Bad Bocklets Bürgermeister: Ärzte sprechen von einem Wunder

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Ein Foto, das kaum ein Arzt für möglich gehalten hätte: Bad Bocklets Bürgermeister Andreas Sandwall liegt im Krankenhaus nach fünf Wochen Koma - und hält die Hand siegessicher mit dem Victory-Zeichen in die Luft. Er sollte Recht behalten: Er ist nach einer schweren Hirnblutung vollkommen gesund ins Leben zurückgekommen. Foto: Andreas Sandwall, Selbstauslöser
Ein Foto, das kaum ein Arzt für möglich gehalten hätte: Bad Bocklets Bürgermeister Andreas Sandwall liegt im Krankenhaus nach fünf Wochen Koma - und hält die Hand siegessicher mit dem Victory-Zeichen in die Luft. Er sollte Recht behalten: Er ist nach einer schweren Hirnblutung vollkommen gesund ins Leben zurückgekommen. Foto: Andreas Sandwall, Selbstauslöser
An Andreas Sandwalls Seite: ein riesiger Neufundländer, der zurTherapie gehört. Foto: Andreas Sandwall, Selbstauslöser
An Andreas Sandwalls Seite: ein riesiger Neufundländer, der zurTherapie gehört. Foto: Andreas Sandwall, Selbstauslöser
 
Heute sitzt Andreas Sandwall wieder hinter seinem Schreibtisch. In der Wiedereingliederungsphase ist er jetzt bei sechs Stunden täglich. Foto: Stefanie Tapprogge
Heute sitzt Andreas Sandwall wieder hinter seinem Schreibtisch. In der Wiedereingliederungsphase ist er jetzt bei sechs Stunden täglich. Foto: Stefanie Tapprogge
 

Andreas Sandwall erlitt mit 49 eine schwere Hirnblutung, die Überlebenschance war gering. Wie durch ein Wunder hat er es geschafft und leitet wieder seine Gemeinde. Wie er es packte - und warum er vorerst keinen Führerschein hatte, lesen Sie hier.

Der 30. Juni 2020 markiert auf ewig den Wendepunkt im Leben von Andreas Sandwall. Der damals 49-Jährige leitete routiniert die Gemeinderatssitzung in Bad Bocklet. "Plötzlich schmerzte mein Genick." Irgendwas verrenkt, tat der Bürgermeister den Schmerz erst ab. Doch der Druck steigerte sich. In der Pause zum nichtöffentlichen Teil brach ihm der Schweiß aus, "mir wurde heiß und kalt", er spürte: Mit mir stimmt etwas nicht mehr - überhaupt nicht mehr.

"Ruft einen Arzt," sagte er noch - dann wurde es dunkel. Vor den Augen seiner geschockten Kollegen brach er zusammen. Diagnose: Hirnblutung. Ein geplatztes Aneurysma, eine Aussackung an einer Arterie war gerissen. Passiert das im Kopf, liege die Überlebensrate bei drei Prozent, zitiert Sandwall später einen seiner Ärzte. Und es bleibt die bange Frage, wie ein Überleben aussieht.

"Das ist ein Wunder"

Das Happy End voraus: Andreas Sandwall, jetzt 50 Jahre alt, ist nach der Katastrophe nun wieder Bürgermeister von Bad Bocklet und er sieht 14 Monate später aus wie immer. Er redet wie immer. Denkt wie immer. Geht wie immer. "Das ist ein Wunder", sagt er. Und das sagen alle Ärzte, die er in den letzten 14 Monaten kennengelernt hat - das waren einige.

Was er in seinem Zimmer im Rathaus erzählt, hat er nicht alles selbst erlebt. Es wurde ihm nach dem Koma, in das er versetzt wurde, beschrieben. "Die Ratskollegen riefen sofort den Notarzt, Dr. Joachim Hepp aus Oberthulba hatte Dienst. Und er hat glücklicherweise sofort erkannt, dass im Hirn ein Blutgefäß geplatzt war." Hepp rief einen Hubschrauber, mit dem wurde der bereits im Koma liegende Sandwall nach Würzburg in die Uniklinik geflogen.

Keiner wusste, ob er es schafft

Dort wurde ein Loch in seine Schädeldecke gebohrt, sodass das Blut, das einen immensen Druck auf das Gehirn ausübte, abfließen konnte. Dann hieß es - warten. Warten darauf, dass sich sein Zustand stabilisierte. Darauf, dass er aus dem künstlichen Koma zurückgeholt werden kann. "Das war die schlimmste Zeit für meine Familie."

Was würde seine Frau zu dieser Zeit sagen, wenn sie bei dem Gespräch anwesend wäre? "Sie würde weinen", sagt er und seine Augen füllen sich mit Tränen.

Keiner wusste, ob Andreas Sandwall überleben würde. Und wenn - wie.

Erinnerungen an Monika Lierhaus

Eines der prominentesten Beispiele von Menschen, die ein geplatztes Hirn-Aneurysma überlebt haben, ist die ehemalige Fußballkommentatorin Monika Lierhaus. Eine Operation sollte eigentlich verhindern, dass ihr Aneurysma platzt. Doch die OP ging schief. Monatelang lag sie im Koma, kämpfte sich mühsam zurück in ein ganz anderes Leben, das sie jetzt mit Hilfe anderer bewerkstelligen kann.

Es ging Andreas Sandwall so schlecht, dass der Pfarrer bereits an seinem Bett war. Eine Lungenentzündung machte sich zudem breit. Freunde fuhren seine Frau jeden Tag nach Würzburg. Jeden Tag saß sie oder auch die drei Kinder (12, 16, 20) an seinem Bett, erzählten vom Leben da draußen und zuhause. Seine Frau wurde unfreiwillig Zeugin davon, wie sich am Nachbarbett eine Familie von einer jungen Mutter verabschiedete - sie hatte die gleiche Diagnose wie Andreas Sandwall und überlebte nicht.

Die ersten gehörten Töne: Blasmusik

Wie quälend müssen diese Tage für die Familie gewesen sein? Andreas Sandwall wurde nach Bad Neustadt verlegt, noch immer ohne Bewusstsein. Tochter Leni (16) spielte ihm Querflöte vor - in der Hoffnung, die Töne erreichen den Musikliebhaber im Koma. Fünf Wochen lang kam keine Reaktion des Familienvaters. Sie spielten ihm Musik ein, setzten ihm Kopfhörer auf - Blasmusik, Andreas Sandwall steht unter anderem auf Blech und Pauken.

Und tatsächlich, nach fünf Wochen: "Ich wurde wach und hörte die Melodie von ,Der Böhmische Traum'." Obwohl, wach beschreibt seinen Zustand nur unzureichend. "Ich dachte lange, ich sei allein auf einem Kreuzfahrtschiff", es gibt schlimmere Halluzinationen im sogenannten "Durchgangs-Syndrom", wenn Menschen aus komatösen Zuständen erwachen.

Da schon sprachen die Ärzte von einem Wunder. Dass Andreas Sandwall allerdings ohne neurologischen Schäden erwachte, dass ihm "nur" die fünf Koma-Wochen in seiner Erinnerung fehlen, dass er gehen, stehen, denken und wieder sprechen kann, darf ruhig als großes Wunder bezeichnet werden. An dem Sandwall aber seinen Anteil hatte. "Ich wurde noch im Koma nach Bad Neustadt verlegt. Dort begann eine Früh-Reha."

Denn der Mann war nach fünf bewegungslosen Wochen kaum wiederzuerkennen. Fotos aus der Akutphase zeigen ein hilfloses, schmales Bündel, umringt von Schläuchen und Kabeln. "Wenn ich mir die Fotos anschaue, wird mir erst klar, wie groß meine Hilflosigkeit und wie schmal der Grad zwischen Leben und Tod war", mit diesen Gefühlen kämpft Andreas Sandwall noch.

"Ich fühlte mich älter als 80"

Doch der frühere Fußballspieler wollte zurück ins Leben. "In Neustadt begann die Frühreha. Erste Schritte am Rollator - ich fühlte mich älter als 80." Doch er wollte, wollte, wollte, trainierte einen Muskel nach dem anderen, machte jede Therapie mit. "Auch die Therapie mit einem riesigen Neufundländer." Der ausgebildete Hund sollte den Patienten Geborgenheit, Wärme und Sicherheit geben. "Ich hab mich mit dem Kopf auf den liegenden Hund gelegt - ja, es ist toll, die Wärme, das Fell zu spüren, den Herzschlag zu hören."

Seinen 50. Geburtstag feierte er mit seiner Familie bei einem Essen in Bad Neustadt, die kleine Sause, die seine Aschacher Blaskapelle vor dem Krankenhaus mit Pauken und Trompeten geplant hatte, fiel wegen Corona aus. Er ging zurück in die Klinik, Frau und Kinder nach Hause, nach Bad Bocklet. Erst am 22. Oktober wurde er entlassen und durfte auch nach Hause - nach vier Monaten Klinik.

Techniker lehnte Reha ab

Bis Januar kämpfte er sich mit verschiedenen Übungen zuhause weiter, endlich war auch das Loch in seinem Hals, das durch die künstliche Beatmung entstanden war, verheilt - jetzt konnte er zur "richtigen" Reha. Jedoch: Unverständlicherweise lehnte die Techniker Krankenkasse seinen Reha-Antrag ab. "Das ist für mich immer noch unglaublich." Nach etlichen bürokratischen Hürden schaffte er es doch noch für vier Wochen ins Haus "Roter Hügel" nach Bayreuth.

"Dort war es ganz hervorragend", Sandwall ist den Therapeuten dort "unendlich" dankbar, denn die Hauptsache musste noch trainiert werden: sein Gehirn. "Ich litt unter Konzentrationsschwierigkeiten." Doch so ein Hirn, das lässt sich trainieren, "und das war sehr anstrengend". Es sei - vereinfacht - so, wie wenn man den ganzen Tag das Kinderspiel "Ich packe meinen Koffer" spielen muss, allerdings mit Spielregeln für Erwachsene.

Irrsinnige Wort-Ketten, Kombinationen, ob in Wort oder Zahl, mussten die Patienten sich merken. Jeden Tag also Gehirnjogging, bis Sandwall seinen größten Wunsch erfüllen konnte: Er wollte seinen Führerschein zurückhaben. "Mit solch schweren Kopfverletzungen darfst du erst mal kein Auto fahren. Ich musste einen Test machen, der es wirklich in sich hatte." Andreas Sandwall bestand "und damit konnte ich wieder am Leben teilnehmen"." Der Test fand in Bad Neustadt statt - und auch über den Campus hat Sandwall nur Gutes zu erzählen.

"Das Leben ist noch nicht vorbei"

Seit 5. August ist er wieder zurück auf seinem Bürgermeister-Stuhl, sechs Stunden am Tag vorerst. "Es ist toll zu sehen, wie meine Vertreter Norbert Borst und Uto Schmitt alles hervorragend für mich erledigt haben - und auch die Verwaltung hat in meiner Krankheitsphase Großartiges geleistet."

Was ihm auch Auftrieb gegeben hat: "Die vielen Genesungswünsche, die Karten, die Whatsapp-Nachrichten, die Grüße - das hat unheimlich gutgetan. Da habe ich auch erfahren dürfen, dass meine Arbeit einen Wert hat und dass ich weiß, für wen ich die Arbeit mache. Das ist ein schönes Gefühl."

Äußerlich zeigt nur eine blasse, unauffällige Narbe am Haaransatz von dem Drama, das er hinter sich hat. Innen ist Andreas Sandwall noch voller Eindrücke, wenn er aus seiner schlimmsten Zeit im Leben erzählt. Und doch geht von ihm eine große Welle Optimismus aus: "Jetzt bin ich wieder da - das Leben ist noch nicht vorbei" - und dabei war es so knapp.

"Ich danke allen, die mir das ermöglicht haben. Allen voran meiner Frau und meiner Familie, mit der ich jetzt mehr unternehme als früher. Denn wir wissen nie, ob es das letzte Mal sein kann. Mir wurde geschenkt, was andere nicht mehr haben - das Leben."