Von der schnellen Truppe ist Karin Räder aus Priesendorf, die ihr Leben in unserer Serie "Zwei Stühle - eine Stunde" in rekordverdächtigen 30 Minuten erzählt.
Das sieht interessant aus: Auf der Bank zwischen Friedhof und Wallfahrtskapelle sitzt ein Mann mittleren Alters mit ordentlich Gepäck. Doch bevor der fotografierende Kollege Marcel Terillo und die Reporterin die Redaktionsstühle aus dem Dienstauto holen, will das FT-Team auf Nummer sicher gehen, dass dieser Mann nicht noch vorher verschwinden würde. Das hätte er sowieso nicht, ist zu erfahren, als er Teile seiner Geschichte erzählt: Er war aus der Wohnung geworfen worden und hatte die Nacht in einem Biergarten im Landkreis verbracht. Wo er die folgende verbringen würde, wusste er nicht und wartete darauf, dass endlich seine Betreuerin anrufen würde. Und, nein, er wollte nicht mit einem Interview in die Zeitung.
Aha. Da war nun also genügend Zeit, die Stühle und die weiteren Interview-Utensilien aus dem Heck des Polo zu hieven und gleich beim Froschbrunnen aufzustellen. Und: zu warten. Geduld ist gefragt. Im Haus gegenüber bewegen sich immer wieder Gardinen. Nach draußen wagt sich niemand. Da pirscht sich ein schlaksiger Mann mit langen Haaren heran. "Wir wollten nur mal schauen", sagt er, während sich seine Begleiterin im Hintergrund hält. Das sei also tatsächlich wieder ein FT-Interview, stellt er für sich fest und: "Den Einwich, der in der Zeitung war, den kennen wir." Aber auf den Stuhl will er nicht und verabschiedet sich, "schön, dass man sich mal getroffen hat". Noch schöner wär's gewesen, wenn man ihn hätte interviewen können. Das Warten geht weiter. Das heißt, der Fotograf geht auf Nahrungssuche. "Kaum bin ich weg, kommt jemand", war seine bisherige Erfahrung bei dieser Serie. Auf geht's!
Herbert darf auf die Bank
Es dauert nicht lange, da winkt eine Frau aus dem vorbeifahrenden Auto...um sich wenig später zurückfahren zu lassen. "Jetzt wollt' ich Sie doch mal treffen", kommt Karin Räder auf die Schreibera zu. Eigentlich habe sie ja gar keine Zeit und ihr volles Tages-Programm zu absolvieren, sprudelt sie nur so. Probehalber nimmt sie auf dem Stuhl Platz. "Eine Stunde habe ich aber nicht", erklärt sie umgehend, und will schon wieder gehen. Kein Problem, so schnell wie sie spricht, wird das Wesentliche in weniger Zeit zu erfahren sein. Also muss Gatte Herbert das Auto parken und darf auf der Bank Platz nehmen und lauschen.
Eigentlich stammt Karin Räder aus Ebing, verrät sie. Dort lebte sie aber nur ein Jahr, im Anschluss in Bamberg. In der Hegelstraße in einem der Häuser, wie sie nach dem Krieg für Vertriebene gebaut worden waren. Denn der Vater stammte aus Schlesien. Karin ist die Älteste von drei Kindern - zwei Mädchen, ein Junge.
In der Schule gehörte sie seinerzeit zu dem ersten Jahrgang, der eine neunte Volksschulklasse absolvierte. Danach machte die heute 65-Jährige eine Ausbildung als Näherin bei Kohlhaas. Und wie es damals so üblich war, wurde sie "verschmust", schildert sie amüsiert: Von einer Freundin, die einen Freund in Priesendorf hatte, wurde sie überredet, doch mal dessen Freund kennen zu lernen. Und das war dann eben der nun still und brav auf der Bank sitzende Herbert. Als der kurz reden darf - "der redet nur wenn ich ihm sag, er darf", so seine Gattin neckisch - lässt er wissen, dass er zuerst Kfz-Elektriker gelernt hatte, dann bei Messwandler Kurierfahrer war, bis er zum Bund musste und dort in der Instandsetzung tätig war. Danach folgte er dem Vater nach Nürnberg, wurde Kranfahrer, hat als solcher an der U-Bahn beim Bahnhof und später am Bamberger Klinikum mitgearbeitet.
Haus im Garten
Der Bau war also sein Ding. So haben sich Räders in Priesendorf ein Eigenheim errichtet. Im Garten auf dem 1200-Quadratmeter-Grundstück baut der Sohn nun ein Haus, "weil es in Priesendorf ja keine Bauplätze gibt", mault - nun wieder Karin Räder - in Richtung Bürgermeister, der sich seinerseits still neben Herbert auf die Bank gesetzt hat.
Sei im Werden, merkt Matthias Krapp schnell an. Auf jeden Fall haben Räders zwei Mädchen und einen Jungen und in der Zwischenzeit auch zwei Enkel.
Mit der Heirat vor 48 Jahren war aus der Bambergerin eine Wahl-Priesendorferin geworden. Sie fand bei Messwandler Arbeit. Als der allerdings reduzierte und verlagerte, verlor sie ihren Arbeitsplatz. Doch bald hatte eine Gärtnerei, zu deren Kundschaft gehörte, sie für sich gewonnen - als Marktfrau.
So geht Karin Räder jeweils mittwochs und samstags auf Märkte, "das Verkaufen liegt mir im Blut", weiß sie. Sie geht seit 19 Jahren auf Märkte.
Unter anderem nach Rehau. Wo die Karin inzwischen bestens bekannt ist. "Sogar in Dänemark bin ich als die Marktfrau von Rehau erkannt worden", schildert sie amüsiert. Denn obwohl Räders sehr gerne in Priesendorf sind, zieht es sie in den Urlauben an die See - Ostsee und Nordsee. Freilich findet sie die Heimat sehr schön, ganz besonders Bamberg. "Ich liebe diese Stadt!" Wenn sie nicht Marktfrau wäre, dann hätte Karin Räder Stadtführerin gemacht. Es gebe da so schöne, auch stille Ecken. "Man muss ja nicht in die Sandstraße gehen", sondern an den Schönleinsplatz zum Brunnen, das sei wie Therapie. Trotz allem, leben möchte sie nur auf dem Land.
Was gefällt ihr an Priesendorf? "Das Ländliche, da bin ich reingewachsen." Auch, wenn sie wieder in Richtung Bank blickend, klagt: "Es gibt keinen Laden mehr, keinen Bäcker, keine Metzger, nicht mal eine Telefonzelle, da habt Ihr euch einen schönen Ort ausgesucht", sagt sie dann dem FT-Team.
Während der Bürgermeister von der Bank verlauten lässt, dass in Sachen Dorfladen schon was laufe, wendet sich die redselige Karin wieder in eigener Sache ans Interview-Team: "Seit 35 Jahren sind wir FT- Leser, ohne Abbestellen." Neben dem FT ist für sie in Priesendorf der Frauenbund wichtig, den sie auch mal als Vorsitzende geleitet hat. Und natürlich der Obst- und Gartenbauverein.
Was denn so ihre schönsten Erlebnisse waren, wollen wir wissen. "Das ist immer, wenn die Familie zusammensitzt", am besten, wenn man mit einander feiert.
Zurück in die Wohnung
Gut 30 Minuten um, die Zeit drängt, die Tante im Oberhaider Altenheim wartet auf den Besuch, die Mutter in Bamberg ebenso, und die Enkel müssen für die Fahrschule abgeholt werden. Herbert fährt den Wagen vor und auch der Bürgermeister ist in der Zwischenzeit für den Wohnungslosen tätig gewesen: Zumindest an diesem Abend darf der wieder in die Wohnung. Karin Räder strahlt: "Sehen Sie, so was gibt's nur aufm Land."
Ich finde die Serie Klasse und lese die immer wieder und finde das alles sehr spannend und lehrreich.
Hallo liebe Leser,
schön wie die Schreibera das macht.
Und der Fotograf muss Essen holen. Wär er da doch lieber zur Bäckerei Söder in Priesendorf gelaufen. Die gibt noch immer und jetzt sogar mit einem runderneuerten Verkaufsraum nebst Aussensitzplätzen.
Dann wär das mit dem fehlenden Metzger gar nicht aufgefallen.
Mit den besten Grüßen aus Priesendorf
Der Bürgermeister
Wo und wie erfährt man eigentlich wo als nächstes "Zwei Stühle - eine Stunde" ist?