Viel Wasser und große Hitze: Das sind ideale Bedingungen für eine Massenvermehrung der Plagegeister, die auch gefährliche Krankheiten übertragen können. Die Biologin Doreen Werner reist durchs Land und sammelt stichhaltige Fakten.
Was haben alte Autoreifen mit Stechmücken zu tun? Und blaue Zungen bei Rindviechern mit der Malaria? Wer Doreen Werner diese Fragen stellt, sticht in ein Wespen-, besser Mückennest. Die Biologin aus Brandenburg erlebt derzeit den besten anzunehmenden Sommer: Nach der Flut kommt die Hitze, und das sind ideale Brutbedingungen für Stechmücken, das Fachgebiet der weltweit anerkannten Forscherin.
Ob sie einen Stich hat? Doreen Werner lacht, aber die Frage macht schon Sinn, denn die Wissenschaftlerin aus dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) im märkischen Müncheberg gehört, obwohl erst 44, zu den Dinosauriern der Wissenschaft. Sie betreibt Feldforschung, Grundlagenarbeit in einem Gebiet, dessen praktischer Nutzen sich nicht sogleich erschließt.
Doch die Daten und Mücken, die Werner sammelt, können bald Gold wert sein.
Weißer Fleck "Seit 50, 60 Jahren hat sich die Wissenschaft in Deutschland allenfalls noch am Rande mit dem Thema Mücken beschäftigt", sagt die Biologin. Der Zeitpunkt lässt sich deshalb so fest umreißen, weil seit den 1950er Jahren die Malaria als Tropenkrankheit gilt. Bis dahin war sie auch in Mitteleuropa ein Thema. Durch die Trockenlegung der Sumpfgebiete und den großflächigen Einsatz von Insektiziden wurde der Krankheit, an der unter anderem Albrecht Dürer und Friedrich Schiller litten, der Zahn (der Stachel) gezogen.
Die Mücke, die der Malaria-Erreger verbreitet (Anopheles), gibt es heute immer noch, und auch der Erreger ist noch da. Allerdings haben sich beide genetisch so weit verändert, dass sie dem Menschen nicht mehr gefährlich werden können.
Zunächst einmal. Und da setzt die Arbeit von Doreen Werner an. Denn der Ausbruch der Blauzungenkrankeit bei Rindern und Schafen vor einigen Jahren hat gezeigt, dass in Mücken nach wie vor das Potenzial steckt, gefährliche Erreger zu übertragen; in diesem fall auf Tiere, aber warum nicht auch auf den Menschen? "Das können alte Krankheiten sein, die von neuen Mücken übertragen werden, oder neue Krankheiten von alten Mücken ...", weiß Doreen Werner.
Reise um die Welt Neue Mücken - woher kommen die? Der Klimawandel könnte deren Einwanderung begünstigen, aber Wissenschaftler sind sehr zurückhaltend mit solchen Schlussfolgerungen. Klimawandel ist ein langsamer Prozess, der zudem schwankend verläuft. Da macht schon eher der globale Handel aus Mücken bisweilen Elefanten.
In den Wasserlachen zum Beispiel, die sich in alten Autoreifen sammeln, reisen Mückenlarven um die ganze Welt.
Um hier Vorhersagen und Vorsorge treffen zu können, braucht es Daten. "Und die gab es bislang schlichtweg nicht", sagt die Biologin. Die Wissenschaft hatte die Mücken aus den Augen verloren, für den Normalbürger ist Mücke gleich Mücke: sticht und endet im Idealfall als Fleck an der Wand.
Der Idealfall für die "altmodische" Forscherin türmt sich inzwischen in den Katakomben des Zalf: Schachteln mit rund 30.000 fein säuberlich katalogisierten Mücken. Und das ist erst der Anfang. Vor zwei Jahren hat das Zalf das Projekt "Mückenatlas" ins Leben gerufen. "Citizen Science" nennt man das laut Susanne Hecker vom Leibniz-Zentrum: Bürgerwissenschaft.
Mücken ins Eisfach Wer sich an einem der lästigen Stichlinge rächen und zugleich der Wissenschaft einen Gefallen tun will, sollte nicht zuschlagen, sondern den Blutsauger lebend fangen, in ein Döschen packen und tiefkühlen. "Ein für Mücken schneller und schmerzfreier Tod", tröstet Hecker den Tierfreund, der bei dem Gedanken Herzstiche verspürt. Die Kälte konserviert und trocknet das Insekt; nach Müncheberg geschickt, lässt sich an der Tiefkühlmücke jedes Detail untersuchen. Der Atlas füllt sich langsam, auch aus Franken liegen erste Meldungen vor (Höchstadt, Coburg), aber Doreen Werner und ihre zehn Mitstreiter im Zalf und anderen Forschungsinstituten sind noch weit von einer auch nur vorläufigen Bewertung entfernt.
Katalogisiert wurden bereits 50 Mückenarten in Deutschland (von 3500 weltweit), darunter einige
Überraschungen wie die Asiatische Busch- und die Tigermücke. "Wir wussten zwar, dass sie in Deutschland heimisch geworden sind, wie weit sie sich aber bereits ausgebreitet haben, war uns neu", sagt Werner.
Nicht jede Mücke sticht, und nicht jeder Stich ist potenziell gefährlich. Aber die globalen Handelsströme leisten dem Vormarsch der Mücken ebenso Vorschub wie die aktuellen Wetterunbilden. "In den Flutgebieten können heuer durchaus zehn bis 15 Mal so viele Mücken schlüpfen wie in normalen Jahren", sagt Hecker. Franken gehört zwar nicht zu den Hotspots, aber das kann sich schnell ändern; Jahrhunderthochwasser gibt es ja offenkundig inzwischen fast jedes Jahr und überall.