Covid-Alltag in der Lungenfachklinik (1): Von der Intensivstation ins Leben zurück

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Petra Przybilla kommt zur Physiotherapie in der Akut-Früh-Reha auf das Patientenzimmer. Gerade steht Aufsteh- und Gangtraining mit Stefan Schmitt auf dem Programm.
Petra Przybilla kommt zur Physiotherapie in der Akut-Früh-Reha auf das Patientenzimmer. Gerade steht Aufsteh- und Gangtraining mit Stefan Schmitt auf dem Programm.
Benedikt Borst
Ärztlicher Direktor Bernd Seese Foto Marion Meißner-Dauelsberg
Ärztlicher Direktor Bernd Seese Foto Marion Meißner-Dauelsberg
 

Während die Pandemie im Alltag für viele in den Hintergrund rückt, ist sie im Thoraxzentrum weiter präsent. Zwischen künstlicher Beatmung und der Behandlung von Spätfolgen - Ärzte, Therapeuten und Patienten berichten.

Es waren noch zwei Wochen bis Weihnachten, als sich Stefan Schmitt (Name geändert, Anm. d. Red.) mit dem Coronavirus ansteckte. "Meine Tochter hat es aus der Schule mitgebracht", erzählt er. Die erste Woche hatte er noch zu Hause überstanden, dann hat die Infektion ihn völlig umgehauen. Dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ist eins der letzten Dinge, die er bewusst noch mitbekommen hatte. Der 47-Jährige verbrachte Wochen im Koma auf der Intensivstation und musste künstlich beatmet werden. Sein Zustand war so kritisch, dass die Ärzte ihn von Mittelfranken an die Uniklinik Würzburg verlegten. Die Ärzte dort retteten ihm das Leben.

Wie Menschen auf der Intensivstation wieder zu Atmen lernen

Die Reha beginnt bereits auf der Intensivstation

Als er wieder aus dem Koma erwachte, war das für ihn ein großer Schock. "Ich bin aus allen Wolken gefallen, weil ich gar nicht gewusst habe, wie ich hierher gekommen bin", sagt Schmitt. Den Schreck konnte er sich jedoch nicht von der Seele reden, denn in seinem Hals steckte zu dem Zeitpunkt immer noch der Schlauch, über den er beatmet wurde und der ihn am Leben hielt. Sprechen? Unmöglich! "Wenn man langsam wieder mitkriegt, was da alles in einem drinnen ist; das ist schon schlimm", sagt er. Die Situation habe ihm sehr zu schaffen gemacht. Sich nicht mitteilen zu können, zu schwach zu sein, um sich allein im Bett hinzusetzen, ernährt werden zu müssen, nicht zu wissen, wie lange der Zustand dauert bis oder ob man wieder gesund wird, keinen Kontakt zur Familie zu haben - das alles belaste massiv. "Es waren Momente dabei, wo man Angst kriegt und denkt: Scheiße, das wird nichts mehr."

Erleichterung pur: die ersten Worte

Als sein körperlicher Zustand soweit stabil war, haben ihn die Ärzte auf die Intensivstation des Thoraxzentrums nach Münnerstadt verlegt. Dort sollte er lernen, wieder selbstständig und ohne Maschine zu atmen und außerdem sollte er körperlich wieder aufgebaut werden. "Er war eine Woche auf der Intensivstation und hatte einen guten respiratorischen Heilungsverlauf", berichtet Petra Przybilla, Physiotherapeutin auf der Intensivstation. Schmitt habe für seinen Zustand überraschend schnelle Fortschritte gemacht. Er sei zwar noch sehr geschwächt, "aber es geht steil bergauf".

Nach wenigen Tagen war Schmitt den Schlauch im Hals sowie die Beatmungsmaschine los und wurde innerhalb des Thoraxzentrums von der Intensivstation auf die pneumologische Akut-Früh-Reha verlegt. Dort hat er ein eigenes Zimmer, wird aber noch sehr engmaschig ärztlich, pflegerisch und therapeutisch betreut. Inzwischen hat er wieder aus eigener Kraft zu sprechen gelernt, andere grob- und feinmotorische Dinge des täglichen Lebens wie aufstehen, laufen, sich anziehen und waschen oder auch Besteck halten muss er weiter trainieren. "Was ihm noch zu schaffen macht, ist die körperliche Schwäche", sagt die Therapeutin.

In Schmitt haben die Verzweiflung und die Angst Platz gemacht für Optimismus und Hoffnung. "Ich bin zuversichtlich, dass es wieder wird.Es muss wieder werden." Als wichtige Etappe auf dem Weg der Genesung empfindet er es, wieder sprechen zu können. ,Guten Morgen' waren die ersten vier Silben, die er in der Reha hervorgepresst hat. "Die ersten Worte waren eine Riesenerleichterung. Man hat seine eigene Stimme wieder", sagt er. Endlich konnte er wieder Kontakt zur Familie aufnehmen und mit seiner Frau und Tochter telefonieren. Daraus zieht er Kraft für alles weitere. "Das Sprechen war ein Meilenstein", sagt Schmitt.

Erfolgschancen in der Akut-Früh-Reha

Erfolgversprechende Schicksale wie das von Stefan Schmitt sind für das medizinische Personal im Thoraxzentrum wichtig. "Wenn man solche Patienten nach Wochen auf der Intensivstation wieder auf dem Flur laufen sieht, macht das Spaß", sagt der Ärztliche Direktor des Thoraxzentrums und Chefarzt für Pneumologie, Bernd Seese.

Die Patienten hätten in der pneumologischen Früh-Reha gutes Potenzial, auf lange Sicht wieder leistungsfähig zu werden. Es müsse ihnen aber klar gemacht werden, dass die Genesung Zeit braucht. "Das ist ein langer Prozess, aber die Mehrzahl der ehemaligen Intensivpatienten wird wieder Lebensqualität und Leistungsfähigkeit zurückgewinnen. Wir haben kaum Patienten erlebt, wo wir nicht über die Akut-Früh-Reha deutliche Verbesserungen erzielt haben", betont der Lungenspezialist.

In der Sprechstunde: Post-Covid-Anlaufstelle für Mitarbeiter aus dem Gesundheitssektor

Es sind allerdings nicht die schwerkranken Intensivpatienten, die den größten Anteil an den Corona-Patienten ausmachen. "Die Mehrheit übersteht die Infektion zu Hause mehr oder weniger gut und heilt dann entweder aus oder leidet an Spätfolgen", erklärt Seese. Mediziner unterscheiden je nach Zeitpunkt des Auftretens zwischen dem Long- beziehungsweise dem Post-Covid-Symptom.

Corona hat viele Gesichter

Das Coronavirus verursacht die verschiedensten Krankheitsbilder. Rund 200 Symptome an Organen, Nerven, Muskeln und Psyche sind bekannt - von Atemnot über Erschöpfungszustände sowie Konzentrationsschwierigkeiten bis zu Entzündungen des Herzmuskels, motorischen Einschränkungen und Depressionen. Menschen, die nach einer Corona-Infektion nicht wieder zur vollen Leistungsfähigkeit zurückfinden, sollten einen Arzt aufsuchen, rät der Mediziner. Seese meint: "Je früher man behandelt, umso besser ist die Chance, die Menschen auf den richtigen Weg zu bekommen."

Patienten berichten über Post-Covid-Reha: Über ihre schweren Spätfolgen und das Training gegen die Kurzatmigkeit

Das Thoraxzentrum behandelt stationär Reha-Patienten mit Long- und Post-Covid-Beschwerden und bietet eine Sprechstunde sowie ambulante Behandlungen an. Hauptzielgruppe sind Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten und sich im Beruf mit Covid-19 angesteckt haben. Das Thoraxzentrum arbeitet als Belegklinik mit der zuständigen Berufsgenossenschaft für Nordbayern zusammen.

Leistungsträger im Gesundheitswesen

Die Mehrheit ist zwischen 40 und 55 Jahre alt - erfahrene Leistungsträger für das Gesundheitswesen. "Wir müssen alle Register ziehen, um diese Menschen in der besten Phase ihres Lebens wieder in den Beruf zurückzubringen", sagt Seese. Sonst verschärfe sich der bereits gravierende Fachkräftemangel weiter. Eine speziell auf Corona ausgerichtete Diagnostik sowie Therapie existieren aufgrund der vielfältigen Krankheitsbilder nicht. Die Ärzte müssen bei der Diagnose von Corona-Spätfolgen als Erstes herausfinden, was betroffen ist - liegen die Ursachen für die Atemnot beispielsweise im Lungengewebe, in den Lungengefäßen oder in der Atemmuskulatur wie dem Zwerchfell?

Ist das Problem lokalisiert, erhalten die Patienten einen Therapieplan. Der Lungenspezialist appelliert an Betroffene, nicht allein zu Hause mit ihren Beschwerden herumzulavieren, sondern sich medizinische Hilfe zu suchen.