Die amerikanischen Streitkräfte hatten für nachts 3 Uhr Schussbefehl. Ludwig Kirchner konnte die Katastrophe für die Stadt kurz vorher noch abwenden.
Kriegslärm, die ständige Angst vor Luftangriffen, wilde Gerüchte über das Näherrücken der Front und der amerikanischen Truppen, seit Ende 1944 war die Stimmung wie überall auch in Hammelburg sehr bedrückt. Mitte März 1945 herrschte Gewissheit, dass im Aschaffenburger Raum bereits gekämpft wurde. Am 27. März erreichte ein US-Kampfverband bereits das Gefangenenlager auf dem Hammelburger Lagerberg. Dieser wurde zwar zurückgeschlagen, es war in der kleinen Stadt an der Saale jedoch eine sehr beklemmende Osterzeit. In den ersten Apriltagen zogen Schwärme von Wehrmachtssoldaten von der Front her mit schwerem Gerät, teils geordnet, teils als versprengte Einzelgänger durch die Stadt. Nun war für die noch Verbliebenen klar, der Feind war ganz nahe.
Überraschend ruhig war die Nacht des 3. April für die Hammelburger, "die Ruhe vor dem Sturm", schreibt Dr. Max Greger in seinem Erinnerungsbüchlein an die letzten Kriegstage in Hammelburg. "Die Straßen waren fast menschenleer, kaum einmal ein Auto zu sehen, bespannte Fuhrwerke wagten sich nur im Notfall hinaus", fährt er fort. Kampfeslärm von Westen, weiterer, nächtlicher Durchzug deutscher Abteilungen, das Treiben mutete beinahe gespenstisch an.
Saalebrücke gesprengt
Ab dem 4. April setzte starke Alliierte Fliegertätigkeit über Hammelburg ein, das erneut direktes Ziel von Bomben und Bordwaffenbeschuss wurde. Das Pfarrhaus und die Kirche wurden getroffen, deren Mosaikfenster in tausend Scherben zersprangen. In der Nacht auf den 6. April schließlich sahen die Hammelburger suchende Scheinwerfer am Himmel, ebenso Leuchtkugeln, Geschützdonner war ein permanenter Begleiter. Greger verdeutlicht die Stimmung in der Stadt: "Es war eine unheimliche Nacht, allgemein hatte man das Empfinden: die Entscheidung ist da!"
Am nächsten Tag sprengten die abziehenden deutschen Soldaten die 800 Jahre alte Hammelburger Saalebrücke. Die Amerikaner sollten so verlangsamt werden, Wirkung zeigte diese Maßnahme im Nachhinein nicht. Gleichsam am 6. April verschwand die Lagerbesatzung, ebenso zogen die noch übrigen Wehrmachtseinheiten aus der Stadt ab. Nach Besetzung des Lagers durch US-Truppen um 19 Uhr wandte sich deren Fokus nun endgültig Hammelburg selbst zu. Auf dem Lagerberg, der Liebenthaler Höhe sowie auf halber Höhe des Buchberges in Richtung Untererthal stellten die Alliierten drei Artilleriebatterien auf. Diese begannen sich um kurz nach 19 Uhr auf die Stadt einzuschießen. Ungefähr 30 Schüsse gingen auf Hammelburg nieder. Das Krankenhaus wurde getroffen, ebenso gab es Verwüstungen auf dem Marktplatz, im Rathaus und der von-Hess-Straße. Vier Tote waren zu beklagen, darunter eine Krankenschwester. Der Beschuss dauerte bis 21 Uhr.
Der letzte in der Stadt mit eingeschränkter Befehlsgewalt war der Erste Bürgermeister Karl Clement. Dieser zögerte jedoch dem wachsenden allgemeinen Willen nachzugeben, eine Abordnung zu den Amerikanern zu schicken. Zu groß war die Angst vor den Konsequenzen bei einer Rückkehr der Wehrmacht, hatte man erst einmal Kapitulationswillen gezeigt. "So verging der erste Teil der Nacht in drückender Ungewissheit", schreibt Greger.
Im Laufe des späten Abends kam allerdings auch bei Clement die Einsicht, dass Kapitulation der einzige Weg war, die Stadt vor einer Katastrophe zu bewahren. Joseph Bindrum bekam den Auftrag für den Abzug noch in der Stadt weilender Soldaten zu sorgen und die Waffen der Volkssturmangehörigen wurden eingesammelt. Doch blieb die Frage, wer denn nun zu den Amerikanern gehen sollte. Fieberhaft wurde diskutiert, aber es fand sich zunächst keiner, der zu dieser lebensrettenden Aufgabe bereit war. Schließlich meldete sich der städtische Angestellte Ludwig Kirchner, der aufgrund eines USA-Aufenthaltes sogar ein wenig Englisch sprach.
Begleitet von einem australischen und einem belgischen Kriegsgefangenen machte er sich in die dunkle Nacht hinaus auf den Weg. Ausgestattet mit der weißen Fahne und zwei roten Sturmlaternen gingen die drei um ungefähr zwei Uhr nachts die Fuldaer Straße hinaus, bis sie im Dunkel amerikanische Panzer ausmachten. Einem entgegenkommenden Offizier überbrachte Kirchner schließlich die Botschaft, dass die Stadt frei von Militär und bereit zur Übergabe sei. Wenig später, um viertel nach Zwei in der Nacht auf den 7. April, zogen US-Truppen auf dem Hammelburger Marktplatz ein. Clement und der zweite Bürgermeister Eduard Kessler übergaben den Amerikanern daraufhin nochmals offiziell die Stadt. Ein Deutsch sprechender US-Captain führte die Übergabegespräche für die alliierte Seite. Dabei kam heraus, dass die um Hammelburg aufgestellte Artillerie ab drei Uhr Schussbefehl hatte. Praktisch in letzter Stunde wurde Hammelburg somit vor einem noch schlimmeren Schicksal bewahrt und der zweite Weltkrieg war für die Stadt an der Saale beendet. In der Folge übernahmen dort US-Truppen die Entscheidungsgewalt, doch war das für die Hammelburger nicht von überbordender Bedeutung. Die feierten am 22. April einen Dankgottesdienst für die Errettung der Stadt.