Dreifacher Kieferbruch vor der Disco: Elf Zeugen sollten am Kissinger Amtsgericht aufklären, wer den Schlag ausgeteilt hatte.
Seit dem Schlag lächelt Alex G.*
(Namen von der Redaktion geändert) nicht mehr so wie früher. "Auf der einen Seite hängt sie", antwortet der 23-Jährige der Richterin und deutet auf seine Lippe. An drei Stellen war sein Kiefer gebrochen. Ein Schlag. Mehrere Metallplatten sollen helfen, dass der Knochen wieder zusammenwächst. Acht Wochen lang konnte er nicht kauen. Beim Bücken und Heben hatte der Handwerker ein Vierteljahr lang Schmerzen. Ein Schlag. Letztes Jahr, eine Woche nach Ostern, traf er ihn. Jetzt wurde derjenige, der ihn ausgeteilt hatte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Am Ende überführte ihn auch eine blau-weiße Wollmütze.
Alex G. erinnert sich erst wieder daran, dass er im Krankenhaus aufgewacht war. Bier, Schnaps, Cocktails - wie so oft wurde auch an diesem Abend mit reichlich Alkohol gefeiert. Er und seine beiden Kumpels waren am frühen Morgen unter den letzten Gästen im Look in Bad Kissingen. Durch Hooligan-Lieder waren sie negativ aufgefallen, hatte der Betreiber später der Polizei gesagt. Das Personal wollte Schluss machen und schickte die verbliebenen Nachtschwärmer nach Hause. Stattdessen sollte Alex G. die darauffolgende Woche im Krankenhaus verbringen.
Angeklagter sagt nichts
Vom Angeklagten wird die Richterin während des Prozesses am Kissinger Amtsgericht nichts hören. Der lässt über seinen Verteidiger ausrichten, dass er in eine Schubserei vor der Disco verwickelt gewesen sei, mit den Verletzungen aber nichts zu tun habe. Helle Jeans, grauer Pulli, graue Sneakers, die Haare gestylt, dunkle Augenränder - der 19-jährige Angeklagte sitzt still neben seinem Verteidiger. Am Ende des dreistündigen Prozesses wird es das Gericht als bewiesen ansehen, dass der damals 18-Jährige vor der Diskothek Look mit einem Faustschlag den Kiefer von Alex G. dreimal gebrochen hat. Elf Zeugen waren zur Klärung geladen: Kumpels des Opfers, ein Freund des Angeklagten, Zaungäste, Polizeibeamte, der Disko-Betreiber. In dem Handgemenge soll nicht nur Alex G. etwas abbekommen haben.
Puzzlearbeit für das Gericht: Mit den Details, an die sich die Zeugen erinnern konnten und den Einzelheiten, die sie damals bei der Polizei nacherzählt hatten, sammelte das Gericht Indizien. Die sprachen am Ende gegen den Angeklagten. Bei der Gegenüberstellung mit einer sogenannten Wahllichtbildvorlage, bei der Zeugen mit verschiedenen Fotos, inklusive einer Aufnahme des Angeklagten, konfrontiert werden, haben mehrere den Angeklagten erkannt. Einig waren sich die Befragten - mit Ausnahme des Kumpels des Angeklagten - bei der Wahl seiner Kopfbedeckung: eine blau-weiße Wollmütze. Der Akzent, Alter, Größe: "Die Täterschaft hat sich heute erwiesen. Es kommen nur Sie in Frage", sagte die Richterin. So sah es auch die Staatsanwältin, die den 19-Jährigen gerne in einen dreiwöchigen Arrest geschickt hätte. Der Verteidiger widersprach: "Die Zeugenaussagen geben das einfach nicht her." Er hoffe auf eine Geldstrafe, "nicht mehr als 1000 Euro".
Tritt zwischen die Beine
Das Gericht hatte außerdem über eine weitere Strafsache in Richtung Körperverletzung über den Angeklagten zu urteilen. Im Sommer des vergangenen Jahres war der auf einem Supermarktparkplatz mit zwei jungen Männern aneinandergeraten, die er aus einer Shisha-Bar kannte. Den einen hatte er gegen den Hals geschlagen und den anderen zwischen die Beine getreten - ohne, dass die beiden ihm einen Anlass gegeben hätten, meint das Gericht. Der 19-Jährige wird unruhig, schüttelt den Kopf und kneift die Augen zusammen; blickt zu seinem älteren Bruder, der in der letzten Reihe auf den Zuhörerplätzen sitzt, sagt nichts.
Am Ende entschied die Richterin, dass er 1200 Euro an den Verein Kidro zahlen muss. Seit ein paar Wochen hat der Verurteilte einen Job als Hilfsarbeiter, im September will er eine Lehre beginnen. Es war das erste Mal, dass er sich vor Gericht verantworten musste.
Ein Vollbart verdeckt die Narben von Alex G. Manchmal spürt er sie noch heute, erzählt er.