Krieg in der Ukraine und Nahost, Krisen an jeder Ecke - all das hat die Debatte rund um die Wehrpflicht wiederbelebt. Die Positionen gehen dabei weit auseinander.
Spätestens seit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der damit verbundenen "Zeitenwende" Deutschlands in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wird das altbekannte Thema politisch und gesellschaftlich neu diskutiert: War die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland ein Fehler?
Unter der deutschen Wehrpflicht versteht sich die gesetzliche Verpflichtung männlicher Staatsbürger ab dem 18. Lebensjahr, der Bundesrepublik Deutschland für einen festgelegten Zeitraum in den Streitkräften zu dienen. Die Wehrpflicht bestand seit Juli 1956 und wurde 55 Jahre später im Juli 2011 vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt. Das kam einer Abschaffung gleich, da alle Strukturen für die Musterung und Ausbildung einer größeren Zahl von Soldaten abgebaut wurden.
Wehrbeauftrage Högl fordert "Entkrampfung in der Debatte"
Zuletzt heizte die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, die Debatte wieder an. Sie fordert, dass 2024 zumindest einmal sachlich über Modelle für einen allgemeinen Dienst in Bundeswehr und Zivilorganisationen gesprochen wird. Die SPD-Politikerin stellt sich damit auf die Seite von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der wegen der veränderten Sicherheitsarchitektur in Europa solche Modelle prüfen lässt und dabei auch das schwedische Wehrpflichtmodell in den Blick nimmt.
Im schwedischen Wehrpflichtmodell bekommen alle erstmal Post und "werden aufgefordert, sich zu melden. Dann werden sie gemustert und bekommen ein Angebot. Schweden zieht keineswegs einen ganzen Jahrgang ein. Es handelt sich also nicht wirklich um eine Wehrpflicht, sondern es werden diejenigen genommen, die geeignet sind und die wollen", erklärt Eva Högl gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin.
Generell werbe die Wehrbeauftragte in Deutschland "für eine Entkrampfung in der Debatte. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn jetzt eine Diskussion über konkrete Konzepte Fahrt aufnimmt". Aber für die SPD-Politikerin sei gleichwohl klar: "Die alte Wehrpflicht möchte niemand zurück. Es geht um ein neues Konzept. Gibt es die Notwendigkeit, die Bundeswehr aufzustocken mit mehr Personal? Das würde ich angesichts der Lage bejahen". Aktuell gebe es nämlich 181.000 Soldaten und das Ziel von 203.000 bis 2030 sei ohne Veränderungen im Personalmanagement nicht zu erreichen.
Kritische Stimmen zum Wehrpflicht-Vorstoß von Högl und Pistorius
Kritik kam vor allem aus der FDP, aber auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ging auf Distanz. Ebenso der Grünen-Chef Omid Nouripour: "Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird", sagte er der dpa in Berlin und fügte auf Nachfrage aber hinzu, dass er nichts ausschließe, weil es nie was bringe. Grundsätzlich seien die Grünen aber der Meinung, dass die Wehrpflicht zu mehr Kosten führe und die Wehrfähigkeit nicht zwingend steigere.
Högl begrüße stattdessen, dass Verteidigungsminister Pistorius sich das schwedische Modell genauer anschaue und mahnt, "jegliche Debatte reflexhaft und kategorisch abzulehnen". Sie sei für mehr Verbindlichkeit als beim Bundesfreiwilligendienst und dafür, Männer und Frauen in den Blick zu nehmen. Ein Dienst müsse dann für die Bundeswehr ebenso wie für Kultur, Soziales und Umwelt geprüft werden.