Roland Kaiser, Ur-Gestein des deutschen Schlagers, brachte im Luitpoldpark in Bad Kissingen Generationen zusammen. Welche Rolle dabei der Schnitzelwagen spielt.
1980, elterliches Wohnzimmer. Meine Schwester (10) und ich (11) lümmeln vor dem Fernseher. Es gab damals drei Programme. Wir starrten auf Dieter Thomas Heck mit seiner Hitparade im "ZettDeeeEfff" und warteten auf Chris Roberts. Wir liebten Chris Roberts und stritten uns bei jeder Ausstrahlung: Wem schaute Chris jetzt gerade via Bildschirm tief in die Augen? "Mir!" - "Nein, mir!". Vor Roberts kam meist Roland Kaiser. Ich habe ihn allerdings nicht verstanden. "Santa Maria" war auf Platz eins und ich hörte "Schnitzelwagen, Santa Maria, vom Mädchen bis zur Frau".
Die ersten sind um 16 Uhr da
2022, Bad Kissinger Luitpoldpark, erste Reihe vor der Bühne. Hier drängen sich die Menschen, die schon um 16 Uhr am Eingang des weitläufigen Parks Schlange standen, um sich den begehrten Platz und den besten Blick auf Roland Kaiser zu sichern. Kaiser ist mittlerweile 70 Jahre alt. Er hat über 90 Millionen Tonträger verkauft. Er wird zwei Stunden und 15 Minuten einen Hit nach dem anderen abliefern. Sein Markenzeichen: Makellosigkeit.
Markenzeichen: Makellosigkeit
Makellos ist seine Stimme, noch immer, was einem Wunder gleicht. Denn Kaiser erhielt 2010 eine neue Lunge, die alte hatte nach Jahrzehnten der Raucherei aufgegeben. Zu hören ist davon nichts. Makellos sitzt der Dreiteiler, er zieht erst spät das Sakko mit Einstecktuch bei schwüler Wärme aus. Kommentiert wird Kaiser in Weste mit Johlen, fast nur von Frauen. Und die sind oftmals deutlich jünger als der Sänger.
So wie Monika aus Altötting, die zwei Tage später auch in Münster sein wird. Sie reist Roland Kaiser hinterher. Was reizt sie als 44-Jährige so an diesem Mann, dass sie später ein Schild hochhalten wird mit dem Satz und Songtitel "Manchmal möchte ich schon mit dir"? Ihre Freundin daneben stellt zumindest für sich klar: "Hinter der Bühne auf ein Dunkelbier". Monika: "Es sind seine Texte, das Gefühl darin, die Botschaft - und sein Charme."
Schwofen, küssen, Händchen halten
Nicht nur Frauen fühlen seinen Charme mit leuchtenden Augen. Werden Männer unterschätzt, was Romantik angeht? Zumindest die Art Romantik, in der sich das Gros wohl wiederfindet, zwischen Liebe und Zoff, Eifersucht und Freiheit und auf jeden Fall immer mit Happy End? So viele alte und junge, glückliche Paare, Händchen haltend, schwofend, küssend sieht man sonst nur beim Verlassen der Kurstadt-Kneipen und dann, weil schattenhaft, eher heimlich in der Nacht.
Schlager boomt
Seit etwa der Jahrtausendwende hat der Schlager einen Boom. Ob Maite Kelly, Andrea Berg oder Helene Fischer: Es ist vielen nicht mehr peinlich, deutsche Liebesschwüre mitzusingen. Allerdings: Der Marktanteil des Schlagers laut Jahresreport "Musikindustrie in Zahlen 2020" ist seit 2014 (6,5 Prozent) bis 2020 (3,4 Prozent) erheblich gesunken. Der Umsatz der deutschen Musikindustrie betrug 2020 rund 1,79 Milliarden Euro, Tendenz wieder stark steigend, nachdem die Downloads ab 2010 ein Tal in die Kurve gerissen haben.
Ganz vorne stehen auch Mila und Marie, Zwillinge, zehn Jahre alt. Um die Schlagerbranche weiter nach vorn zu bringen, haben ihre Eltern in den Geldbeutel gegriffen. "Die Tickets waren eine Belohnung für zwei 1,0-Zeugnisse in der 4. Klasse", erzählt die Mutter. Mila und Marie mussten nicht gezwungen werden, sie haben sich das Konzert gewünscht, sie finden Roland Kaiser "einfach gut und die Melodien schön".