Sie waren von überall her gekommen, um beim zweiten Rothenrainer Treffenden den Ort zu besuchen, an dem sie ein Teil ihres Lebens verbracht hatten.
Wildflecken/RothenrainZum zweiten Rothenrainer Treffen waren auch dieses Jahr mehr als hundert Ehemalige, Nachfahren und Interessierte erschienen. Nummernschilder wie GG, OF oder CW ließen eine weite Anreise vermuten. Den weitesten Weg hatte eindeutig Mary Baumgart-Hoteling. Sie war mit ihrem Mann Jim aus Evansville im US-Bundesstaat Indiana angereist.
Vor zwei Jahren hatten sie nur zufällig Walter Kömpel, den Initiator und Organisator des Rothenrainer Treffens, kennengelernt. Mit Ahnenliste und der Rothenrainer Chronik ausgestattet, betraten sie nun erstmals den Grund, auf dem Marys Urururgroßvater Heinrich Baumgart gelebt hatte.
Dieser hatte 1850 Haus und Hof verkauft, die Schulden beglichen und mit Ehefrau und acht Kindern die Überfahrt in die USA angetreten. Von LeHavre aus ging es im Segelschiff für drei Monate über den Großen Teich. Die Bedingungen für eine Landwirtschaft waren in Nordamerika eindeutig besser, erzählt Mary Baumgart-Hoteling, auch wenn die Vegetation ähnlich wie in Rothenrain ist. Keine Bilder, keine Erzählungen sind ihr von ihrem Vorfahren übrig geblieben. Informationen und Eindrücke in Rothenrain waren völlig neu und einfach "exciting".
Rückkehr in die Heimat
Selbst noch in Rothenrain geboren wurde Rudolf Girz. Als Fünfjähriger musste er 1938 mit seinen Eltern das Haus "besenrein" verlassen. Obwohl vom Gebäude kein Stein mehr steht, wusste er bereits im vergangenen Jahr, wo es gestanden hatte. Bei der Absiedlung hatte seine Mutter alle Zeitungsreste in den Ofen im Hof gesteckt und angezündet. Durch Funkenflug "fing der Kirschbaum, der daneben stand, auch Feuer und brannte halb ab", erinnert sich der heute 86-Jährige. Die andere Hälfte stand im vergangenen Jahr und auch heuer mit frischen Blättern am gewohnten Platz. Damals - "mitten im Frieden abgesiedelt" - wusste die Familie nur schwer, erneut Fuß zu fassen. Heute empfindet Rudolf Girz es als "unglaublich, dass ich in meine Heimat kommen kann". Diese zeigte er nun seiner Ehefrau und seinen drei Töchtern.
Aus Altersgründen lange überlegt
Anni Lorösch ist ebenfalls in Rothenrain geboren und war nun zum ersten Mal wieder im Dorf ihrer Kindheit. "Es ist doch gut, dass ich mitgekommen bin", so die 94-Jährige, die sich den Besuch aus gesundheitlichen Gründen lange überlegt hatte. Auch wenn die Häuser nicht mehr stehen, allein die Gegend weckte wieder gute und schöne Erinnerungen.
Überall auf dem ehemaligen Dorfgelände flanierten die Besucher, tauschten Erinnerungen und Neuigkeiten aus. Aufgestellte Bilder erinnerten an die alten Gebäude in Rothenrain. Viele Besucher haben eine gemeinsame Vergangenheit, was manche selbst erst am Rothenrainer Treffen entdeckten. So trafen sich ehemalige Bewohner und die Nachfahren ihrer Nachbarn völlig unvermutet vor ihren ehemaligen Grundstücken. Das Wetter gestaltete sich wechselhaft, nicht so die Stimmung. Von "interessiert" bis "begeistert" und "aufgeregt" waren sich die Bewohner einig, dass das Rothenrainer Treffen wiederholt werden sollte.
Historie des Ortes
Walter Kömpel gab geschichtliche Informationen zu dem ehemaligen Rhöndorf. Rothenrain verdankt seine Entstehung der Grenzsicherung zwischen dem fuldischen und dem würzburgischen Territorium. 1832 wurde mit dem Bau der Schule in Rothenrain begonnen. Bevor die Einweihung stattfinden konnte, bemerkte man, dass für den Dachstuhl faules Holz verbaut worden war. Die Fertigstellung verzögerte sich bis 1834. Der Bau des "Kirchleins" war 1738 mit vielen Spenden ermöglicht worden, die Gemeinde wurde vom Kaplan von Oberbach versorgt. Der Altar wurde im Zuge der Absiedlung nach Oberbach gebracht, die Heiligenfiguren und die Glocke befinden sich nun in Weißenbach. Nahe gelegene Quellen versorgten Rothenrain mit Wasser. Leider war die Schüttung dieser Quellen oft nur schlecht: "Die Leute hatten hier oben zu kämpfen gehabt", weiß Walter Kömpel. Früh einsetzende Winter und spätes Frühjahr erschwerten die Landwirtschaft, die den Bewohnern das Überleben sichern sollte. 1938 war das Dorf nach 381 Jahren abgesiedelt.
"Das ist keine große Geschichte, trotzdem eine eigene Geschichte", betonte Wildfleckens Bürgermeister Gerd Kleinhenz (PWW). Viele Besucher haben "Wurzeln hier oben". Kaum erklang die ehemalige Rothenrainer Glocke mittels Handy-Aufnahme zur Andacht, setzte Regen ein. Im vergangenen Jahr hatte der Glockenklang für Sonnenschein gesorgt. Diakon Christian Kubatko gestaltete die Andacht. In der Familie und der Heimat Frieden zu erleben, sei ein fundamentaler Wunsch.
In Gebeten und Fürbitten wurde für einen achtsamen Umgang zwischen den Generationen sowie Dankbarkeit und Verantwortung gegenüber der Vergangenheit gebeten. Musiker der Leichtersbacher Musikanten sorgen für musikalische Begleitung sowohl in der Andacht, als auch beim gemütlichen Beisamensein.