Olena Albert stammt aus der Ukraine und bangt von Bad Kissingen aus um Freunde, Familie und ihre Heimat. Während sich dort die Ereignisse überschlagen, kann sie nur zusehen. Auch Tetyana Arnold aus Waldfenster fürchtet den Verlust ihrer Heim
Die Nerven liegen blank, selbst in über 2000 Kilometern Entfernung. Olena Albert ist vor 15 Jahren aus Saporischschja, einer Großstadt im Osten der Ukraine, nach Bad Kissingen ausgewandert, hat aber nach wie vor Verwandte und Freunde in Kiew, in Saporischschja und auf der Krim. Der Vater ihres Patenkindes arbeitet als Fußballtrainer auf der Halbinsel. Seit der Volksabstimmung am Sonntag über den Anschluss der Krim an Russland konnte sie ihn nicht mehr sprechen.
Das Internet wird jetzt von Moskau zensiert.
Über ihre Familie und Freunde ist Albert ganz nah an den Ereignissen dran. Die Maidan Proteste und die Besetzung der Krim durch Russland beschäftigen sie enorm. "Seit vier Monaten gibt es keinen Schlaf mehr", erzählt sie. Zu dem Zeitpunkt besetzten Demonstranten den Maidan-Platz im Herzen Kiews. "Die Sowjetunion ist nie zu Ende gegangen", meint sie.
"Das, was jetzt passiert, ist erst das Ende der Sowjetunion."
"Ein Tropfen im Meer" Die 43-Jährige ist patriotisch. Sie brennt für die Demokratiebewegung, die Präsident Viktor Janukowitsch Ende Februar aus dem Amt vertrieben hatte. "Ich möchte auch ein Tropfen in diesem Meer sein. Wenn ich in Kiew gewesen wäre, wäre ich auf den Maidan gegangen", sagt sie.
So wie ihr Bruder, ihr Vater und einige Freunde.
Jeden Abend, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt, sitzt Olena Albert stundenlang vor dem Computer, liest im Internet Nachrichten, schaut ukrainisches und russisches Fernsehen, durchforstet soziale Netzwerke und telefoniert mit ihrer Familie.
Ununterbrochen verfolgt sie die Ereignisse, von der Absetzung Janukowitschs bis zur Besetzung der Krim und dem umstrittenen Volksreferendum.
Die Vorgänge schockieren sie, halten sie gefangen. "Es ist unfassbar, was da passiert. Putin hat uns die Krim gestohlen. Wie kann unsere Regierung zulassen, dass dort bewaffnete Leute herum laufen?", ruft sie.
Hilflosigkeit und Ohnmacht Olena Albert ist nicht allein mit ihrer Sorge: "Ich finde das alles sehr traurig, und ich fühle mich ohnmächtig", sagt Tetyana Arnold, die in Waldfenster lebt und als Dolmetscherin
für russisch, ukrainisch und deutsch arbeitet. Arnold stammt aus der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer, 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Sie schildert, wie angespannt die Stimmung bei ihr zu Hause momentan ist. "Ich kann diese Themen nicht mit meiner Familie besprechen, weil sie sehr pro-russisch sind", sagt sie. Ihr Vater glaube der russischen Propaganda.
Wenn sie Putin kritisiere, komme es sofort zum Streit.
Eine alte Studienkollegin habe ihr gemailt, dass sie sich von der EU keine Unterstützung erwarte. Stattdessen hoffe sie, Putin würde der Ostukraine zu Hilfe kommen, weil die Wirtschaft dort am Boden liege. Die Leute seien kaum in der Lage, ihre Familien ordentlich zu versorgen. "Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht, ich sehe nicht richtig.
Aber solche Aussagen zeigen, wie gereizt die Leute sind", sagt Tetyana Arnold. Sie kann die wirtschaftlichen Hoffnungen, die in den pro-russischen Argumenten mitschwingen, nicht nachvollziehen. Russland werde die besetzten Gebieten später nicht unterstützen, befürchtet sie. Das habe er nach den Kriegen für ein unabhängiges Südossetien (2008) und ein autonomes Tschetschenien (1999 bis 2009) schon so getan.
Bloß nicht abspalten, das wäre für Arnold das Schlimmste. "Ich hoffe, dass der Westen Putin die Flügel abschneidet. Wenn alles außer Kontrolle gerät, wenn Putin sich durchsetzt, dann verliere ich meine Heimat", sagt Arnold. Eine russisch-besetzte Ostukraine werde sie nie besuchen.
Putins Propaganda putscht die ganze Situation nur noch mehr auf, findet Olena Albert.
Zum Beispiel, dass die Maidan-Bewegung und die neue Regierung in Kiew als faschistisch beschimpft wird. "Wenn das so ist, bin ich auch ein Faschist", empört sie sich. Die Leute, die sich nach Europa orientieren, sind ganz normale Menschen, nicht und bedingt pro westlich eingestellt, sondern vor allen Dingen pro-ukrainisch. "Bei dem Assoziierungsabkommen mit der EU ging es um die Hoffnung, die korrupten Eliten zu beseitigen", sagt Albert. Die Ukraine sei keine gespaltene Nation.
Olena Albert wird energisch: "Ich kann es nicht mehr hören, dass die Ukraine gespalten ist. Wir wollen einfach nicht, dass Russland ein Reich auf Kosten unseres Landes aufbaut."