Ihr habt die Alpen? Wir haben die Rhön mit Skiliften, an denen wir selten anstehen müssen, und die Kissinger Hütte, aus der jeder rausfliegt, der Helene Fischer auch nur pfeift.
Ihr habt Karl Valentin? Wir haben Karl Beudert. Und der lebt.
Ihr habt die Mariensäule? Geschenkt, die ist nichts gegen unseren Verlobungstempel.
Und eine Maria Magdalena haben wir sogar gemeinsam. Die Kopie der Riemenschneider-Dame hängt bei uns prominent und öffentlich in der Stadtpfarrkirche, bei euch das Original versteckt im Nationalmuseum. Wenn es bei jungen Münchnerinnen hip ist, den "Januhairy" zu feiern, in dem sie sich vier Wochen nicht rasieren, sind wir hier schon viel weiter: Unsere Mary ist komplett behaart. Immer.
Jedes Jahr ein Schweden-Krimi
Ihr habt Internet? Wir auch. Meistens jedenfalls. Also oft.
Ihr habt Kultur? Die Provinz auch. Ein Schloss samt Museum, dazu Riemenschneider und Veit Stoß und natürlich das packende Heimatspiel: ein ziemlich großartiger und handgemachter Krimi über die wunderbare Rettung der Stadt vor den fiesen Schweden, bei dem 200 Menschen mitspielen. Ohne Gage, versteht sich.
Ein Taxi braucht hier keiner
Ihr habt Wohnungsnot? Wir sind derart gesegnet mit leerstehenden Gebäuden, dass wir sie nach unseren Vorstellungen bespielen können. Umsonst. Mit Unterstützung der Stadt. Wie im Sommer 2018 den alten Bahnhof. Vier Monate Konzerte, Ekstase, Disco, Lesung, Häkelkurse, Kunst (auch aus dem Ausland!) und Musik samt nächtlicher Performance vor staunenden Pendlern. Und ums Heimkommen braucht sich hier keiner sorgen: Wer dreimal umfällt, ist daheim. Ein Taxi braucht hier keiner. Es würde auch keins kommen.
Unsere Arbeitslosenquote im Landkreis liegt bei um die drei Prozent, ähnlich wie in München. Und Münnerstadt liegt mitten zwischen zwei Bäderlandkreisen mit vielen Stellen im Gesundheitswesen und auch in der nahen Industrie.
Beim Metzger gibt's Gelbwurst und Gerüchte
Wir haben in Laufweite Bäcker, Metzger, Schulen, Gymnasium, Berufsbildungszentrum, Kindergarten, Ärzte, Apotheken, Altenheime, Sportanlagen, Lebensmittelläden, Bioladen, Blumenhändler, Barbier-Shop, Bestatter, sogar eine Bestatterschule, Antiquariat, Frisöre, Cocktailbar, Wirtshäuser. Dazu kommen über 100 Vereine. Und überall könnten wir anschreiben lassen, weil wir uns hier alle kennen. Okay, vielleicht nicht gerade beim Bestatter. Dafür kennen wir die Namen in den Todesanzeigen.
Und während ihr die Metzgerei Boggensagg nur aus dem Radio kennt, haben wir die samstags live, wenn sich alle an den Fleischtheken treffen: die Kinder kriegen Gelbwurst, die Alten gut abgehangene Gerüchte. Den Käse dort gibt es extra für die Vegetarier, damit sie samstags nicht vom Klatsch abgeschnitten sind.
Ein leer stehendes Hallenbad haben wir auch und unter anderem wegen ihm eine politische Kultur, die unseren Bürgermeister öfter in die Zeitung bringt, als ihm oft lieb sein dürfte. Auch bereits in die Süddeutsche, aber das war ein anderes Thema.
Ihr habt Biergärten, wir haben offene Gartentüren. Ihr habt Feinstaub, wir haben das Unesco-Biosphärenreservat. Ihr zahlt für den Liter Bier fast 10 Euro, dafür trinken wir hier zwei Liter Frankenwein.
Und das Beste an Münnerstadt ist: Die Provinz ist großzügig, nicht nur, was die Weite der Natur und Maria Magdalena angeht - wir würden sogar an Münchner vermieten.
Liebe Grüße aus Münnerstadt,
Susanne Will
PS: Wenn Sie das mal erleben wollen - kommen Sie einfach vorbei. Wir haben nämlich sogar Hotels."
Meinen Glückwunsch, Frau Will, zu dieser Liebeserklärung! Bringt genau auf den Punkt, warum auch ich meine Tage lieber in der "Provinz" verbringe als im hektischen und unpersönlichen Gelärme einer Großstadt. Augenzwinkernd und humorvoll haben Sie aber auch die kleinen Schwächen nicht verschwiegen, die, stellvertretend für alle anderen Kleinstädte, auch in Münnerstadt anzutreffen sind.
Hat Spaß und gute Laune gemacht, Ihren Kommentar zu lesen! Weiter so