Zwei Gruppen der Reservistenkameradschaft Großwenkheim arbeiteten zwei Wochen lang auf einem deutschen Soldatenfriedhof in den Ardennen.
Vor genau 100 Jahren, von Februar bis Dezember 1916, tobte in Frankreich bei Verdun eine der brutalsten Schlachten des Ersten Weltkrieges. Mehr als 300 000 junge Männer aus Frankreich und Deutschland starben. - In derselben Region nahe Sedan startete im Mai/Juni 1940 die deutsche Armee ihre Westoffensive. - Heute, 2016: Ein Soldatenfriedhof im kleinen Örtchen von Noyers-Pont-Maugis. Das kleine Dörfchen im Departement Ardennes liegt fünf Kilometer südlich von Sedan. Der Ort hat 718 Einwohner ... und eben einen Soldatenfriedhof. Auf der deutschen Kriegsgräberstätte ruhen insgesamt 26 843 Tote gefallene Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges.
Paul Petzold ist der erste der Gefallen, der mir unter kommt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit einer Drahtbürste in der Hand beuge ich mich über seine Grabplatte.
Sie muss gesäubert und die Schrift wieder nachgezogen werden. Deshalb sind wir hier. Wir von der Reservistenkameradschaft Großwenkheim. Wir sind die zweite Gruppe. Gestern haben wir die erste Gruppe abgelöst, die ebenfalls eine Woche lang auf diesem Soldatenfriedhof gearbeitet hat. Wir sind im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterwegs. Für den Einsatz auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Noyers-Pont-Maugis haben wir uns freiwillig gemeldet. Wir opfern unsere Freizeit dafür. Die meisten von uns sind Rentner, einige nehmen sich für diesen Einsatz Urlaub. Kein Problem.
Ideell, Kameradschaft, Neues sehen
Warum macht man so etwas? Freiwillig. Auch dieser Frage wollte ich nachgehen, als ich mich zur Teilnahme entschlossen habe. Klar, als erstes ist es die Aufgabe, die einen reizt. "Für uns ist es wichtig, dass wir einen aktiven Beitrag leisten zur Erhaltung der Friedhöfe und den Gefallen der Kriege eine Ehre erweisen", sagt Heribert Gessner, der Vorsitzende der Reservistenkameradschaft Großwenkheim. "Es ist ein Einsatz für den Frieden. Die Pflege der Kameradschaft gehört dazu und wir wollen auch was von Land und Leute sehen und kennenlernen", ergänzt er. Ja, das kommt schon hin. Wir sind in einer französischen Kaserne in Charleville-Mézières untergebracht. 20 Autominuten vom Friedhof entfernt. Der Spieß hat uns mit offenen Armen aufgenommen. "Pas de problem" - "kein Problem" - ist seine Standardantwort auf alles. Wir, zu acht, sind auf zwei Zimmer verteilt. Soldatenunterkunft, rustikal. Pro Zimmer vier Betten mit einer Art Metallummantelung (Spinde/Stauraum), Waschbecken, Duschen. "Wir haben schon schlechter gewohnt", sagt Günther.
Reichlich und gut
Die Großwenkheimer kennen solche Unterkünfte. Nicht zum ersten Mal sind sie bei solchen Einsätzen in Kasernen untergebracht. Das Essen gibt es in der Soldaten-Kantine. Reichlich und gut. 6 Uhr aufstehen, 6.30 Uhr Frühstück, 7.30 Uhr Fahrt zum Soldatenfriedhof in Noyers. Dort werden wir von den Mitarbeitern, die auf dem Soldatenfriedhof für die Pflege der Anlage fest angestellt sind, erwartet. Alles können die nicht leisten, was an Arbeit anfällt, vor allem das nicht, was wir machen sollen, nämlich die Grabplatten säubern. Für den gesamten Friedhof mit über 26 000 Gräbern erstreckt sich diese Arbeit auf mehrere Jahre. Sie wird von "auswärtigen Gruppen" geleistet, wie Christophe Planson, der Friedhofsverwalter, uns erklärt.
Viele Aufgaben
Mit seinen beiden Mitarbeitern Eric Gourion und Emmanuel Ferron kümmert er sich die vielen Arbeiten, die auf einem solch großen Areal anfallen: Rasenmähen, Bäume und Hecken schneiden, Wege säubern und diese instandhalten, etc.. Wir sollen Holzbänke wieder auffrischen und Grabplatten säubern. In der Werkstatt liegen dafür etliche Drahtbürsten bereit ... und Knieschoner. "Ich bin katholisch, ich kann mich knieen", scherzt Martin und kniet sich vor eine Grabplatte. Erde und Moos haben sich auf dem Stein festgesetzt, die Schrift ist leicht verwittert, nicht mehr deutlich zu lesen. Die Grabplatte wird befeuchtet, dann geschrubbt, dann wieder gesäubert. Wenn alles trocken ist, kommt der nächste mit einem weißen Edding-Stift und zieht die Buchstaben der Inschrift nach.
Regen, Regen, Regen
Bei der ersten Gruppe vor uns hat das noch einigermaßen geklappt, weil da das Wetter mitgespielt hat. Es muss drei Stunden mindestens trocken bleiben, wenn man mit dem weißen Stift die Gravuren nachziehen will. In dieser Woche ist das kaum der Fall. Immer wieder regnet es, teilweise so stark, dass wir eine Pause einlegen müssen. Das tut ganz gut. Die Jüngsten sind wir nicht mehr und dankbar für ein paar Minuten, in denen wir unseren Knien und Rücken eine Pause gönnen dürfen.
Nicht vergessen
Zeit, um über den diesjährigen Einsatz in Frankreich ein wenig zu plaudern. Wir sind in der Nähe von Sedan, im Tal der Maas in den Ardennen. Die Gegend war sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg sehr umkämpft gewesen. Verdun ist nicht weit, etwa 90 Kilometer entfernt. "Was damals passiert ist, darf nicht in Vergessenheit geraten", sagt Wacki. Und Herbert spricht von einer Arbeit, die einen erfüllt, die zufrieden macht. Natürlich steht bei allen auch das gemeinsame Tun im Vordergrund, die Kameradschaft, die Freundschaft, die alle verbindet. Es macht Spaß, gemeinsam hier etwas Sinnvolles zu leisten, die Stimmung ist bestens, es wird ein wenig gealbert und sehr angeregt über das ein oder andere diskutiert.
Meditieren über Schicksale
Und dann ist es wieder still, jeder ist gebeugt über den Gräbern junger Männer. Man denkt darüber nach, welches Schicksal sich hinter den Namen verbirgt.
Unteroffizier Wilhelm Kockel, geboren am 17. 10.1914, gestorben am 9.6.1940. Ein junger Mann, war er verheiratet, war er vielleicht schon Vater. Hier ist er gefallen, 25 Jahre alt. Im Mai 1940 war die Westoffensive der Deutschen Armee. Die 15. und 16. Division sind nördlich von Sedan über die Maas in Richtung Noyers vorgerückt. Hier trafen die deutschen Soldaten auf das 17. Corps der 4. französischen Armee. Man versucht sich vorzustellen, wie das damals war. Während die Hände die Drahtbürste über die Grabplatte fahren lassen, entstehen Bilder von Soldaten, die gefallen sind. Rauch- und Nebenschwaden ziehen vor dem geistigen Auge vorbei. Ein Schlachtfeld tut sich auf, übersät mit toten Leibern.
Gedanken und Kranzniederlegung
Gleich nebenan ist noch ein kleiner französischer Soldatenfriedhof. Krieg war noch nie die Lösung für ein Problem, kommt es einen in den Sinn, die Sinnlosigkeit des Krieges und der Tod der jungen Männer, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben, beschäftigen uns beim Säubern der Grabplatten. Einen Kranz legen die Reservisten auf den Friedhöfen während ihrer Einsätze nieder. Heuer ist das nicht anders. Richard findet bewegende Worte, als die Gruppe allein in der kleinen Kapelle des Soldatenfriedhofes steht. "Was sagen uns die gefallenen Soldaten?", fragt Richard. Und jeder hört in sich hinein. Eine Kerze wird entzündet, Wilfried legt den Kranz auf die Gedenkplatte, rückt die Schleife zurecht. Eine Weile hängen wir unseren Gedanken nach, dann geht es weiter. Die Grabplatten warten. Nach zwei Wochen ziehen wir Bilanz: Wir haben Parkbänke abgebaut, abgeschliffen, neu gestrichen und aufgebaut; wir haben fast 1200 Grabplatten gründlich gesäubert und auf vielen, längst nicht auf allen, wieder die Schrift erneuert. "Wir können zufrieden sein mit dem, was wir geleistet haben", sagt Martin. Es ist Freitagmittag. Die Arbeit endet hier. Wir verabschieden uns von Christophe, Eric und Emmanuel und dann fahren wir wieder rund 500 Kilometer nach Hause. Wir sind müde, zufrieden und erwartungsvoll: Wo geht es wohl nächstes Jahr hin?
Bisherige Einsätze
Die Soldatenkameradschaft Großwenkheim hat bisher folgende Arbeitseinsätze auf deutschen Soldatenfriedhöfen in Europa absolviert. Es fahren jeweils zwei Gruppen von je sechs bis zehn Mann für jeweils eine Woche.
7. bis 15. August 2000:Brueulles Sur Meuse / Verdun (Frankreich)
2. bis 24. April 2010:
La Campe / Normandie (Frankreich)
3. bis 14. September 2012:
Futa Pass (Italien bei Florenz)
4. bis 27. September 2013: Niederbronn /Elsass (Frankreich)
5. bis 21. Oktober 2014:
Oglandes / Normandie (Frankreich)
6. bis 15. August 2015:
Pomezia / Rom (Italien)
7. bis 18. Juni 2016:
Noyers-Pont-Maugis (Frankreich)
pz