Christian Wulff sprach als Gast der Bamberger Universität. Man erlebte ihn selbstbewusst und redegewandt.
Die Frage, wie man sich ansprechen lassen soll als ein noch recht junger Altbundespräsident, ist das Eine. "Man darf einfach Herr Wulff sagen, das genügt ihm", sagte der Bamberger Politikprofessor Thomas Saalfeld. Das Andere, ungleich Schwierigere ist die Suche nach einem Leben, das neu sein muss und doch der eigenen Vergangenheit, der eigenen Intelligenz und dem eigenen Gestaltungswillen gerecht werden soll.
Ob Christian Wulff dieses neue Leben schon gefunden hat, weiß nur er selbst. Alle anderen müssen sich an das halten, was sie mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören. In der Bamberger Universität war dies ein braun gebrannter und gesund aussehender Mann. Wulff sprach mit fester Stimme, ruhig und konzentriert, was vor allem im Vergleich zu seinen Vorrednern auffiel. Der 59-Jährige hat die Wirkung auf seine Umgebung offenbar noch nicht verloren. Seine Präsenz macht die Menschen befangen und nervös.
Im politischen Abklingbecken
Auf Einladung des universitären "Arbeitskreises Politikwissenschaft" sprach Wulff am Samstagnachmittag über Deutschland und Europa. "Trotz seiner kurzen Amtszeit hat Herr Wulff das Amt doch geprägt", sagte Sebastian Koch. Er ist der Vorsitzende des Arbeitskreises.
Fünf Jahre sind vergangen, seit Wulff unter dem Hohngelächter nicht nur des Boulevards das Amt des Bundespräsidenten niederlegen musste. Gescheitert ist Wulff im Rückblick weniger an den Vorwürfen der Vorteilsnahme selbst als am abwechselnd überheblichen und panischen Umgang mit ihnen. Wulff selbst lastet seinen Sturz einer blutrünstigen Journalistenmeute an, die um der Verkaufszahlen willen nach dem Skalp des Bundespräsidenten gierten. In den Ruf derer, die reflexartig "Lügenpresse" krakeelen, wo die Rede auf den Journalismus kommt, stimmt Wulff dennoch nicht ein. In
Bamberg wünschte er sich von den Besuchern sogar, sie möchten doch künftig weniger Geld für Handys und wieder mehr für Zeitungen auszugeben.
Wulff, diesen Eindruck vermittelte er jedenfalls in Bamberg, ist mit sich und den Deutschen im Reinen: Nicht nur einmal sprach er von einem "tollen Land": rechtsstaatlich verfasst, weltoffen, liberal, wirtschaftlich stark und ja, mit einem in der Welt fast einzigartigen Qualitätsjournalismus.
Nach Jahrzehnten an den Schalthebeln der Macht befindet sich Wulff heute im politischen Abklingbecken. Das entspricht den Tatsachen und klingt doch hämischer, als es sollte. Von seinen früheren Privilegien mögen ihm nur die Personenschützer geblieben sein, die auch in Bamberg seinen Auftritt absicherten. Aber schon als Bundespräsident ruhte die Macht Wulffs allein in der Kraft seiner Reden. Das ist heute wieder so, wenngleich Wulff keine Macht, sondern allenfalls gesellschaftlichen Einfluss für sich reklamieren kann.
Nicht originell, aber richtig
Amt und repräsentativen Amtssitz hat Wulff verloren, Analysefähigkeit und Sendungsbewusstsein nicht. Auf der Bamberger Bühne stand mithin auch ein Familienvater, der seinen drei Kinder eine lebenswerte Welt hinterlassen möchte.
Wulff bewegte sich dabei im Rahmen dessen, was jenseits der politischen Extreme Konsens ist: pro Rechtsstaatlichkeit und Freihandel, pro multilaterale Bündnisse, für ein in Vielfalt vereintes Europa und politisch engagierte Staatsbürger. Diese Aufzählung verdient einerseits keinen intellektuellen Originalitätspreis, anderseits gereicht sie Wulff auch nicht zum Vorwurf: Es ist in den vergangenen Monaten einfach sehr viel Kluges gedacht, geschrieben und gesprochen worden: über Trump, den Brexit, die rechtspopulistische Herausforderung liberaler Demokratien, über Flüchtlinge, den islamistisch inspirierten Terror und die Religionskriege in der arabischen Welt.
Was Wulff in Bamberg aussprach, war deshalb nicht minder klug und richtig. Es gibt keinen Grund, warum seine Stimme nicht wieder regelmäßiger in der Öffentlichkeit erklingen sollte. Der Applaus des Bamberger Publikums dürfte ihm Mut geben. Die Zeit der Demütigungen ist vorbei.