Kissinger Kindergärten und eine Klinik setzen auf Hunde. Denn die arbeiten anders als ihre menschlichen Kollegen.
Graue Haare, kalte Schnauze, Festanstellung seit eineinhalb Jahren. Sein Arbeitsplatz: der Maria-Stern-Kindergarten in Hausen. "Co-Pädagoge" steht auf dem orangefarbenem Halsband. Kindergarten-Hund "Benschj" hat gerade Dienst im Turnraum. Eines der Vorschulkinder schleudert das schwarze Täschchen über die Gummimatten. Der Golden-Doodle flitzt hinterher, schnappt sich den Beutel, trabt zurück und legt ihn vor Emilian ab. Kommando "Platz", Leckerli, kraulen, weiter zum nächsten. Acht Kinder lernen während der "Benschj"-Stunde, dass ein Hund für mehr steht als die formelhafte Warnung "Achtung, der beißt!". Die vierbeinigen Vermittler werden nicht nur als Pädagogen eingesetzt.
Kindergarten-Hund im Dienst
"Malou" liegt vor dem Garten hinter dem Haus. Der glatte Schwanz wedelt über den warmen Pflastersteinbelag. Drum herum wuseln Kinder in bunten Kapuzenjacken. "Darf ich streicheln?", fragt Mila. Was die Sechsjährige an der Labrador-Retriever-Dame am liebsten mag? "Wenn sie an meiner Hand schnüffelt." Andrea Böhm erlaubt die Schmuseeinheit im Sonnenschein. Sie leitet die Kindertagesstätte "Kleine Strolche" in Winkels. Ihr gehört das Tier. "Malou" ist ein Kindergarten-Hund. Vor gut einem Jahr hat Andrea Böhm den Welpen zum ersten Mal mit in die Kita gebracht. Davor schrieb sie einen Elternbrief, formulierte einen Fragebogen, lud zum Elternabend, stellte ihre Idee dem Träger des Kindergartens vor. "Keiner hat das Projekt abgelehnt."
Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Der eine schmust, während der andere noch beobachtet. Berührungsängste? "Haben die Kleineren noch weniger als Älteren", sagt Mirjam Mack, Leiterin des Maria-Stern-Kindergartens in Hausen und Frauchen von "Benschj". Vor zwei Jahren legte sie den Grundstein für das Projekt unter dem Titel "tiergestützte Pädagogik". Die beiden Kindergarten-Chefinnen ließen sich in München weiterbilden. Ein Hund zwischen tobenden Kindergartenkindern? Für die Leiterinnen ein Gewinn: "Man kann jeden Förderbereich mit einem Hund stärken", ist sich Andrea Böhm sicher.
Kommunikator statt Kuscheltier
Von und am Tier kann man viel lernen, sagt sie. Dass das nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene gilt, erklärt Bianca Reiß, Klinikmanagerin bei Heiligenfeld.
Die Kissinger Klinik bietet gleich mehrere tierische Therapiemodelle. Die sogenannten tierbegleiteten und die tiergestützten Therapien. Letztere verfolgt das Unternehmen seit mehr als zehn Jahren. Patienten kommen mit psychosomatischen Krankheiten, Angstzuständen oder Burnout in die Heiligenfeld Kliniken. Über Tiere wie Lamas oder Pferde wird bei der tiergestützten Therapie versucht, einen Zugang zu den Menschen zu schaffen. Bei der tierbegleiteten Therapie bringen Patienten ihre eigenen Haustiere mit. Genauer: ihre Hunde.
Reaktion: unmittelbar und unverfälscht
2014 haben die Therapeuten begonnen, Menschen gemeinsam mit ihren alltäglichen Begleitern zu behandeln. Aus guten Grund: "Jemand, der labil und unzuverlässig ist, ist nicht entscheidungsfähig und kann keinen Hund führen", meint Bianca Reiß. Das Haustier habe das Sagen. Für die Patienten steht Theorie- und Praxis-Unterricht mit einem Hundetrainer und Psychologen auf dem Programm. Die 27 Plätze für diese optionale Therapieform seien gut gebucht. Bianca Reiß hat selbst vier Hunde. Was kann ein Tier, was ein Mensch nicht kann? "Ein Hund gibt die ehrlichste Rückmeldung. Die Reaktion ist unverfälscht und unmittelbar." An ihr könne der Mensch sein eigenes Verhalten reflektieren. So werde der Hund auch nach der Therapie zur "Kontrollinstanz" für die Patienten. Die lernen, die Körpersprache des Tieres zu lesen - genauso wie die Vorschulkinder in der Tagesstätte.
Umgang mit anderen
Wie gehe ich auf jemanden zu? Wie fühlt sich derjenige? Der Umgang mit den Kindergartenhunden ist Vorbild für Zwischenmenschliches. Zudem fördert das Zusammenleben den achtsamen Umgang mit Lebewesen und gegenseitige Rücksichtnahme. Die Kita-Chefinnen beobachten, wie sich mit Kommando-Spielchen das Selbstbewusstsein mancher Kinder verbessert. Ganz nebenbei schärfe sich zudem die Motorik und die Sprache.
"Malou" ist mal Beiwerk, mal Hauptakteur: Beim Memory-Spiel können die Kinder Leckerli für den Hund gewinnen, die sie verfüttern dürfen; bei der Vorlesestunde liegt der Hund in der Gruppe, lässt sich kraulen und entspannt ganz nebenbei die Atmosphäre.
Benschj war in den letzten Wochen nur kurz zu Besuch in der Kita. Frauchen hatte eine Operation am Fuß und konnte nicht arbeiten. Wer wen mehr vermisst hat? Ihm haben die Benschj-Tage gefehlt, sagt Frederik. "Benschj hat uns auch vermisst", da sei er sich sicher. Er drück sich einen Finger in die Wange und erzählt, wie er genau beobachtet hat, dass Benschj gelächelt habe, als er wieder zwischen den Kindern lag.