet man die Zahlen hoch, dann gehen weniger als 0,5 Prozent der tödlichen Unfälle auf das Konto von Falschfahrern.

Ähnlich wie bei einem Flugzeugabsturz ist die öffentliche Wahrnehmung sehr viel größer als die tatsächliche Gefahr. Und ähnlich wie beim Flugzeugabsturz beginnt nach jedem Geisterfahrer-Unfall mit mehreren Toten die Ursachenforschung und die Diskussion: Warum ist der Unfall passiert? Hätte er verhindert werden können?
Der ADAC warnt vor "Aktionismus", denn "hundert Prozent Sicherheit auf den Straßen wird es nicht geben, so lange ein Mensch am Steuer sitzt", sagt der Sprecher des Automobilclubs, Klaus Reindl.

Auf seiner Homepage hat der ADAC Untersuchungen veröffentlicht, die über die Statistiken hinausgehen. Die Zahlen überraschen: So beginnt nicht einmal die Hälfte der Geisterfahrten an den Anschlussstellen, deren Sicherheit derzeit im Fokus der Debatte steht: Selbst wenn Schilder oder Krallen hier jeden Geisterfahrer bremsen würden - die anderen Ursachen für den Fahrfehler blieben außen vor.

Kein klares Muster
Neben dem Einfahren in falscher Fahrtrichtung hat der ADAC das Wenden auf der Autobahn als eine der Hauptursachen für Geisterfahrten ausgemacht. Dazu lassen sich laut Reindl vor allem ältere Autofahrer nachts auf der vermeintlich leeren Autobahn verleiten, wenn sie merken, dass sie sich verfahren haben. "Solche Falschfahrten nehmen oft an Rastanlagen oder Parkplätzen ihren Anfang", sagt Reindl. Als weitere Ursachen kommen Orientierungsprobleme an Baustellen in Frage oder aber bewusste Geisterfahrten: "Mutprobe" oder Suizid.

Aus all dem ergibt sich kein klares Muster und somit auch kein Patentrezept. Bei der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch-Gladbach beschäftigt sich eine Forschungsgruppe im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums mit der Wirkung von Falschfahrer-Meldungen im Radio und mit der Ursache von Geisterfahrten. Petra Peter-Antonin, die Sprecherin der Bundesanstalt, verweist auf ein Pilotprojekt in Hessen. Analog zu einem Versuch in Südbayern stehen an der A66 neongelbe Schilder mit der Aufschrift "Stopp", um Geisterfahrer zu warnen, bevor es zu spät ist.

Sollten sie sich bewähren und flächendeckend eingeführt werden, "wird das helfen", sagt Peter-Antonin. Trotzdem werden Geisterfahrten "immer wieder passieren". Technik kann nicht alle Unsicherheitsfaktoren auf der Straße ausschalten: Der Mensch am Steuer bleibt das größte Risiko. Es stellt sich sogar die Frage, ob noch mehr Technik nicht am Ende eine trügerische Sicherheit schafft - und neue Risiken.

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Chefredakteur Frank Förtsch und sein Stellvertreter Falk Zimmermann stehen Rede und Antwort, und zwar am Samstag von 17 bis 18 Uhr auf der Facebook-Seite unseres Internetportals:
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Diskussion: Nach den jüngsten schweren Geisterfahrer-Unfällen mit vielen Toten ist die Diskussion erneut aufgeflammt, wie sich Falschfahrten auf Autobahnen und vierspurigen Straßen verhindern lassen. Ein Patentrezept hat aber niemand.

Schilder: Die 442 Autobahnauffahrten in Bayern sind wie im gesamten Bundesgebiet so angelegt, dass es an sich schwierig ist, in falscher Richtung aufzufahren. Mit auffälligeren Schildern (schwarze Hand auf Neongelb und Stopp! in großer Schrift), wie sie derzeit unter anderem in Bayern erprobt werden, hofft man, noch mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen.

Krallen: Eine drastische Maßnahme, die nach Unfällen immer wieder diskutiert wird, ist der Einbau von Krallen an den Autobahnauffahrten. Die beweglichen Stahlzacken richten keinen Schaden an, wenn sie in der richtigen Richtung überfahren werden, im anderen Fall zerfetzen sie die Reifen. Neben den Kosten (etwa 25 000 Euro pro Anschlussstelle) und der aufwendigen Wartung ist der Nutzen etwa bei Eis und Schnee fraglich. Und die Zacken könnten nach Unfällen die Rettungsfahrzeuge behindern.

Technik: In der Erprobungsphase sind zahlreiche Warnsysteme, die Autofahrer von fatalen Fehlern abhalten können. Einige Fahrzeuge der Oberklasse werden jetzt mit Sensoren ausgestattet, die das Verbot-der-Einfahrt-Schild erkennen und ein Warnsignal auslösen. Wie weit die Technik in die Verantwortung des Fahrers eingreifen soll, ist eine Grundsatzfrage. Moderne Lkw verfügen etwa schon über Abstandssysteme, die bei zu dichtem Auffahren sogar automatisch die Bremse auslösen. Ob so viel „Big Brother“dem Autofahrer zu vermitteln wäre?

Tipps: Beim ADAC bekommen Autofahrer Hinweise auf einige Verhaltensregeln, die die Gefahr eines Unfalls mit einem Falschfahrer deutlich verringern können. Grundsätzlich soll man nach einer Geisterfahrer-Warnung das Tempo verringern (aber nicht stehen bleiben), den rechten Fahrstreifen nutzen und möglichst viel Abstand zum Vordermann halten. Nach Möglichkeit sollte man bei Geisterfahrer-Gefahr den nächsten Parkplatz ansteuern oder die Autobahn schnellstmöglich verlassen.

Notruf: Wer selbst versehentlich zum Geisterfahrer wird, sollte so schnell wie möglich am Fahrbahnrand stehen bleiben, die Warnblinkanlage einschalten, das Fahrzeug verlassen und die Polizei über die 110 verständigen, so der ADAC.