Es ist der etwas andere Schulanfang: Den Pädagogen Erhard Wiesneth (66) zieht es nach fast 44 Jahren Schuldienst in Franken nun nach Vietnam.
Wer 43,8 Jahre im Schuldienst mit fünf Dienst-Stationen im Landkreis Bamberg und drei im Ausland verbracht hat, seine Amtszeit an seiner letzten Dienststelle, der Grundschule Sassanfahrt, freiwillig um ein halbes Jahr verlängert ("ich wollte meine 4. Klasse zum Halbjahr nicht verlassen") und sich im April einen Camper angeschafft hat, von demjenigen ist anzunehmen, dass er nach seiner feierlichen Entlassung ab dem 1. August seinen wohl verdienten Ruhestand genießt ...
Bei Erhard Wiesneth, der Zweitälteste von insgesamt vier Sambacher Mühlen-Brüdern, der jetzt in
Memmelsdorf wohnt, ticken die Uhren aber ganz anders. Er interpretiert den Udo Jürgens-Song "Mit 66 Jahren" auf seine Weise, sprich: Er fliegt über Istanbul nach Ho Chi Minh Stadt, dem früheren Saigon. Nicht um in Vietnam zu baden und touren, nein, er geht wieder in die Schule. Unglaublich aber wahr: Von "Süsselfoar" noch einmal in die große weite Welt, 9500 Kilometer entfernt der Heimat.
Bis Mitte Juni lief bei den Wiesneths noch alles erwartungsgemäß, dann kam der richtungsweisende Anruf von einem Kollegen, den Erhard Wiesneth bereits aus seiner sechsjährigen Zeit in Kairo kannte. "Er bat mich um Unterstützung, die Deutsche Schule bis zur Sekundarstufe I (10. Klasse) aufzubauen. Letztlich dauerte der Entscheidungsprozess fünf Minuten, im Einvernehmen mit meiner Frau und den Kindern gab ich schnell die Zusage", beschreibt der waschechte Franke, der nun Deutsch, Sachkunde, Musik, Kunst und Erdkunde unterrichten wird, die Entscheidung.
"Jeder, der im Ausland gearbeitet hat, der hat einen Virus in sich. Mit meinen positiven Erfahrungen aus Odessa und Kairo muss ich nochmals rausgehen. Mich interessieren fremde Kulturen und andere Klimazonen, noch einmal total weg vom gewohnten Leben", erklärt der Pädagoge. Auch wenn er "ohne Vietnam-Ahnung und ohne jede Asien-Erfahrung" ist, geht er optimistisch in sein zehntes Auslandsschuljahr: "Ich denke nicht an mögliche Probleme, sondern vielmehr, wie ich mich einbringen kann." Erleichternd kommt sicherlich hinzu, dass auch seine Ehefrau Hilde am gleichen (Asien)-Strang zieht und als ehemalige Kindergartenleiterin von St. Wenzeslaus in Litzendorf und mit Auslandsschulerfahrung in Luxor und Alexandria nun ihren großen Erfahrungsschatz im Kindergarten der Deutschen Schule verwenden kann.
Die erste große Herausforderung wird die Wohnungssuche sein und auch der Weg zur Arbeit. "Zunächst miete ich mir ein Motorrad!" Lauert da nicht eine große Gefahr im Alltagsverkehr der Acht-Millionen-Stadt? " Ich habe in Ägypten 60 000 Kilometer auf dem Motorrad gemeistert; schlimmer als in Kairo kann es nicht werden!"
Der schulische Weltenbummler, der als Zehnjähriger sieben Jahre lang im Internat verbrachte und auch diese Situation offen annahm, lässt die Frage "Was werde ich vermissen?" einfach nicht zu. "Ich schaue nach vorne. Und den FT bekomme ich online." Auf Nachfragen fällt ihm, dem Team-Player, dann doch noch etwas ein: "Meine sportlichen Aktivitäten, vornehmlich Basketball und Fußball, werde ich sicher sehr zurückschrauben müssen."
Nur kein kaltes Land
Warum Odessa, Kairo und nun Ho Chi Minh Stadt? "Ich wollte grundsätzlich in keine Stadt in der Ersten Welt und auch nicht in ein klimatisch kaltes Land", gibt der 66-Jährige seine Marschroute preis. Das Thema Auslandsaufenthalt bewegte ihn schon in den 80er Jahren, doch die Chancen als Volksschullehrer standen schlecht, es gab lange Wartelisten. Und als sich dann im Hause Wiesneth zweimal Nachwuchs einstellte, war der Auslands-Gedanke in den 90er Jahren schon "beerdigt", zumal dann auch noch die Altersbeschränkung (40 Jahre) mit ins Spiel kam.
Letztlich war es das Ende des Ostblocks, das "Hardl" wieder die Tore öffnete. Im Rahmen eines Landesprogramms suchte der Freistaat für die Ukraine Lehrkräfte. Wiesneth nutzte die Chance und kam über die Fortbildungsschiene für ukrainische Deutschlehrer ans Schwarze Meer. Der "Deutsch-Methodiker" unterrichte zudem eine Deutsch-Klasse und führte diese zum Abitur. Die Jahre 1999 bis 2002 stufte er als "sehr lehrreich" ein.
Nach dem multikulturellen Odessa hieß die nächste Station Scheßlitz - für vier Jahre als Konrektor, ehe er als Rektor nach Buttenheim wechselte.
Aber auch da ereilte den Umtriebigen der zitierte Virus: Zweiter internationaler Einsatz an der Beverly Hills Schule (zunächst bis Klasse 9) in Kairo, die er als erster "entsandter Schulleiter" führte. Und siehe da: Die Schule entwickelte sich unter seiner Regie bis zur Sekundarstufe I (Mittlere Reife). Als die Revolution im Juni 2011 begann, wurde er auf Raten der Botschaft in seine fränkische Heimat ausgeflogen.
Wer Wiesneth kennt, der weiß, dass er sich nicht so schnell einschüchtern lässt; nach drei Wochen unterrichtete er wieder in Kairo! Auch wenn er die Konter-Revolution zwei Jahre später als "nicht so bedrohlich" einstufte, war doch die erste Situation "sehr schwierig", da die Gefängnisse geöffnet wurden und die Insassen marodierend durch die Straßen zogen. Nichtsdestotrotz: 2011 hatte Wiesneth um drei Jahre Ägypten verlängert, ehe er nach Sassanfahrt als Rektor ins Frankenland zurückkehrte. Dass dann aus den geplanten zwei letztlich drei Jahre wurden, passt ins Bild des 66-Jährigen.
Bleibt die Kardinalfrage: Zieht Erhard Wiesneth im Juni 2018 die Option für ein weiteres Vietnam-Jahr?