Der Bamberger Rechtsanwalt Ulrich-Arthur Birk vermisst in der Hartz-IV-Diskussion die entscheidende Bezugsgröße: den Arbeitsmarkt.
Der Bamberger Rechtsanwalt und emeritierte Sozialrechts-Professor Ulrich-Arthur Birk vermisst in der Hartz-IV-Diskussion die entscheidende Bezugsgröße: den Arbeitsmarkt.
Frage: Gesundheitsminister Jens Spahn eckt an, weil er sagt, Hartz-IV-Empfänger haben, was nötig ist. Was sagen Sie dazu?
Ulrich-Arthur Birk: Die Grundsicherung reicht gerade so zum Überleben. Hartz-IV-Empfänger leben nicht gut. Das sollen sie aber auch nicht: Sie sollen schlecht leben. Das sagt nur keiner. Es muss einen finanziellen Anreiz geben, eine Arbeit aufzunehmen. Und der ist nur da, wenn das Hartz-IV-Niveau niedriger ist als das Nettoeinkommen von Geringverdienern, die arbeiten.
Ich vermisse in der Diskussion den Fokus auf den Arbeitsmarkt als Bezugsgröße: Grundsicherungsempfängern geht es nicht schlechter als den untersten 20 Prozent der Arbeitnehmer in der Einkommenspyramide. Diese Geringverdiener zahlen Steuern - und finanzieren noch diejenigen mit, die nicht arbeiten und Geld kassieren. Es gibt kein Grundrecht auf ein möglichst gutes Leben unabhängig von der eigenen Leistung.
Frage: Sind Hartz-IV-Empfänger arm? Antwort: Es gibt keine gesetzliche Definition von Armut. Wenn man darunter versteht, dass Menschen hungern und frieren, sind Hartz-IV-Bezieher nicht arm, denn ein bescheidenes Existenzminimum ist gesichert. Die statistische Armutsgrenze wurde auf 60 Prozent des Durchschnittseinkommens festgelegt: aktuell knapp 1100 Euro monatlich.
So gesehen sind Hartz-IV-Bezieher arm. Sie haben im Schnitt knapp 800 Euro monatlich. Würde das Hartz-IV-Niveau auf 1100 Euro pro Erwachsener angehoben, fielen 13,5 Millionen Menschen statt bisher sechs Millionen darunter. Also mehr Hartz-IV-Bezieher und nicht weniger. Die Kosten stiegen von 45 Milliarden auf 135 Milliarden jährlich. Wer soll das bezahlen ? So etwas diskutiert nur, wer von Volkswirtschaft keine Ahnung hat.
Frage: Was brachten die Hartz-Reformen, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen?
Antwort: Die aktivierenden Hilfen, die es braucht, um in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, funktionieren wenig. Es geht nicht, wenn die Betroffenen nicht mitmachen. Und manch einer liegt eben lieber auf der faulen Haut. Da steckt viel Heuchelei in der Diskussion. Die Unterstützung hat sich reduziert auf passive Hilfen zum Überleben.
Frage: Die neue Regierung plant Lohnkostenzuschüsse für den sozialen Arbeitsmarkt ...
Antwort: Es ist nicht verkehrt, den Anreiz zu erhöhen, im Zweiten Arbeitsmarkt eine Beschäftigung aufzunehmen. Aber man müsste Grundsätzliches verändern.
Frage: Welche Reformperspektiven sehen Sie?
Antwort: In anderen Ländern gibt es "Workfare"-Modelle. Statt Geld wird ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Ich würde Leute, die keine Hemmnisse haben, die also arbeiten können, im öffentlichen Sektor anstellen - selbst wenn einer den Straßenwächter macht: Er bekommt den Mindestlohn. Keine Ein-Euro-Jobs. Aber die Leute müssen etwas tun, um etwas zu bekommen. Anfangen würde ich mit den Unter-25-Jährigen. Das würde allerdings bedeuten, das Hartz-IV-System generell abzuschaffen, und das wäre ein enormer administrativer Aufwand - und noch größer wäre der politische Widerstand.
Das Gespräch führte Natalie Schalk.
Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der ein Smartphon selbstverständlich ist, aber ein warmes und auch gesundes Essen für Kinder und Jugendliche keinesfalls. Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der Markenprodukte selbst für Kinder und Jugendliche bereits zum Pflichtprogramm gehören, um cool und angesagt zu sein. Wir leben in einem Konsum-Leistungsdruck, der uns von Medien vorgemacht wird. Geld hat man in Deutschland gefälligst zu haben - sagte mir erst kürzlich ein Rechtsanwalt. Wir haben ein Bildungssystem, in dem der schnelle Wechsel von einem Thema zum Nächsten Lehrplan-bedingt ist, aber kein Mensch danach fragt, warum plötzlich die Schüler in der Berufsschule den Dreisatz und die Zinsrechnung nicht mehr beherrschen. Ausbildungsbetriebe laufen vergeblich dagegen Sturm. Schuld an allem ist Hartz-IV in der fünften Generation, weil alles nur noch mit NULL-Bock quittiert wird?! ADHS und ADS sind die Mode-Erkrankungen unserer kranken Gesellschaft?!
Nein. Schuld daran ist die Motivations- und Orientierungslosigkeit! Wir haben rund 6500 Ausbildungsberufe in Deutschland im Angebot, aber kein Mensch bereitet die jungen Menschen fundiert darauf vor! Wir gründen G8 und schaffen G8 wieder ab, so als wären unsere Kinder die Experimentierfelder der Universitäten und der Bildungspolitik. Dann brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn die Werte in unserer Gesellschaft systematisch den Bach runter gehen, mehr Schein als Sein zählt und jeder nur noch an sich selbst denkt!
Wo bleibt bitte dabei noch Platz für ausbildungs- und berufsorientiertes Denken, für die alles entscheidende Frage "wofür habe ich Lust früh um fünf aufzustehen?".
Wenn Du Spaß hast am Leben und an der Arbeit, dann schaffst Du auch etwas, dann bist Du erfolgreich und freust Dich über das Ergebnis! Aber auf wen trifft das bitte heute denn überhaupt noch zu? Wer keinen Spaß hat am Leben, der hat auch keine Lust, sich dafür anzustrengen. Wer immer nur Sanktionen erhält, der hat erst recht keinen Spaß!
na ja wenn man es 2-mal liest, kann man es auch ganz anders interpretieren
Das ist das Beste, was ich seit langem zu diesem Thema gelesen habe. Senden Sie bitte Kopien davon an sämtliche Entscheidungsträger in Bund, Land und Kommunen, politische Parteien, auch an alle Fürsprecher in den Kirchen, karitativen Organisationen und Gewerkschaften. Eine Art Denkzettel!
Es reicht, was die Leistungsträger unserer Gesellschaft mit Hilfe ihrer Steuern, Abgaben und Sozialbeiträgen für die Menschen abzweigen (müssen), die aus welchen Gründen auch immer keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder nur in einem zu geringen Umfang.
Und es bleibt jedem von uns, jeder Kirche/Gemeinde, jedem Verband unbenommen, freiwillig mehr zu tun für Menschen, deren Armut erbarmt. Was hindert ein paar gut betuchte Nachbarn, einer alleinerziehenden Mutter und ihren drei Kindern unter die Arme zu greifen? Mal eine Tüte Lebensmittel/Obst/Süßigkeiten vorbeibringen, fragen, ob sie vielleicht ein defektes Haushaltsgerät ersetzen möchten, die vier mal zu einem Sonntagsausflug einladen, den Kindern einen Schulausflug bezahlen, sie ins Museum mitnehmen oder ins Theater, der Mutter zu einem Job oder zu einer adäquaten Wohnung verhelfen! Der ganzen armseligen Familie Achtung und Zuneigung schenken und ihr Wege aufzeigen, wie sie in eine bessere Zukunft gelangen kann. So manche alleinerziehende junge Frau ist ganz einfach nicht wirklich lebenstüchtig. Da müsste man ansetzen und helfen.
Einfach nur mehr Geld für die Hartz-IV-Empfänger zu fordern, ist nicht zielführend. Höchstens sinnvoll für verarmte Alte, Schwerkranke und -behinderte.