"Spektakulärer" Dachbodenfund: Was über die 250 Jahre alten Dokumente bekannt ist

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Ansbach: "Spektakulärer" Dachbodenfund - was über die alten Dokumente bekannt ist
Ansbach: "Spektakulärer" Dachbodenfund - was über die alten Dokumente bekannt ist
901263 / pixabay.com (Symbolbild)

Ein "spektakulärer" Dachbodenfund in der Ansbacher Altstadt mit insgesamt 170 circa 250 Jahre alten Dokumenten wurde von dem Förderverein Retti e.V. untersucht und die Ergebnisse sind jetzt öffentlich.

170 größtenteils handschriftliche Dokumente aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind bei der Sanierung eines mittelalterlichen Hauses in der sogenannten Neustadt (Johann‐Sebastian‐Bach‐Platz 26) aufgetaucht. Der Eigentümer wandte sich an den Förderverein Retti e.V. Der Verein setzt sich für den Erhalt und die Erforschung der Geschichte von kulturhistorisch bedeutsamen Ansbacher Bauwerken ein. Hier wurde das Material gesichtet, teilweise transkribiert und dem Eigentümer die Empfehlung ausgesprochen, den Fund an das Ansbacher Stadtarchiv zu übergeben. „Der Dachbodenfund ist ein spannender Quellenschatz“, so der Vereinsvorsitzende Dr. Christian Schoen, „der für Rechts‐ und Kulturhistoriker von großem Interesse sein dürfte.“

Wie der Förderverein Retti e.V. berichtet, handelt es sich bei dem Dachbodenfund um juristische Korrespondenzen, Inventarien und Abrechnungen, sowie gedruckte Amtsblätter, hoheitliche Bekanntmachungen oder auch zwei Blätter von J. D. Steingrubers Architekturalphabet. Das älteste Dokument stammt aus dem Jahr 1726, das jüngste ist auf das Jahr 1799 datiert. Sie umfassen somit eine Zeitspanne der großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche – in Europa und in der Markgrafschaft Ansbach.

Der Förderverein hat alle Dokumente chronologisch sortiert und in einer Liste kurz erfasst. Ergänzend wurden von Herrn Ringhand ca. zwei Drittel digitalisiert und über 40 Briefe transkribiert. „Es war schon eine Herausforderung und recht spannend, etwa 250 Jahre alte sehr verschiedene Handschriften zu lesen, die mit lateinischen, französischen und längst veralteten Worten gespickt waren“ bemerkte Eugen Ringhand, „man taucht beim Übertragen der Texte in eine wirklich fremde Welt ein.“

Was beinhalten die Dokumente?

Die gesichteten Dokumente können grob in folgende Themenbereiche aufgegliedert werden:

  • Berichte von Gesandten des Ansbacher Markgrafen in Wetzlar, dem Sitz des Reichskammergerichts. In diesen Schreiben geht es um den desolaten Zustand und die fragliche Zukunft des Reichskammergerichts und der Reichsritterschaft.
  • Rechtsangelegenheiten von Bürgern aus dem Fürstentum, mit denen diese sich an Personen in der Regierung in Ansbach wandten.
  • Seit das Fürstentum Bayreuth von Ansbach aus verwaltet (1761) und 1791 ganz an Ansbach angeschlossen wurde, bezieht sich der Briefverkehr von Regierungsmitgliedern zwischen Ansbach und Bayreuth häufig auf diese Tatsache – politisch wie privat. Das heißt: es häuften sich Klagen um Benachteiligung in der Rangstellung bei der Vergabe von Ämtern.
  • Gedruckte Dekrete und Bekanntmachungen meist von Markgraf Alexander.
  • Listen vom Hausratbestand adeliger Personen, von Bücher‐ und Bilderauktionen aus dem Bestand von Nachlässen, Verzeichnisse von Vermögen und Grundstücken, der Lebenslauf vom Sohn eines Konsistorialbeamten, der Mietvertrag von Frau von Wechmar (Ministersgattin), ein paar Exemplare der Intelligenzzeitung, Buchfragmente eines naturwissenschaftlichen und eines in Latein geschriebenen Buches – in beiden Fällen von Ansbacher Autoren verfasst. Von Steingruber finden sich die Blätter „A“ und „E“ seines Architekturalphabets, das als Digitalisat im Internet zu finden ist (https://www.digitale‐sammlungen.de/de/view/bsb11216115?page=80). Bei einem Notenblatt handelt es sich um ein Fragment einer Bassstimme wohl eines mehrstimmigen und mehr‐sätzigen Werkes für Streicher aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das letzte datierte Blatt ist eine Rechnung von 1799.

Wer wohnte in diesem Haus?

Als Bewohner um 1800 konnten zum einen der Bürgermeister Heinrich Gottlob Billing festgestellt werden, der das Haus von 1740 wahrscheinlich bis zu seinem Tod 1800 bewohnte, zum anderen der nachfolgende Hausbesitzer Georg Friedrich Hamberger, über den noch zu wenig bekannt ist. Für die Hausgeschichte ist unser Wissen noch ähnlich gering, da der heutige Zustand aus der Zusammenfügung zweier Häuser im 18 Jahrhundert resultiert und sich somit noch andere Besitzer ergeben könnten.

Warum wurden die Dokumente versteckt?

Hierüber können nur Spekulationen angestellt werden. Hamberger könnte die Dokumente nach dem Tod seines Vorgängers auf dem Dachboden entdeckt und irgendwann versteckt haben, auch wenn aus heutiger Sicht kein Grund dafür ersichtlich ist.

Vorstellbar mag sein, dass es 1806 Anlass gab, die Dokumente vor den Franzosen zu verbergen, die Ansbach belagerten. Bei den meisten Dokumenten handelte es sich schließlich um Relikte nun alter Zeiten, unter denen die Franzosen einen Schlussstrich gezogen haben. Vielleicht wurde eine Beschlagnahmung der Papiere befürchtet. Später sind sie vergessen worden. Außerdem gab es nach der Auflösung des Reichskammergerichts 1806 eine Verpflichtung, alle Akten und Korrespondenzen, die mit diesem Gericht in Zusammenhang gebracht werden können, in Wetzlar abzuliefern. Das wollte vielleicht jemand verhindern.

Zu fragen ist auch: Wurden die Dokumente aus dem Bewusstsein ihres historischen Wertes oder aus persönlichen Gründen lieber versteckt, statt dass sie Gefahr laufen, verbrannt zu werden? Brandspuren sind tatsächlich vorhanden.

Anmerkungen zu einigen genannten Institutionen und Personen

Das Reichskammergericht wurde 1495 gegründet und 1806 aufgelöst. Es war von 1689 bis 1806 in Wetzlar ansässig und vor allem für die Einhaltung des Landesfriedens zuständig. Als oberstes Gericht im Reich war esfür die Überprüfung von zivilrechtlichen Urteilen erster Instanzzuständig. Dies geschah über die Appellation. Fühlte sich ein Untertan eines Reichsstandes durch ein Urteil eines unteren Gerichts verletzt, so konnte er im Rahmen eines Untertanenprozesses ans Reichskammergericht appellieren. Der Auflösungsprozess des Reichskammergerichts begann schon lange vor seiner offiziellen Auflösung mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806. Durch hoffnungslose Überlastung blieben Gerichtsfälle über viele Jahre lang unbearbeitet liegen, die Herren Richter und „Assessores“ lebten zum Missfallen nicht nur der Wetzlarer Bürger in großem Prunk und Pomp, ließen sich bestechen und bevorteilten reiche Parteien bei der Bearbeitung von Rechtsfällen.

All das führte zur Einrichtung einer Visitationsbehörde, die die Missstände zu untersuchen hatte. Am 25. Mai 1772 schrieb sich Goethe in die Matrikel des Reichskammergerichts ein und war damit während des Höhepunkts der Visitationsjahre 1767‐1776 Referendar in Wetzlar. Daher kannte er viele Legationsräte und Kanzlisten, die in den Ansbacher Dokumenten erwähnt werden. Manche Wetzlarer Juristen fanden Eingang in seine Werke „Götz von Berlichingen“, „Dichtung und Wahrheit“ oder den „Leiden des jungen Werther“. Im Übrigen war der Bestand an Hochadel dieser Zeit in Wetzlar so groß, dass er nur von Regensburg und Wien übertroffen wurde.

Mayer (Meyer): Johann GoƩlob Mayer (* Bayreuth 24.03.1718, † 19.07.1782 Bayreuth), häufiger Absender von Briefen an den Regierungspräsidenten. Geheimer Rat, Ansbach‐Bayreuther Subdelegat beim Reichskammergericht in Wetzlar; Konsistorial‐ und Ehegerichtspräsident, Landesregierungsrat in Bayreuth, protokollierte die Generalvisitationen der Sessionen 1‐199 in Wetzlar. Die meisten seiner Schreiben stammen aus dem Jahr 1772, dem Jahr von Goethes Praktikum am Reichskammergericht.

Baron von Thüngen: Johann Sigmund Karl I. Reichsfreiherr von Thüngen (1730–1800), Reichskammergerichtspräsident von 1772‐1780 in Wetzlar, hatte regen Kontakt mit Goethe.

Barabau (Barabeau): Johann Wilhelm Friedrich Barabau, (1710 – 1780), Stadt‐Vogt in Gunzenhausen, Fiskal in Ansbach, wohnhaft in der Ansbacher Neustadt.

Graf von Bassenheim: Johann Maria Rudolf Reichsgraf Waldbott von Bassenheim (* 29. Juni 1731, †15. Februar 1805), regierender Graf und Reichskammergerichtspräsident. Waldbott von Bassenheim war Herr mehrerer reichsunmittelbaren Herrschaften. Seit dem 6. Oktober 1764 war er Erbritter des Deutschen Ordens und seit dem 11. Juni 1777 Burggraf zu Friedberg. 1788 wurde er in das Westfälische Grafenkollegium aufgenommen.

Gemmingen‐Guttenberg: Karl Friedrich Reinhard Freiherr von Gemmingen‐Guttenberg; (* 21. Februar 1739 in Ansbach, † 3. Juni 1822 in Ansbach); er war von 1770 bis 1790 Minister am Hofe Karl Alexanders von Brandenburg‐Ansbach (Regierungsassessor im 1. Senat, Ansbach, Präsident des hochfürstl. Hofes in Bayreuth, II. Senat), Ritterhauptmann des Ritterkantons Odenwald und letzter Generaldirektor der Reichsritterschaft. 1754 wurde er Hofjunker beim Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach. Markgraf Karl Alexander ernannte ihn 1761 zum Kammerjunker sowie zum Hofrat und Justizrat. In diesem Amt war er erneut am Reichskammergericht in Wetzlar tätig. In Ansbach bewohnte er das Zocha‐Schlösschen, das er als Nachfolger von Obervogt Christoph Ludwig von Seckendorff als Sitz der Obervogtei dem heute sog. Retti‐Palais vorzog. Er ist vermutlich der Adressat vieler Briefe, die ihn als „Minister“ aber nur selten direkt mit Namen ansprechen.

Kirchberg: Christian Albrecht Casimiro, Burggraf von Kirchberg, Graf zu Sayn‐Hachenburg (*5. Dezember 1726 in Hachenburg, † 12. Januar 1772 in Farnroda bei Eisenach) war Richter des Reichskammergerichts und entstammte den Adelsgeschlechtern Kirchberg und Sayn-Wittgenstein.

Lehrbach: Franz Sigismund Adalbert von Lehrbach (*11. Mai 1729, † 26.10. 1787 in Ellingen), wuchs in Bruchsal auf und trat dem Deutschen Orden bei. 1765 avancierte er zum letzten Landkomtur der Ballei Franken, mit Sitz in Schloss Ellingen. Er war österreichischer Gesandter in München, Freiherr, Landkomtur des Deutschen Ordens und Gesandter bzw. Bevollmächtigter des Römisch‐Deutschen Kaisers in Kurpfalz Bayern, sowie mehreren anderen Territorien. Mehrere Briefe von ihm sind an Freiherr von Wechmar gerichtet, den wichtigsten Minister des Markgrafen Carl Alexander.

Nettelbladt: Christian Nettelbladt (* 2. Oktober 1696 in Stockholm; † 12. August 1775 in Wetzlar) ein deutscher Jurist, der neben Hermann Heinrich von Engelbrecht und Augustin von Balthasar einer der bedeutendsten Greifswalder Rechtswissenschaftler des 18. Jahrhunderts war und zugleich einer der ersten und wichtigsten Vertreter einer aktiven schwedischen Kulturpolitik in Pommern, die er durch sein Periodikum „Schwedische Bibliothec“ förderte. Ab 1743 wirkte er dann als Assessor am Reichskammergericht. Am 22. Januar 1746 wurde er mit dem Adelsprädikat „von Nettelbla“ in den Reichsadelsstand erhoben und im Juli 1771 wegen Korruption suspendiert.

Pape: Hermann Franz Freiherr von Pape, gen. Papius (* in Würzburg 1717, † 1793). Papius = latinisierter Name von Papen. 1740 Praktikant am Reichskammergericht, dann kurmainzischer Hofrat und Syndikus der niederrheinischen Reichsritterschaft zu Koblenz, wurde 1756 Kammergerichtsassessor und erhielt 1763 den Rang eines Reichsfreiherrn. Er lebte über seine Verhältnisse. Am 5. Juli 1771wurde er wegen Bestechung mit Reuß und Nettelbla von Amt und Gehalt suspendiert, das Urteil über Papius wurde erst am 4.3.1774 gesprochen, d. h. er wurde seiner Ehre verlustig erklärt. Goethe, der Papius aus seiner Referendarszeit in Wetzlar kannte, verewigte den Reichskammergerichtsassessor als Sapupi in seinem Drama „Götz von Berlichingen“.

Zwierlein: Christian Jacob Reichsfreiherr von Zwierlein (* 4.Dezember 1737 in Wetzlar, † 10. August 1793 in Langsdorf), ein deutscher Advokat und Prokurator am Reichskammergericht zu Wetzlar. Der Spross des hessischen Adelsgeschlecht Zwierlein war Sohn des Johann Jacob von Zwierlein und dessen Ehefrau Elisabeth Dorothea von Gülchen (1718–1797). Christian studierte an den Universitäten Gießen und Göttingen. Am 31. Mai 1758 folgte die Zulassung zur Advocatur, am 7. Juni 1762 die zur Prokuratur sowie am 1. Juli 1762 dann die Vereidigung als Prokurator am Reichskammergericht.

Insgesamt sind in den bisher übertragenen Dokumenten mehr als 70, meist adelige Personen erwähnt, die mit Ansbach, dem Reichskammergericht in Wetzlar, mit Bayreuth oder Berlin in Beziehung stehen oder einfache Bürger des Fürstentums Brandenburg‐Ansbach sind.

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Empfehlung zum Verbleib

Bei dem Fund handelt es sich um bedeutsame Quellen, die fachgerecht gelagert und archiviert gehören, um der Wissenschaft zur Verfügung gestellt zu werden. Somit empfehlen wir unbedingt, den Fund geschlossen an ein Archiv zu geben. Infrage kommt das Staatsarchiv in Nürnberg oder das Stadtarchiv in Ansbach. Da es sich um einen bedeutsamen Fund in einem Ansbacher Wohnhaus handelt und der lokale Bezug auch inhaltlich gegeben ist, empfehlen wir die Weitergabe der Dokumente und das Stadtarchiv Ansbach.