Deshalb sollte man nachts nicht schlafen - Interview mit Rhöner Sternpark-Chefin

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Foto: Alexander Mengel/Sternenpark Rhön
Foto: Alexander Mengel/Sternenpark Rhön
Sabine Frank Foto: Carmen Schmitt
Sabine Frank Foto: Carmen Schmitt
 

Die Nacht hat sich verändert. Und zwar negativ. Das sagt Sabine Frank, Chefin des Sternenpark Rhön. Im Interview erklärt sie, warum.

Sabine Frank ist Leiterin des Sternenpark Rhön und behauptet: "Ab 22 Uhr kann man 80 Prozent aller Leuchten abschalten. Locker." Mit "kastrierter Taschenlampe", Hula-Hoop-Reifen und einer halben Kokosnuss zieht sie seit zehn Jahren durch die Rhön und erklärt bei ihren Nachtwanderungen warum wir Sternschnuppen sehen und wie die Jahreszeiten entstehen. Im Interview spricht die 46-Jährige über knutschende Sternengucker, gedankenlose Lichtverschmutzer und was wir mit der Dunkelheit verlieren würden.

Sie sehen so fit aus. War die Sicht gestern Nacht so schlecht, dass Sie tatsächlich mal geschlafen haben?
Sabine Frank:(lacht) Ich habe letzte Nacht sehr wenig geschlafen. Ich habe den Mondaufgang beobachtet, der war gestern sehr spät. Im Moment sieht man außerdem Jupiter, Saturn und der Milchstraße sehr gut. Ich brauche etwas weniger Schlaf. Ich bin kein lichtscheues Gesindel, aber eine Nachteule. Die Luft ist nachts ein bisschen anders, vielleicht ein bisschen reiner? Das ist wie beim Zelten: Da braucht man einfach weniger Schlaf.

Ist Ihnen tagsüber langweilig?
Nein. Nie. Das Thema hält mich auf Trab. Meine Motivation kommt von innen. Ich bin ein Überzeugungstäter. Deswegen immer: Voll Stoff!

Was sehen Sie, wenn Sie in den Himmel schauen?
Gestern habe ich einen kitschigen Mondaufgang gesehen und ein bisschen was von der Milchstraße. Unsere kosmische Heimatgalaxie zu sehen, berührt einfach. Wenn es auf einmal Plopp macht, und dann gucken nach und nach die Sterne raus oder so ein kleiner Zipfel: der Mond. Quittengelb. Ich bekomme schon beim Beschreiben eine Gänsehaut (zeigt ihre Gänsehaut). Es ist andererseits aber auch furchtbar, mit mir in der Nacht unterwegs zu sein. Ich sehe überall schlechte Lichtquellen. Selten - aber zunehmend - gute. Ich gucke ja nie nur in den Himmel, sondern auch immer auf die Nachtlandschaft.

Was verpassen die Leute, die nachts schlafen?
Sie verpassen eine ganz andere Welt, die einem Ruhe und Konstanz gibt. Der Himmel hat eine unwahrscheinliche Erhabenheit. Der Himmel strahlt eine Sehnsucht aus: Die tut einfach gut. Der Himmel ist eine Projektionsfläche für Geschichten und Mythen. Die Menschen haben früher auch den Himmel beobachtet und sich die Fragen gestellt wie: Warum gibt es Jahreszeiten? Ich stelle bei den Sternenführungen oft fest, dass viele Leute wirklich nicht wissen, wie die Jahreszeiten entstehen. Ich versuche dann, Wissenschaft und Mythologie miteinander zu verbinden.

Ist das der Grund dafür, dass Sie und Ihre Sternenführer gar nicht mehr nach kommen?
Ich mache seit zehn Jahren Sternenführungen. Am Konzept hat sich nicht viel verändert - es ist nach wie vor eine Reise von der Erde zu den Sternen. Mit der Auszeichnung der Rhön zum Sternenpark und der Berichterstattung darüber, dass es etwas zu erleben gibt, wurde es immer mehr. Es spricht sich herum. Es ist toll, dass unser Nachtwanderangebot nicht nur von Besuchern der Rhön, sondern insbesondere von den Rhönern selbst angenommen wird. Es ist ja auch der Sternenpark der Rhöner.

Was war die abgefahrenste Sternenführung?
(flüstert) Ich habe schon alles Mögliche erlebt. Knutschende, da hab ich gedacht, die sind gleich im Gebüsch (lacht). Gut war auch: Wir sind über einen Golfplatz gelaufen und die Sprinkleranlage ging plötzlich los. Abgefahren war auch, als der Vulkan auf Island ausgebrochen war und keine Flugzeuge geflogen sind. Woran ich mich am allerliebsten erinnere, ist eine Sternenführung mit Wetterleuchten rundherum. Und: Einer wollte seiner Freundin unbedingt bei einer Sternenführung einen Heiratsantrag machen. Ich dachte schon: Was soll ich denn dann machen, wo soll ich hingehen, falls sie ja oder nein sagt?

Romantisch! Wie kam der Heiratsantrag unter dem Sternenhimmel an?
Er hat sich nicht getraut.

Im Sommer 2014 wurde das Biosphärenreservat als Sternenpark anerkannt. War das der Ritterschlag für Sie oder ging die Arbeit ab da erst richtig los?
Der Sternenpark ist ja in gewisser Weise mein Baby. Den Sternenpark gibt es wegen der Sternenführungen. Ich wollte mein Hobby teilen. Das war die Idee meiner Freundin, die meinte, dass ich das anbieten sollte. Daraufhin habe ich im April 2007 mit schlotternden Beinen meine erste Sternenführung gemacht. Schon zwei Jahre später habe ich gemerkt, wie sich die Nacht verändert.

Die Nacht hat sich verändert?
Ja, negativ. Ein Teilnehmer wollte das Sternbild Steinbock sehen und: Er war weg. Da wurde mir klar: Die Nächte werden immer heller. Es waren die Lampen eines Gewerbetreibenden, die in den Himmel gestrahlt haben. Gedankenlosigkeit, Idiotie... Das hat mich so garstig gemacht, das war meine Motivation. Ich habe mich mit dem Thema Lichtverschmutzung auseinandergesetzt. Ich bin auf den ersten Sternenpark in Europa gestoßen, Schottland, und wusste sofort: Die Rhön muss Sternenpark werden.

Das war 2009. Welchen Wert hat die Nacht heute?
Bis dato hatte der Naturschutz bei Nacht in der Rhön keine Rolle gespielt. Als gäbe es die Nacht gar nicht. Von Lichtverschmutzung hatte noch niemand etwas gehört. Jetzt spielt der Lebensraum Nacht im Naturschutz zunehmen eine Rolle. Der Sternenpark ist in erster Linie ein Naturschutzprojekt. Dann kommen die Sternenführungen. Und die sind super dafür geeignet, um die Menschen zu sensibilisieren.

Was würden wir mit der Dunkelheit verlieren?
Unser ältestes Kulturgut: den Sternenhimmel. Satellitenfernsehen, Navi, Armbanduhr, Kalender - dahinter steckt Astronomie, Sternenkunde. Und ohne die natürliche Dunkelheit hätten wir einen Augenschmaus weniger und wir würden unseren Platz im Kosmos noch mehr vergessen.

Wer oder was ist die größte Gefahr für die Nacht?
Gedankenlosigkeit. Keiner macht sich Gedanken, für wen oder was diese oder jene Funzel brennt. Firmen manipulieren mit Flutlicht-Strahlern das ganze Ökosystem. LED wäre eigentlich ein Segen. Aber in Menschenhand ist es ein Fluch: Es wird einfach noch mehr beleuchtet. In viel zu hoher Stärke und in falscher Lichtfarbe. Licht ist wie Lärm oder Luftverschmutzung eine schädliche Umwelteinwirkung.

Würden Sie am liebsten alle Lichter ausknipsen?
Nein. Es geht um das Wie des Lichts. Weniger darum Licht ja oder nein, sondern: Wie wird das Licht gestaltet, so dass es menschen- und umweltverträglich und möglichst auch sternenparktauglich ist? Die öffentliche Beleuchtung in der Rhön ist auf einem guten Weg. Die private und die Gewerbebeleuchtung macht uns zunehmend zu schaffen. Aber immer mehr Menschen verstehen, dass unser Heimathimmel wichtig und mittlerweile ein Qualitätsmerkmal unserer Region ist.

Brennt bei Ihnen daheim überhaupt ein Licht oder stehen da nur Kerzen?
In meiner Bude gibt es nur warm-weißes Licht. Niemand würde sich grelles Licht ins Wohn- oder Schlafzimmer hängen.

Welche Lampen würden Sie am liebsten verbieten?
Es werden teils Leuchten in die Nacht gehängt, die das Tageslicht simulieren sollen, dadurch verwirre ich mein Auge und meinen Körperrhythmus. Das hat Auswirkungen: massives Insektensterben, verhungernde Vögel - wir alle wissen, dass der offene Naturraum ziemlich artenarm geworden ist. Es kann nicht sein, dass man mit einer 10 Watt-Lampe, die man im Baumarkt für 20 Euro bekommt, ein Flutlicht erzeugen kann, das jede Straßenlampe abhängt. Kleine Solar-Licht-Gartenstecker aus dem Supermarkt bedeuten weißes grelles Licht auf Augenhöhe von Igeln. Man zerstört sich so seinen eigenen Garten. Es braucht Obergrenzen für Lichtmenge, Lichtfarbe und Lichtlenkung. Wir brauchen nicht mehr Licht, sondern besseres Licht.

In Ihrem Buch schreiben Sie darüber, warum sich der Schutz der Nacht für Mensch und Natur lohnt. Was bringt die totale Finsternis, außer blauen Flecken?
Totale Finsternis gibt es nicht. Teilnehmer von Sternenführungen sind immer wieder überrascht, wie gut man in der Nacht sieht. Ich kämpfe dafür, dass tagaktive Tiere ihren Nachtschlaf bekommen. Der natürliche Wechsel von Hell und Dunkel ist der grundlegendste Rhythmus von allem Leben. Auf diese Regelmäßigkeit von Tag und Nacht haben sich alle unsere Körperfunktionen eingestellt. Jede Zelle in unserem Körper hat diese Uhr. Ich kann Naturschutz betreiben so viel wie ich will und Milliarden ausgeben, wenn ich´s nachts beleuchte, manipuliere ich diesen Naturraum.

Ist die Rettung der Nacht mehr als romantischer Naturschutz?
Aber hallo! Über 70 Prozent der Tiere im Biosphärenreservat sind dämmerungs- und nachtaktiv. Werden die geblendet, ist das genauso, als würde man uns Menschen am Tag die Augen zu halten.

Wünschen Sie sich aus Sicht der Rhöner Nacht, dass der Nationalpark kommt?
Ja! Ich verspreche mir vom Nationalpark noch mehr Fokus auf unsere natürlichen Nächte. Der Sternenpark müsste auch bei Tag sichtbar werden: Mit Hinweisschildern, dass wir in einem Lichtschutzgebiet sind. Ein Nationalpark wäre eine Adelung. Meiner Meinung nach ist das eine große Chance für unsere Rhön. Ich würde mir wünschen, dass die Leute, die in die Rhön kommen, den Gedanken zum Schutz der Nacht mit nach Hause nehmen. Jeder kann etwas für die Nacht tun.

Zum Beispiel?
Erstmal checken: Brauche ich diese Lampe wirklich? Hinterfragen: Welchen Zweck erfüllt sie? Ist sie an einem guten Ort? Dann: Scheint das Licht nach unten? Man kann Lichter dimmen, eine andere Birne reinschrauben oder ganz ausschalten. Und: beraten lassen und unser Infomaterial anschauen.

Was sagt eigentlich Ihr Lebensgefährte dazu, dass Sie die Nächte lieber mit den Sternen als mit ihm verbringen?
Es ist nicht leicht, der Partner einer Sternenfee zu sein. Er hat ein höheres Schlafbedürfnis und ist kein bisschen nachtaktiv. Er macht dann seine Männerabende.

Das Interview führte
Carmen Schmitt