Noch pfeift sie. Doch: Die Kröte mit dem besonderen Namen steht kurz davor auszusterben. Die letzten Tiere in ganz Bayern leben in der Rhön.
Was hat knubbelige Warzen, trägt die Kinderchen wochenlang huckepack und pfeift am Abend, wenn es dunkel wird, aus dem letzten Loch? Genau: Ein Geschöpf, das kurz vor dem Aussterben steht. In Bayern leben nur noch ein paar von ihnen - und allesamt hier in der Rhön.
Geburtshelferkröte heißt die Amphibie, die sich am liebsten in einem gemütlichen Steinhaufen verkriecht. Nur noch wenige Exemplare sind geblieben. Für eine Handvoll Tiere gehen Ehrenamtliche einem bekannten Wahrzeichen der Schwarzen Berge bis auf den Grund.
In der Tiefe des Bergsees lauert die tödliche Gefahr: Hechte. Fünf Prozent des Sees werden für die Kröte reserviert - mit Hilfe eines Netzes. Das wird im Frühjahr versenkt und im Herbst wieder rausgeholt. Für das Artenhilfsprojekt rückt die Kissinger Wasserwacht mit Taucherbrille und Neopren-Anzug und Booten an. Es ist das "letzte Mittel", sagt Jürgen Thein. Der Diplom-Biologe betreut das Projekt. Gerade am Farnsberg ist die Lage dramatisch. Nicht mal ein Dutzend Tiere vermutet der Wissenschaftler rund um den See am Tintenfass.
Sämtliche Tiere, die in Bayern bis heute überlebt haben, leben im Biosphärenreservat Rhön. Thomas Glinka von der Unteren Naturschutzbehörde spricht deshalb von einer "besonderen Verantwortung". Dr. Tobias Gerlach koordiniert Forschungsprojekte im Biosphärenreservat Rhön. Der Wissenschaftler weiß: "Die Geburtshelferkröte gehört zu den wichtigen Verantwortungsarten der Rhön. Sollte sie hier bei uns erlöschen, wäre sie in ganz Bayern ausgestorben." Das Artenhilfsprojekt des Landesamt für Umwelt läuft seit über zehn Jahren. Das Amt bezeichnet den Bestand als "äußerst kritisch" und "hochgradig gefährdet". Die Biologin Dr. Susanne Böll hat das Hilfsprojekt in den vergangenen Jahren ausgebaut. Der Plan: besondere Maßnahmen für eine besondere Tierart. Die Geburtshelferkröte verfolgt im Gegensatz zu ihren Artgenossen eine ganz eigene Strategie - das hat ihr auch ihren Namen eingebracht.
Nachwuchs "immer am Mann"
Die Männchen sorgen sich um den Nachwuchs. Sie wickeln sich die Kinderlein um die Fußgelenke und haben so ihre Nachkommen "immer am Mann". Einen Monat lang schleppt der Papa das Ei-Paket mit sich herum und bewacht seine Kinder. Sind die Jungs und Mädels dann soweit, steuert die Kröte den Tümpel der Wahl an, wo die Kaulquappen aus ihren gummiartigen Eiern schlüpfen. Bis aus den zierlichen Kaulquappen junge Kröten werden, leben sie in diesem Gewässer - meist bis zum darauffolgenden Frühsommer. Tagsüber verkriechen sich die Tiere in Erdhöhlen oder unter Steinen. Schön feucht und gemütlich warm hat sie es gern. Abends, wenn es dämmert, gibt die Kröte ihr Konzert: Zwischen April und August kann man die seltenen Tiere hören. Ihrem hellen, melodischen Ruf verdankt die Kröte ihren Beinamen "Glockenfrosch".
Weil es ihr an natürlichem Lebensraum mangelt, hat sich die Kröte in Gebiete zurückgezogen, wo einmal Gestein abgebaut wurde - wie hier am alten Basaltsteinbruch am Tintenfass. Am See in dem Abbaukrater fühlt sie sich wohl. In einem noch aktiven Steinbruch im Nachbarlandkreis Rhön-Grabfeld geht es geschäftiger zu, was die Kröte nicht zu stören scheint. Die Tagesschau ist längst zu Ende, als die Tiere zwischen den Steinen ihr abendliches Konzert anstimmen. Zuerst als Solo, dann wird es mehrstimmig. Jürgen Thein horcht: ein Flöten, Pfeifen, Fiepen. Je dunkler der Abendhimmel, desto mehr Melodien. Jedes Tier singt sein Lied in seinem eigenen Ton. Der Lockruf der Männchen klingt wie feine Glasglöckchen.
Luftlinie ein paar Meter entfernt: Wo noch vor einigen Jahren tonnenschwere Panzer durch das Becken einer Waschanlage gerumpelt sind, werden die Tiere später ihre Nachkommen in ihre Kinderstube überlassen. Hier lauern keine gefräßigen Fische. Doch die sind nicht die einzigen Feinde der Tiere. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Gewässer verschwunden, sagt Jürgen Thein. Und mit ihnen die Kröte. Zwischen 1980 und 2016 sind so 70 Standorte verloren gegangen, von denen die Wissenschaftler wussten.
"Kröten-Pate" werden
Was wird getan, damit diese seltenen Art überlebt? Tierschützer legen kleine Tümpel neu an und schütten Steinhaufen als Unterschlupf auf und freilich: Sie behalten die Population im Auge. Das tun nicht nur Jürgen Thein und die anderen Wissenschaftler. Auch spezielle "Kröten-Paten" kümmern sich um die gefährdete Art. Am Tintenfass-See, den der Kissinger Bund Naturschutz betreut, haben die Frauen und Männer der Oberbacher Bergwacht ein Auge auf die Population. Einmal im Monat zählen sie die rufenden Tiere.