Jede Woche reißt im Landkreis ein Hund ein Reh. Laut dem Arnshäuser Jagdpächter Harald Wedler dringen Hunde und Halter oft zu tief in den Lebensraum des Wildes ein. Meist aus Unachtsamkeit.
Aus dem eingezäunten Garten gab es kein Entkommen mehr: Der junge Rehbock war in die Enge getrieben, von einem großen, schwarzen Hund auf das Arnshäuser Grundstück gehetzt. Nur wenige Meter vom rettenden Waldrand entfernt starb der Rehbock. Der Hausbesitzer vertrieb den Hund zwar, doch für das Wildtier kam die Hilfe zu spät, die Verletzungen waren zu schwer. Ein Polizeibeamter zog die Pistole, erschoss das Tier.
Das war vor zwei Wochen.
"Am anderen Ende der Leine" "Es ist extrem, dass Wild gerissen wird. Aber das hat den Bogen überspannt", schimpft Harald Wedler, einer von zwei Arnshäuser Jagdpächtern. Er zeigt die Bilder des toten Rehbocks, die tiefen Bisswunden, das geknickte Geweih. Bei diesem Anblick fällt es ihm schwer, ruhig zu bleiben. Immer wieder wird seine Stimme lauter.
Es regt ihn auf, dass ein Hundehalter sein Tier offenbar nicht unter Kontrolle hat und es in Wald und Flur frei laufen lässt. "Ein Hund ist ein Tier und hat seinen Jagdtrieb. Egal wo er losgelassen wird, er wird immer dahin laufen, wo er Wild findet", sagt er.
Solche Vorfälle seien nicht die Schuld des Hundes, findet Wedler. "Das Problem befindet sich am anderen Ende der Leine." Wer seinen Hund im Wald von der Leine und ins Unterholz lässt, wer ihn quer über
Wiesen und Felder in Waldnähe laufen lässt - schlimmstenfalls während der Dämmerung - der provoziere, dass sein Hund Wild aufstöbert und jagt. "Viele Hundehalter sind einsichtig und verhalten sich vorbildlich. Andere, nicht wenige, äußern sich arrogant: ,Mein Hund läuft keinem Wild hinterher'", schildert der Jäger.
Handelt es sich bei dem Vorfall in Arnshausen um einen Extremfall? "Das kommt leider überall vor", sagt Hans-Peter Donislreiter von der Unteren Jagdbehörde Bad Kissingen. "Wir haben 50 bis 60 gerissene Rehe im Jahr im ganzen Landkreis", schätzt er. Das ist ein Tier pro Woche, plus Dunkelziffer - nicht jedes tote Reh wird gemeldet oder überhaupt gefunden.
Im Vergleich dazu sei die Zahl der geschossenen Tiere zwar viel höher, aber dass Rehe gerissen werden, sei unnötig.
Der Todeskampf dauert oft lange, erklärt Donislreiter. Viele Hunde seien unerfahrene Jäger. Sie attackieren das Wild an Beinen und Bauch anstatt am Hals, wo es auf der Stelle getötet würde. "Man sollte nicht vergessen, dass es sich bei Rehen um Kreaturen handelt, die Schmerzen leiden", sagt Donislreiter.
Hundetrainerin Sabine
Claßen-Haase ist der Ansicht, dass manche Hundehalter ihre Tiere nicht richtig einschätzen können. "Es sollten nicht alle Halter über einen Kamm geschoren werden. Aber viele lassen den Hund viel zu weit weg laufen", sagt sie. Das sei blauäugig.
Wenn ein Hund gut erzogen ist und sich ohne Leine nicht weiter als fünf bis zehn Meter entfernt, "ist er auf jeden Fall abrufbar", sagt die Rettungshundeausbilderin.
Dann kann er angeleint werden, wenn er etwas wittert. Liegen aber hundert Meter oder mehr zwischen Herrchen und Hund, ist das Tier kaum zu kontrollieren.
Viel Arbeit für Mensch und Tier Claßen-Haase bietet in ihrer Schule spezielles Antijagdtraining an. "Die nätürlichen Triebe abzuschaffen geht nicht, aber man kann sie in eine andere Richtung lenken." Im Training werde der Hund spielerisch angeheizt, dann das
Spielzeug weggeworfen. Der Hund dürfe jedoch nicht einfach hinterher stürzen, sondern müsse das Kommando des Menschen abwarten. Das bedeute viel Training. "Das ist keine Sache, die man in zwei Wochen geregelt kriegt", sagt sie.
Für Jäger Harald Wedler geht die Problematik über die getöteten Rehe hinaus. Wenn Hunde während der Dämmerung in Flur und Wald ausgeführt werden, "geht Lebensraum für Wildtiere verloren", sagt er.
Gleich ob für Hase, Rebhuhn oder Reh. "Kein Muttertier nutzt für die jungen derart gestörte Plätze." In Arnshausen sind davon besonders die Flächen beidseitig der Bundesstraße zwischen Bad Kissingen und dem Stadtteil betroffen.
Außerdem ziehen sich laut Wedler die Rehe durch die Störungen tiefer in den Wald zurück. Die Folgen: Erst mehr Verbiss an Bäumen und dann die Forderung nach höheren Abschussquoten.
"Das ist eine banale Formel, die auf dem Rücken des schwächsten Gliedes ausgetragen wird", ärgert sich Wedler.
Hundetrainerin Claßen-Haase ist sich einig mit dem Jäger: Hundehalter sind verpflichtet, sich vernünftig und verantwortungsvoll zu verhalten. Freie Felder seien für ihre Hunde tabu, weil sich dort Wild verstecken könnte, und: "Ich meide die Dämmerung, weil da Wild unterwegs ist. Außerdem würde ich meine Hunde nie im tiefen Wald ableinen."