Die Wähler in Deutschland werden immer älter - welche Folgen hat das?

2 Min
Grafik: Franziska Schäfer
Grafik: Franziska Schäfer
 

Ex-Bundespräsident Roman Herzog sprach einst von "Rentnerdemokratie". Was verändert sich, wenn Wahlzettel von immer mehr alten Menschen angekreuzt werden?

Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und auf Grundlage der Bevölkerungsvorausberechnung könnten ab dem Jahr 2040 ungefähr 45 Prozent der Wahlberechtigten 60 Jahre und älter sein, davon 30 Prozent sogar über 70 Jahre. Ältere Menschen beeinflussen demnach nicht nur die Bevölkerungsstruktur oder das Durchschnittsalter, sondern automatisch auch den Wahlausgang. Doch wie sieht ein alterndes Wahlergebnis aus?

Zumindest beim Brexit waren die Wahlanalysen laut dem britischen Meinungsforschungsinstitut You-Gov und der Zeitung "The Times" eindeutig: 56 Prozent aller 50 bis 64-Jährigen stimmten für den Austritt aus der EU, in der noch höheren Altersgruppe, ab 65 Jahren, waren es sogar 63 Prozent. Bei den zwischen 18- und 24-Jährigen waren es nur 20 Prozent.

Auch Henriette Engelhardt-Wölfler, die den Demografie-Lehrstuhl an der Universität Bamberg leitet, hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Wissenschaftler sprechen "von dem Entstehen einer Gerontokratie" - also dem Phänomen, dass die älteren Menschen politisch über die "Jungen" bestimmen. Bisherige Querschnittsdaten über das Wahlverhalten würden zeigen: Je älter der Wähler ist, desto konservativer wählt er laut Engelhardt-Wölfler. Dies belegen auch Auszüge einer Studie des Statistikportals Statista: 41,5 Prozent der CDU-Wähler bei der Bundestagswahl 2005 waren demnach mindestens 60 Jahre alt, nur 16,2 Prozent unter 35 Jahre. Im Vergleich dazu: 32,9 Prozent der über 60-Jährigen machte der Anteil bei den SPD-Wählern aus, nur 28,6 Prozent waren bei den Wählern der Linken über 60. Was noch dazukommt: Ältere Menschen gehen zuverlässiger und häufiger zur Wahlurne als jüngere, um ihre Stimme abzugeben.

Laut Demografie-Portal des Bundesinstituts für Bevölkerungforschung nutzten rund 75 Prozent der über 70-Jährigen und 80 Prozent der 60- bis 69-Jährigen bei der vergangenen Bundestagswahl ihr Stimmrecht. Bei den 21- bis 24-jährigen Wählern gingen nur 60 Prozent zur Wahlurne.
In Deutschland sei laut Engelhardt-Wölfler ein grobes Muster im Wahlverhalten erkennbar, das sich auch auf die Altersstruktur beziehe. Dazu gehört zum Beispiel auch: "Die Grünen sind nach wie vor die Partei der Jungen." Doch auch hier seien Veränderungen im Programm in den vergangenen Jahren wahrnehmbar gewesen, so dass die Wählerschaft "ergraut" sei.


Bisherige Auswirkungen

Bei der Präsidentschaftswahl in den USA lag Hillary Clinton bei den jüngeren Wählern vor dem Gewinner Donald Trump. Die Zielgruppen zwischen 18 und 39 Jahren wählten deutlich häufiger Clinton als den Republikaner. Dem gegenüber stehen 53 Prozent der Senioren über 65 Jahren, die in Umfragen von Statista angaben, Donald Trump gewählt zu haben.

In Deutschland hingegen hat bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2016 jeder Vierte (25 Prozent) zwischen 18 und 24 Jahren die AfD gewählt, so die Erhebung von Infratest. Bei den 60- bis 69-Jährigen waren es 19 Prozent, bei 70-plus-Wählern noch einmal weitere 14 Prozent.

Wenn die Altersstruktur Einfluss auf die Wahlergebnisse nimmt, wie sieht es dann mit dem nächsten Schritt - der Politik - aus? "Es ist zu erwarten, dass künftig die Parteiprogramme aller Parteien verstärkt Inhalte adressieren, die für ältere Menschen von Interesse sind", meint Engelhardt-Wölfler.

Für den Bundestagsabgeordneten Andreas Schwarz (SPD) ist klar: "Der demografische Wandel ist überall spürbar und wird auch Wahlen weiterhin beeinflussen. Eine gerechte Sozialpolitik muss aber alle Menschen mitnehmen." Doch er sagt auch: "Es geht in unserer Gesellschaft genauso um Rente und Pflege wie um Chancengleichheit oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie." Wenn die Partei diese Themen auffangen könne, gewinne sie Wähler - egal wie alt sie sind. "Politik muss Sorgen ernst nehmen und ehrliche Antworten geben. Nur so kann man die Menschen von Populisten wie der AfD oder Donald Trump fernhalten."

Ältere Wähler wollen laut Schwarz ein sicheres Rentenniveau und eine gut ausgestattete Pflege. Dies müsse aber auch finanziert werden. "Auch die älteren Menschen in unserem Land wollen nicht, dass die Enkel übermäßig belastet werden." Er spricht deshalb von der Suche nach einem Kompromiss: "Wir dürfen Alt und Jung nicht gegeneinander ausspielen."
Ähnlich sieht das die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär: Die Senioren interessiert, "wie es mit ihren Kindern und Enkelkindern weitergeht". Sie sieht aber auch, dass Themen, die ältere Menschen beschäftigen, allein deshalb immer bedeutender werden, weil es immer mehr ältere und weniger jüngere Menschen gibt.
Eine pauschale Aussage über das Wahlverhalten Jüngerer und Älterer lasse sich laut Bär nicht treffen: "Klar ist, dass aufgrund der unterschiedlichen Lebenssituationen bei der Wahlentscheidung in den verschiedenen Generationen unterschiedliche politische Fragestellungen im Vordergrund stehen." Wenn es um das Parteiprogramm geht, werde die CSU aber nie "nur" die Senioren oder die Jugend ansprechen wollen.
Das schließt auch Schwarz aus: "Wer nur Politik für oder gegen eine bestimmte Gruppe in unserem Land macht, der spaltet unsere Gesellschaft."