Von den Vorteilen und Vorurteilen im Osten Bayerns können die Rhöner lernen. Eine Geschichte über Befürchtungen und Befürworter.
In drei Jahren feiert der Nationalpark Bayerischer Wald - Deutschlands erster Nationalpark (NP) - seinen 50. Geburtstag. Während der nächste gerade geboren wird, haben wir nachgefragt: Welche Erfahrungen haben Betroffene gemacht? Würden sie heute etwas anders machen? Welche Sorgen blieben, welche waren unbegründet?
Erhard Dick war zuerst ein Befürworter. Später wurde der Förster zum Gegner. Seit 1981 arbeitet er im
Forstrevier Frauenau. Das liegt am Rand des Nationalparks Bayerischer Wald. 720 Privatwäldler betreut der 62-Jährige heute. Einige haben 20 bis 30 Hektar, andere nur einen, eine Handvoll über tausend Hektar. Die Waldflächen grenzen an ein Gebiet, um das der NP vor vielen Jahren erweitert wurde. Als das passierte, sah Erhard Dick den Park plötzlich anders. Negativ. Später sollte er seine Meinung noch einmal ändern.
Wenn der Käfer kommt
"Einem Förster tut es weh, wenn hektarweise Wald unter dem Borkenkäfer zusammenbricht", sagt Erhard Dick. Vom benachbarten Forstgebiet konnte er bloß beobachten, wie der Käfer die Fichten im Nationalpark niederstreckte. Der Schutzstatus im Bayerischen Wald sei nun einmal entsprechend hoch, sodass der Käfer das durfte, erzählt er. "Es hängt davon ab, in welche Richtung sich der Wald entwickeln soll", sagt Erhard Dick. Dass der Käfer in Richtung Privatwälder aus dem Nationalpark schwärmt und die Bäume der Besitzer befällt, glaubt Markus Wirsich nicht.
Als Geschäftsführer der
Waldbesitzervereinigung (WBV) Regen ist
Markus Wirsichzuständig für 1000 Waldbesitzer, deren Flächen direkt am Nationalpark liegen. Auch wenn es in seinem Bereich keine Käfer-Schäden gibt, Waldbesitzer, erzählt er, die Probleme mit dem Borkenkäfer haben, sind nicht gut auf den Nationalpark zu sprechen.
Mit dem Klimawandel kommt der Käfer
Ob der Park zur Ausbreitung des Borkenkäfers in den Nachbarwäldern beigetragen hat, werde heiß diskutiert. "Man kann nicht nachweisen, dass der Käferbefall am Rand des Nationalparks mehr ist als anderswo", sagt Markus Wirsich. Er meint, der Klimawandel bringt den Käfer. Genauso wie die Zunahme der Schwarzwild-Bestände sei diese Entwicklung aber nicht dem Nationalpark geschuldet.
Weniger Holz hatten die Waldbesitzer nie zu befürchten, sagt der Geschäftsführer der WBV Regen. Er erinnert sich: Die Privatwaldbesitzer hatten eher die Hoffnung, dass der Preis für ihr Holz steigt, weil weniger aus dem Staatswald entnommen wird. Die Rechtler, die es in der Region gibt, werden vom Staatsforst weiterhin versorgt. Um sein Brennholz mache sich keiner Sorgen. Und um Enteignungen schon gar nicht: "Die wird es bestimmt nicht geben. Es geht ja auch um Akzeptanz." Die wächst stetig, sagt Förster Erhard Dick. Nicht einmal Jäger Karl-Heinz Schupp würde ihm da widersprechen.
Aussicht auf Trophäen
Karl-Heinz Schupp ist Ansprechpartner für die
Jäger rund um Regen und Zwiesel. Der Kreisvorsitzende besänftigt: "Die Stimmung hat sich vollständig entspannt." Große Streitigkeiten oder Zerwürfnisse gibt es nicht, sagt er. Klar, "mit waidgerechter Jagd hat das wenig zu tun", was im Nationalpark passiert beziehungsweise nicht passiert, meint er. Ein Vorteil für seine Jäger-Kollegen: Das Angebot ist größer, weil im Nationalpark weniger geschossen wird. So bleibt mehr für die Trophäenjäger. "Es ist ein Paradigmenwechsel, wenn ein Nationalpark entsteht. Ab dem Zeitpunkt laufen die Dinge anders. Nicht gut oder schlecht, anders."
Akzeptanz dauerte
Freilich, es hat einige Jahre gedauert, bis die Jäger-Kollegen die Veränderungen akzeptiert haben, erzählt er. Das sei abhängig davon, wie das Wildtiermanagement vor Ort umgesetzt werde. Angst vor dem Begriff sollte aber niemand haben, meint Karl-Heinz Schupp. Jagd darf es nicht heißen, sagt Förster Erhard Dick. "Wildtiermanagement ist im Grunde aber nichts anderes", meint er. "Wie es genannt wird, ist egal. Man muss mit den Leuten zurecht kommen", sagt Karl-Heinz Schupp, Chef der Jägerschaft Regen-Zwiesel. Für Franz Kerscher vom Bauernverband noch wichtiger: Es muss greifen.
Jagd auf Wildschweine
Franz Kerscher ist Geschäftsführer des Ortsverbandes Viechtach-Cham beim Bayerischen Bauernverband (BBV). Der Nationalpark ist älter als er. Seit vier Jahren betreut der 43-Jährige Landwirte aus den Kreisen Cham und Regen; Bauern, die in der direkten Nationalpark-Nachbarschaft wirtschaften. Nebenbei kümmert er sich um die Mutterkühe in seinem eigenen Betrieb. Die Probleme mit dem Schwarzwild werden gut angegangen: "Das muss man schon sagen, das funktioniert momentan", sagt Franz Kerscher. Mehr Sorgen macht ihm und seinen Kollegen gerade das Rotwild. Das habe sich stark vermehrt. Die Verantwortlichen bejagen zwar die angrenzenden Flächen, erzählt er, und auch Schäden werden übernommen, aber: Das, was die Rehe weggegefressen haben, können die Bauern nicht mehr ihrem Vieh geben. Sie müssen zukaufen. "Die Landwirte wollen aber am liebsten ihr eigenes Futter verfüttern", sagt Franz Kerscher.
Generell vertritt er die Meinung des Verbands und stellt die Frage nach dem Warum: "Es geht doch auch so", sagt Franz Kerscher. "Jedes Schutzgebiet bringt Einschränkungen." Was jetzt im Nationalpark zu finden ist, "hätte man auch ohne schaffen können", meint der Geschäftsführer des Ortsverbands. Rita Mautz sieht das anders.
Alleinstellungsmerkmal Nationalpark
Marketingtechnisch macht der Begriff "Nationalpark" sehr wohl einen Unterschied, meint Rita Mautz. Sie kümmert sich um Hotels und Gaststätten in Niederbayern im Bayerischen Wald. Seit 2008 ist sie Chefin des
Bezirks beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband. "Beim Gast suggeriert das etwas Besonderes, etwas Höheres. Nationalpark - das ist ein Alleinstellungsmerkmal." Viele Unternehmen werben mit dem Nationalpark, berichtet sie. Vor allem bei Besuchern aus dem Ausland habe diese Bezeichnung einen größeren Effekt als der Slogan "schöne Natur". Das Label "Nationalpark" sei griffiger. Überhaupt seien erst mit dem Nationalpark Einrichtungen wie Umweltbildungsstätten in die Region gekommen, die Besucher anziehen. Mit einem Nationalpark kommen Investitionen, sagt sie. Für Rita Mautz steht fest: Die Branche profitiert. Auch in Sachen Arbeitsplätze. Nicht nur in diesem Geschäftszweig muss wegen des Nationalparks niemand Angst um seinen Job haben.
Einzelne wurden laut
Das
Sägewerk Fischl in Kollnburgverarbeitet Holz von Privatwaldbesitzern aus der Region. Schon immer. Es liegt eine Stunde vom Nationalpark Bayerischer Wald entfernt. Die meisten kaufen heimisches Holz, erzählt Alexandra Fischl. Knapp werde das Holz nicht: "Es wird eher exportiert." Mit ihrem Mann Christian führt sie den Betrieb in der vierten Generation. Es waren einzelne Sägewerksunternehmer, die sich damals lautstark gewehrt haben, als der Nationalpark diskutiert wurde, erinnert sich Senior-Chef Otto Fischl. Die großen Sägewerke hätten damals schon gemerkt, dass es mit dem Holz eng wird, der 75-Jährige kenne aber niemanden, der seinen Betrieb infolge des positiven Beschlusses aufgeben musste. Arbeitsplatzverluste gab es bei den Fischls nicht. Das Sägewerk hat jetzt elf Angestellte. Und im Forst?
Förster Erhard Dick kennt niemanden, der wegen des Nationalparks entlassen wurde. Im Gegenteil, meint er: "Es werden Arbeitsplätze geschaffen." Als "Park-Rancher" oder in der Umweltbildung. Im Wald hat er beobachtet, dass sich eine weitere Sorge von damals als unbegründet entpuppt hat.
Wer muss draußen bleiben?
"Die Leute werden nicht ausgesperrt. Sie gehen zum Pilze sammeln", sagt Förster Erhard Dick. Das war nicht immer selbstverständlich, meint
Jürgen Fröbus vom Alpenverein. "Die Ausgangslage war hitzig." Die gleichen Diskussionen um Beeren und Pilze und Wege wie in der Rhön jetzt, gab es im Bayerischen Wald früher, sagt der 58-Jährige. Er ist Vorsitzender der Sektion Deggendorf beim Alpenverein. Die meisten Leute haben Verständnis, wenn wegen der Brutzeit Wege zeitweise gesperrt werden, erzählt er. Auch am sogenannten
"Wegegebot"störe sich der "normale Wanderer" nicht. Diejenigen, die auch die Pfade nutzen wollen, die der Nationalpark nicht freigegeben hat, sind Einheimische, meint er.
Wenige alte Wanderwege seien in seinem Gebiet betroffen. Jürgen Fröbus will nicht anstiften, vergleicht die Situation aber mit der im Straßenverkehr. "Es ist die Entscheidung von jedem persönlich, ob er sich an die Verordnung hält. Im Nationalpark wird keiner hinterm Baum stehen und kontrollieren." Das gelte auch für Schwammerlsucher. "Solange keiner über die Stränge schlägt, funktionier's." Spannungen gebe es beim Winter- und Klettersport. "Man muss mit Einschränkungen rechnen und leben."
Früh Vertrauen schaffen
Was Betroffene heute gerne ändern würden? Keiner überlegt lange: mehr und leichteren Eingriff von den Leuten vor Ort. "Die Zuständigkeiten müssten nach unten verlagert werden", sagt Franz Kerscher, Geschäftsführer des BBV-Ortsverbands. "Prinzipiell ist der Nationalpark nicht schlecht. Man muss nur vorher den Verhandlungsspielraum abstecken", sagt Markus Wirsich, Geschäftsführer der WBV Regen. Andere Regionen wie die Rhön könnten daraus lernen, dass im Bayerischen Wald "die Umsetzungsmethoden nicht so bevölkerungsfreundlich" gewesen sind.
Aus Fehlern lernen
"Man muss ja in der Rhön nicht die gleichen Fehler machen", sagt Erhard Dick, Forstamtsrat. "Man wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Das hat für eine Verbitterung gesorgt. Es hat Jahre gedauert, bis das Vertrauen wiederhergestellt war", sagt Jäger Karl-Heinz Schupp. Ein Tipp von Jürgen Fröbus für eine faire Diskussion: "Befürchtungen mit Informationen begegnen". Und: Von Beginn an offen und transparent verhandeln, damit sich erst gar keine falschen Informationen am Stammtisch manifestieren.
Heute ist Förster Erhard Dick wieder Befürworter. "Viele Befürchtungen haben sich als nicht wahr herausgestellt", sagt der Förster. "Ein kompletter Schutzstatus ist besser für den Wald als eine Bewirtschaftung. Nur bei weniger Nutzung kann man wirklich etwas für den Naturschutz tun."