Kaum einer surft auf der Welle fränkischer Regionalkrimis so virtuos wie Thomas Kastura. Seinem neuen Buch hat er ein ungewöhnliches Vorwort verpasst.
Mit seiner Frau und den beiden Töchtern lebt Thomas Kastura in
Bamberg. Dort hat er studiert, dort veröffentlicht er seit 1988 Erzählungen, Jugendbücher und Kriminalromane. Vor fünf Jahren erschien Kasturas erster Sammelband mit Brandeisen-&-Küps-Geschichten. In "Sieben Tote sind nicht genug", dem inzwischen dritten und erneut beim fränkischen Verlag Ars Vivendi erschienenen Band, schickt der 51-jährige Kastura die beiden Bamberger Ermittler Brandeisen und Kommissar Küps ein weiteres Mal auf Verbrecherjagd.
Frage: Im Vorwort zu "Sieben Tote sind nicht genug" glauben Sie betonen zu müssen, dass es sich bei Ihrem Buch um Fiktion und nicht um ein exaktes Abbild der Wirklichkeit handelt. Was bewog Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt?Antwort von Thomas Kastura: Ich fühle mich in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten als Schriftsteller in der Pflicht, den Leser auf das, was ihn erwartet, auch vorzubereiten. In meinem neuen Buch spielen Übertreibungen, groteske und surrealistische Elemente eine große Rolle. Vor allem aber Humor. Achtung, Satire!, könnte man auch sagen. Das sollte dem Leser klar sein, wenn er das Buch in die Hand nimmt.
Frage: Zeichnet es Literatur nicht aus, dass sie fünfe gerade sein lassen darf? Anders gefragt: Produziert gute Literatur nicht zwangsläufig alternative Fakten?Antwort: Doch, natürlich. Journalismus muss sich an die Tatsachen halten, Literatur nicht zwingend. Wenn sich Literatur dem Journalismus zu sehr annähert, verliert sie viel von dem, was ihre Faszination ausmacht. Literatur muss Gegenwelten schaffen, Alternativen formulieren und durchspielen. Nur handelt es sich bei den Regionalkrimis, zu denen ich "Sieben Tote sind nicht genug" allerdings nur bedingt zähle, um ein ganz spezielles Genre, an das ganz spezielle Leser ganz spezielle Ansprüche stellen.
Frage: Welche Ansprüche sind das?Antwort: Regionalkrimis, so heißt es immer wieder, sollen voll von Lokalkolorit sein. Sie sollen an Schauplätzen spielen, die es auch wirklich gibt. Straßennamen müssen stimmen, die Speisekarten in Restaurants, die Zahl und die Namen der örtlichen Biersorten. Die Leser erwarten, dass sie die Stationen der Geschichte ablaufen können, dass sich die Geschichte mit den eigenen Gewohnheiten deckt. Aber über einen bloßen Reiseführer sollte Literatur schon hinausgehen.
Frage: Wie reagieren Leser, wenn Stadt und Lokalkolorit nicht realitätsgetreu genug abgebildet sind?Antwort: Sie beschweren sich. Aber nicht bei mir, weil ich auf solche Details achte. Manchen Lesern entgeht jedoch, dass es sich bei meinen Geschichten eher um Parodien von Regio-Krimis handelt. Darin kommen auch mal Verrücktheiten vor wie eine Zeitreise oder ein spektakulärer Gefängnisausbruch während der Sandkerwa.
Frage: F
ühlen Sie sich von Regionalkrimis künstlerisch eingeschränkt?Antwort: Man muss sich an ein paar Regeln und Standards halten. Zu diesen Standards zählt auch das immer etwas skurrile Ermittlerduo. Ansonsten fühle ich mich völlig frei und bediene mich gern in der Lokalhistorie. Zum Beispiel greife ich einen tatsächlichen "Entführungsfall" aus den 1980ern auf, als ein sogenanntes Kommando Herodes Bambergs Weihnachtskrippen unsicher machte. Ausschließlich Kurzgeschichten zu schreiben, wäre mir allerdings nicht genug. Ich schreibe deshalb auch Bücher, die ohne regionale Bezüge auskommen, Jugendromane und wieder vermehrt Thriller.
Frage: "Heimat" feiert als politischer Sehnsuchtsbegriff derzeit ein unerwartetes Comeback. Witterten die Verfasser von Regionalkrimis schon viel früher dieses offenkundige Bedürfnis nach Geborgenheit?Antwort: Die Sehnsucht nach Heimat verstehe ich als Reaktion auf Globalisierung und den ungebremsten Siegeszug des Neoliberalismus. Beides empfinden viele Menschen offenbar als bedrohlich und überfordernd. Heimat dagegen verspricht ihnen Halt, Orientierung und Sicherheit. Dieses Versprechen drückt sich ganz banal auch im wachsenden Bedürfnis aus, regional und saisonal einzukaufen. Und vielleicht auch an der Freude an Krimis, die in derselben Stadt, in selben Milieu der Leser spielen.
Frage: Können Sie mit diesem emphatischen Heimat-Begriff etwas anfangen?Antwort: Mir ist er mitunter zu gefühlig. Ich werde immer dann hellhörig, wenn Begriffe die Gegenwart verklären und idealisieren.
Frage: Über die Vorzüge Bambergs müssen wir nicht sprechen, davon gibt es mehr als genug.Antwort: Bamberg ist fantastisch, keine Frage. Ich bin ja hier geboren.
Frage: Was stört Sie an der Stadt?Antwort: Vielleicht die Selbstgefälligkeit, in der sich einige Bamberger eingerichtet haben. Gerade weil ihre Stadt unzweifelhaft schön ist.
Frage: Können Sie vom Schreiben leben?Antwort: Nein, das können auch nur die allerwenigsten Autoren in Deutschland. Mehr als fünf Prozent werden es wohl nicht sein. Ich selbst schreibe noch Glossen und Hörspiele für den Bayerischen Rundfunk. Das damit verdiente Geld verschafft mir den nötigen Freiraum, um mich phasenweise ausschließlich um die Arbeit an meinen Büchern zu kümmern. Ein weitere wichtige Einnahmequelle sind Lesungen.
Frage: Lesen Sie gern?Antwort: Inzwischen schon. Ich musste aber erst lernen, wie man richtig gut vorträgt. Meine ersten Lesungen vor fast 20 Jahren waren ziemlich schrecklich. Das lag unter anderem auch daran, dass ich meinte, über die Maßen deutlich und vor allem Hochdeutsch vorlesen zu müssen.
Frage: Ein Irrtum?Antwort: Eine gewisse Sprachfärbung ist bei den Zuhörern durchaus erwünscht. Ein fränkischer Autor sollte in der Lage sein, unseren Dialekt zumindest ein bisschen rüberzubringen, wenn es zum Text und zur Situation passt.
Das Gespräch führte Christoph Hägele.