Die Kernzonen für das Schutzgebiet in der Rhön und den beteiligten Bundesländern und Landkreisen wurde mit einer Verordnung aus dem Jahr 2014 erweitert.
Jetzt geht es darum, die Inhalte des Papiers mit Leben zu füllen. - Millionen von Jahren war die Natur auf diesem Planeten sich selbst überlassen. Dann kam der Mensch. Seit einigen Tausend Jahren greift er in den Naturhaushalt ein. Nicht immer ist das gut. Was aber passiert in bisher vom Menschen kultivierten Landschaften und Wäldern, wenn wir der Natur die Natur wieder zurückgeben, wenn keine "künstlichen" Eingriffe mehr stattfinden?
Das Biosphärenreservat Rhön ist eine besonders geschützte Landschaft. Darin gibt es allerdings noch einmal extra geschützte Teile, die sogenannten Kernzonen. In denen soll die Natur sich selbst überlassen bleiben. Im Landkreis Bad Kissingen sind mit der Verordnung der Kernzonenerweiterung 2014 insgesamt 58 Flächen als Kernzone ausgewiesen worden. Sie haben eine Fläche von 3,5 bis 400 Hektar. Die Kernzonen sind wie ein Fleckerlteppich.
Infotour: Was passiert da?
Zu einigen Punkten dieses Fleckerlteppichs führte am vergangenen Freitag eine Informationsfahrt der Naturpark- und Biosphärenreservat-Verwaltung. Mit dabei: Bürger, Interessierte, Bürgermeister, zahlreiche Fachleute. Die Fahrt, die öffentlich ausgeschrieben war, war in Windeseile ausgebucht. Verständlich: Die fachliche Besetzung war hochkarätig und entsprechend die Informationen, die man vor Ort bekam. Mit dabei war Michael Geier, der Dienststellenleiter der Bayerischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats, Forstleute, Vertreter des Bund Naturschutz und Revierförster.
Vier Kernzonen angesteuert
Angesteuert wurden vier Punkte: Der Ofentaler Berg bei Hammelburg, die Kernzone Reithmühle bei Oberthulba, das Feuerbachtal im Neuwirtshauser Forst und die Kernzone Farnsberg/ Totnansberg in den Schwarzen Bergen. Es handelte sich um vier unterschiedliche Naturzonen, die zum einen die Vielschichtigkeit der natürlichen Gegebenheiten, wie auch die unterschiedlichen Herausforderungen aufzeigen konnten.
Recht "einfach" stellt sich die Situation am Ofentaler Berg dar. Hier gibt es größere (Schwarz-)- Kiefernbestände, Haselnuss- und Eichenbäume kommen durch. Die Natur hat seit 2014 angedeutet, wohin sie will, so Hubertus Tumpach, der zuständige Forstbetriebsleiter. Im 5,6 Hektar großen Kernzonengebiet haben es Edellaubhölzer, Elsbeere und Speierling wieder von alleine nach oben geschafft, Walnussbäume kommen hoch, die eigentlich noch nie auf diesem Standort waren. Wie kann das passieren? Eichelhäher vergraben Nüsse und vergessen sie. Das Ergebnis dieser Vergesslichkeit trägt Blätter, auf die Früchte muss man noch warten. Ein Beispiel, wie sich Pflanzen wieder ins Spiel bringen, wenn man die Natur sich selbst überlässt.
Man muss sich im Klaren darüber sein, so Gunter Hahner (Forstdienststelle Hammelburg), dass einige bisher hier vorhandene Pflanzen vielleicht verschwinden werden, während andere neu dazukommen. "Natur ist Verdrängen, Fressen und Gefressenwerden", so Hahner. "Hier wird es jedes Jahr spannend", merkte Michael Geier an, "da werden wir noch ganz andere Sachen finden." Botaniker Walter Hartmann (Bund Naturschutz) hat am Ofentaler Berg schon etwas ganz Seltenes gefunden, nämlich die "kleine Felsenkresse" (hornungia petraea), die auf der Roten Liste steht. Eine schon sehr außergewöhnliche Entdeckung.
Entlang der Thulba
Außergewöhnlich ist sicherlich auch die Kernzone Reithmühle bei Oberthulba. Diese Zone ist rund 50 Hektar groß und macht rund drei Prozent des Oberthulbaer Gemeindewaldes aus, wie Bürgermeister Gotthard Schlereth vor Ort erklärte. Ein "Sahnehäubchen", stellte der Bürgermeister fest, und hat sicherlich recht damit. Mit dem Rundwanderweg "Thulbataler" ist eine Extratour des "Hochrhöners" geschaffen, die durch eine sehenswerte, idyllische Landschaft entlang der Thulba durch Erlen und Eschen, Eichen und Hainbuchen führt.
Spechte in den Eichen
Hier, so Norbert Schmähling (Bund Naturschutz), finden sich sechs der in Europa lebenden Spechtarten - Schwarzspecht, Grün- und Grauspecht, Mittel-, Klein- und Buntspecht. Etwas Besonderes. Hier wie in den anderen Kernzonen ist eines besonders wichtig: Die Bevölkerung in den Schutzgedanken miteinzubeziehen. Das ist nicht immer leicht, weil die Nutzung in den Kernzonen eingeschränkt ist. Aber: Es gelingt, wie in Oberthulba. Zehn Jahre lang ist die Holznutzung in den Kernzonen noch zugelassen. Für Privatpersonen ausreichend. Den Forstleuten ist diese Frist manchmal zu kurz.
Was ist eigentlich Wald-Umbau?
Das hängt damit zusammen, dass "Umbaumaßnahmen" manchmal mehr Zeit benötigen würden. Wolfram Zeller, Forstdirektor und zuständig für den Staatswald Bad Brückenau, hätte für manche Abteilungen in den Kernzonen gerne mehr Zeit für den Umbau. Umbau heißt in der Regel, dass Nadelbäume durch Laubbäume ersetzt werden. Wobei eines klar ist: Ganz werden die Fichten und Tannen nicht aus unseren Wäldern verschwinden. Dafür sorgt die Natur schon selbst, wenn sie darf.
Ein Blick in die Geschichte zeigt - und Gunter Hahner hat dazu Wissenswertes gesagt, dass der wirtschaftliche Druck vor und während des Zweiten Weltkrieges dafür gesorgt hat, dass die Nadelhölzer in der Rhön angesiedelt wurden. Im Mittelalter, das belegen laut Hahner die Aufzeichnungen, hat es in der Rhön vor allem lichte Laubwälder gegeben, ohne großen Holzvorrat. Erst in der Neuzeit wurden schnell wachsende Nadelbäume gepflanzt, ausschließlich aus wirtschaftlichen Erwägungen, der Ertrag war da alles.
Ein Bachtal renaturiert
Sehr umfangreich sind im Bereich des Feuerbaches im Neuwirtshauser Forst die Arbeiten gewesen, um das Areal wieder in einen natürlichen Standort zurückzubringen. Adolf Herr, Leiter der Forstdienststelle Hammelburg, stellte die Maßnahmen für den Feuerbach und das dazugehörige Tal vor. Ulf Zeidler, Ex-Kreisvorsitzender des Bund Naturschutz, kennt sich hier bestens aus. Der Feuersalamander sei hier wieder heimisch geworden, berichtete er, hier findet man auch die anderen vier Molcharten. Das Fledermausvorkommen sei sehr ausgeprägt, zehn Arten finde man am Feuerbach. Ein gutes Zeichen.
Noch Schnee am Totnansberg
Der letzte Abstecher führte in die Schwarzen Berge, wo am Farns- und Totnansberg noch Schnee lag. Forstdirektor Wolfram Zeller berichtete davon, dass ein höherer Totholzanteil in die Kernzonen gebracht werden soll. Totholz ist in den Wäldern von besonderer Bedeutung, Totholz wird mit einer eigenen Flora und Fauna assoziiert. Hier entstehen Lebensgemeinschaften in der Rinde, im Holz, im Baummulm, in Baumhöhlen und in Sonderstrukturen wie Saftflüssen, Ameisennestern oder Brandstellen. Der Totholzanteil in Wirtschaftswäldern ist meistens gering, liegt bei ein bis drei Prozent. In den Kernzonen soll dieser Anteil aber auf 20 bis 30 Prozent erhöht werden.
Es wird spannend
Vier Besichtigungsstandorte, vier verschiedene Lebens- und Naturräume wurden bei der Kernzonentour angesteuert. Die Auswahl hat gezeigt, wie vielfältig die Wälder der Rhön und wie vielfältig die Aufgaben sind. Wie geht es jetzt weiter? Dr. Tobias Gerlach, zuständig für Forschungsprojekte und ökologisches Monitoring, wird dabei eine tragende Rolle spielen. Über das Biosphärenzentrum Oberelsbach wird er ein Auge auf die Kernzonen haben. 120 Monitoring-Punkte sind eingerichtet, an denen quasi mit dem Mikroskop beobachtet wird, was die Natur macht, wenn man sie lässt. "Der Wald wird sich verändern", sagt Gerlach. "Wir werden sehen, was passiert und die nächsten Jahre sind dabei die spannendsten."