Wolfgang Rüdell aus Bamberg ist mit seinem Bulldog samt Bauwagen in ganz Deutschland unterwegs, um sich die Denkmäler anzusehen.
Für Wolfgang Rüdell ist die Sache klar: "Wer als Rentner keine Zeit hat, der macht was falsch." Der 73-Jährige hat Zeit, viel Zeit. Die braucht er auch, wenn er mit seinem Bulldog der Marke Kramer aus dem Jahr 1962 unterwegs ist. Das luftgekühlte Gefährt mit satten 22 Pferderstärken unter der Haube schafft immerhin 18 Stundenkilometer. Aber die will er dem guten Stück nicht auf Dauer zumuten. Und so ist er mit durschnittlich 13 "Sachen" auf Deutschlands Straßen unterwegs, um sich Denkmäler und die Kunstwerke darin anzuschauen. Dafür hatte er früher keine Zeit .
"Einmal bin ich schon durch", sagt der Steinrestaurator. Weil er aber nicht alles gesehen, oder aber ein paar Dinge noch einmal betrachten will, hat er sich ein zweites Mal auf die Straße begeben.
"Alle Leute, die auswärts arbeiten, müssen sich ranhalten", weiß Wolfgang Rüdell aus eigener Erfahrung. Er war als Restaurator viel in Deutschlands Städten unterwegs. Zeit, sie anzusehen, hatte er nicht. Genau das holt er jetzt nach. Nach Münnerstadt ist er natürlich wegen der Stadtpfarrkirche gekommen. "Besonders freue ich mich auf die Anna Selbdritt", sagt er.
Die Skulptur aus der Riemenschneiderschule zeigt Anna mit der erwachsenen Maria und dem Jesuskind auf dem Schoß. "Die Heilige Anna hat im Mittelalter eine sehr große Rolle gespielt", sagt der 73-Jährige. Er kennt viele Geschichten. Neu ist ihm weder Münnerstadt, noch die ganze Region. Er war schon einmal hier. Denn eigentlich, so stellt sich heraus, ist Wolfgang Rüdell Diplom-Pädagoge, war früher in der Erwachsenenbildung in Bad Kissingen tätig. Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose nannte sich das Ganze. Weil er auch in Bad Neustadt und Coburg an verschiedenen Projekten tätig war, beschloss er nach Eyershausen zu ziehen. Damals hat er auch für verschieden Zeitungen gearbeitet. Dort, nahe der früheren Zonengrenze, erlebte er den Fall der Mauer. Er schwärmt davon, wie gleich danach der Turm des Schlosses Glücksburg in Römhild gerettet wurde und beschließt bei der Gelegenheit, dass er doch wieder einmal das Steinsburgmuseum zwischen den Gleichbergen besuchen sollte.
"Manchmal geht es im Zickzack", sagt er. Eigentlich kommt Wolfgang Rüdell gerade aus Bad Königshofen, will als nächstes die Kirchenburgen im Landkreis Rhön-Grabfeld und dann in Thüringen besuchen. "Ich ändere meine Pläne auch mal spontan, mein Reiseführer ist der Dehio." Georg Dehio war ein Kunsthistoriker, der das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler verfasst hat. Heute gibt es davon eines für jedes Bundesland, und Wolfgang Rüdell hat sie alle.
Die Arbeit als Pädagoge hat ihn derart beansprucht, "dass ich alle paar Jahre einen Handwerkersommer eingelegt habe". Soll heißen, der heute 73.Jährige hat sich in den verschiedensten Berufen probiert. "Auch als Schreiner", sagt er und zeigt seine Hand, an der vier Fingerkuppen fehlen. Irgendwann ist er dann beim Restaurieren von Stein gelandet, und dabei ist er geblieben.
Als Rentner hat er sich dann einen alten Bauwagen gekauft und ihn umbebaut. Ein Bett ist darin, eine Küche und ein Schreibtisch. Damit geht es nun in sehr langsamen Tempo über die Straßen. "Genau so wollte ich es haben." Kleinere Nebenstraßen meidet er, weil die oft kurvig und schmal sind. "Ein zu schnell fahrender Motorradfahrer hat keine Chance, wenn plötzlich ein praktisch stehendes Fahrzeug auftaucht." Statt dessen benutzt er übersichtliche Staats- und Bundesstraßen. "Ich fahre so langsam, dass mich jeder überholen kann. Ich ziehe nie eine Schlange hinter mir her."
Nun, auffällig ist das Gefährt schon, das weiß natürlich auch Wolfgang Rüdell. Sehr oft werden Vergleiche mit Peter Lustig gezogen, den früheren Star der Sendung mit der Maus, der in einem ähnlichen Bauwagen wohnte. "Eigentlich habe ich mit Peter Lustig nichts zu tun." In einem Fall stimmt das aber nicht ganz. Er wurde einmal auf seinen Reisen von Kindergärtnerinnen angesprochen, ob er nichts mit den Kleinen machen könnte. So hat er sich einen Rest einer Papierrolle für Zeitungen besorgt und Farbe hingestellt. Die Kleinen tauchten aber liebe ihre Hände hinein und hinterließen Abdrücke am Wagen. Die hat er dann übermalt, weswegen der Wagen heute so bunt ist. Dass er versehentlich Lack- statt Acrylfarbe erwischt hatte, was das Säubern der Kinderhände deutlich erschwert hat, ist eine andere Geschichte.
Inzwischen hat Wolfgang Rüdell den Dehio für Bayern in die Hand genommen, schaut vorsichtshalber noch einmal nach, welche Kunstwerke ihn in der Stadtpfarrkirche erwartet. Zwei, drei Tage bleibt er an einem Ort. Die nähere Umgebung erkundet er mit einem kleinen Motorrad. Dann geht es weiter - ganz langsam dem nächsten Denkmal entgegen.