Durch Verlieren dazu gewonnen

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Uwe Hellmig trägt schon seine Sonnenschutzgleitsichtbrille, denn gleicht geht er zum Deutsch üben mit seinem Schüler Karim Ghafuri nach draußen. Anja Vorndran
Uwe Hellmig trägt schon seine Sonnenschutzgleitsichtbrille, denn gleicht geht er  zum Deutsch üben  mit seinem Schüler   Karim Ghafuri  nach draußen. Anja Vorndran
Ein Blick in das Übungsbuch. Anja Vorndran
Ein Blick in das Übungsbuch.  Anja Vorndran
 

Es ist eine ganz andere Form von Finderlohn und es ist eine Bereicherung für beide. Der eine hat sein Geld wieder und kann helfen, der andere lernt Deutsch.

Er wollte nur mal kurz einkaufen gehen und dann war der Geldbeutel weg. Heute lacht Uwe Hellmig darüber, denn sein Leben ist nach diesem Verlust wesentlich reicher geworden. Auch Karim Ghafuri freut sich, er hat das Portemonnaie gefunden, seitdem wird sein Deutsch jeden Tag etwas besser. Statt Finderlohn wünschte sich der 49-Jährige Deutschunterricht und Uwe Hellmig erfüllte diesen Wunsch auf eher unkonventionelle Weise.

Den Anfang der Geschichte machte ein trüber Mittwochabend im Februar, daran erinnert sich der 67-Jährige Rentner genau. "Ich wollte nur noch schnell ein paar Lebensmittel kaufen", erzählt er bei einem Gespräch im Mehrgenerationenhaus. Weil das nächste Geschäft ganz nah liegt, griff er nach seinem Geldbeutel, der immer auf dem Schreibtisch deponiert ist, zog Schuhe und Mantel an und lief los. Was nach dem Bezahlen an der Kasse passiert ist, das weiß er nicht. Er ging nach Hause, packte seine Sachen aus und legte sich irgendwann schlafen. Vom Verlust der Geldbörse hatte er keine Ahnung - bis am nächsten Morgen das Telefon klingelte. Iris Hönig, Geschäftsführerin vom Mehrgenerationenhaus Bad Kissingen, bat ihn, nach seinem Geldbeutel zu schauen. "Ich habe sofort alles überprüft, zuerst natürlich den Schreibtisch und festgestellt, dass er wirklich weg ist", so Hellmig. Kreditkarte, Bankkarte, Ausweis, Führerschein, Bargeld - alles weg. Die Sache wäre richtig teuer geworden - wenn nicht Karim Ghafuri ein ehrlicher Finder wäre.


Er stammt aus Afghanistan, ist per Flieger, Schiff, Bahn und zu Fuß vor dem Krieg daheim geflüchtet. Nach seiner Ankunft in Coburg und Stationen in Schweinfurt und Hammelburg lebt er seit einigen Monaten mit seiner Familie jetzt in Bad Kissingen. Mittwochs spielt er Volleyball, auf dem Heimweg nach dem Training sah er den Geldbeutel auf der Straße liegen, hob ihn sofort auf und wartete erst einmal ein paar Minuten, ob jemand suchend vorbeikommt.

Da dies nicht der Fall war, nahm der vierfache Vater den Fund am nächsten Morgen mit ins "Sprachcafé", denn hier besuchte er wöchentlich bei Katja Kellermann den Deutschkurs. Weil er die Sprache noch nicht so gut beherrschte, habe er Iris Hönig um den Anruf bei Hellmig gebeten, so Ghafuri. "Über den Personalausweis haben wir die Adresse herausgefunden und angerufen", beschreibt Hönig das weitere Vorgehen. Hellmig, der vom Mehrgenerationenhaus aus schon in der Zeitung gelesen hatte, machte sich nach dem Telefonat sofort auf den Weg. In der Ludwigstraße 1 angekommen, bot er Ghafuri bei einem Glas Tee Finderlohn an. Doch der lehnte ab und sagte: "Ich möchte mehr Deutsch sprechen." Hellmig ging auf den Deal ein. Seitdem üben die beiden jede Woche Lesen und Schreiben am Schreibtisch im Mehrgenerationenhaus, gehen bei schönem Wetter spazieren und werden manchmal von anderen Migranten begleitet.

Weil sich das Treffen zum Gespräch über den ehrlichen Finder spontan ergeben hatte, trug Hellmig bereits seine Sonnengleitschutzbrille, denn der Unterricht an diesem Tag fand wegen des herrlichen Wetters draußen statt. "Normalerweise setze ich natürlich keine Sonnenbrille auf, wenn ich mich mit jemandem unterhalte", bemerkt Hellmig, der großen Wert auf guten Umgangsformen legt. Deshalb lautet der erste Satz bei der Begrüßung immer "Guten Morgen, wie geht es Ihnen?" Seit zwölf Jahren lebt Hellmig in Bad Kissingen, ursprünglich stammt er aus Helmstadt bei Braunschweig, war beruflich als leitender Angestellter in Traunstein und Walsrode unterwegs und hat die Kurstadt 1995 während einer Tagung kennengelernt. Er sei ohnehin auf der Suche nach einer sozialen Tätigkeit gewesen, erklärt er, da passt dieses Engagement genau. Inzwischen hat Andrea Herzer, sie ist Bildungskoordinatorin am Landratsamt, ihn ebenfalls um Mithilfe bei Sprachkursen für Migranten gebeten. "Zwei Betriebe aus der Baubranche haben sich auch schon bei mir gemeldet", freut sich Hellmig, "sie beschäftigen Migranten, die zwar fleißig sind, aber an der Sprache hapert es noch." Natürlich macht Hellmig das alles ehrenamtlich. Sechs Stunden in der Woche lernt er mit den Wissbegierigen, es geht ihm um das Beherrschen der Sprache und um das Vermitteln von guten Manieren. Anja Vorndran