Das Infektionsschutzgesetz soll geändert werden. Für einen ersten Entwurf hagelt es Kritik von vielen Seiten. Im Netz ist sogar von einem "Ermächtigungsgesetz 2.0" und dem Ende der Demokratie die Rede. Einige Politiker zeigen sich über die Vergleiche empört.
Vor Kurzem legten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vor. Am Mittwoch (18. November 2020) will die Koalition die Neufassung verabschieden. Die Meinungen dazu sind zwiegespalten.
Ziel der neuen Fassung soll eine stärkere Rechtsgrundlage für getroffene Maßnahmen in der Corona-Pandemie sein. In den vergangenen Wochen kippten Gerichte immer wieder Beschlüsse der Länder. So wurden unter anderem Ende August ein Alkoholverbot in München gekippt, im Oktober wurde das stark debattierte Beherbergungsverbot zurückgenommen. Zuletzt entfachte die Diskussion erneut durch die Schließung der Fitness-Studios.
Neuer Paragraf 28a: Rechtliche Grundlage für Corona-Maßnahmen
Damit Maßnahmen künftig einen rechtlichen Rahmen haben, soll das Infektionsschutzgesetz nun angepasst werden. Besonders wichtig hierbei ist der Paragraf 28. In der aktuellen Fassung erlaubt er, mit notwendigen Schutzmaßnahmen Grundrechte einzuschränken. Unter bestimmten Voraussetzungen können Behörden "Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten". Zudem wird damit die Einschränkung einiger Grundrechte, wie etwa Artikel 2 - der Legitimierung von freier Persönlichkeitsentfaltung und körperlicher Unversehrtheit - oder die in Artikel 8 festgehaltene Versammlungsfreiheit, legitimiert.
Gerichte zweifelten in der Vergangenheit jedoch an, dass die Maßnahmen durch diesen Paragrafen gerechtfertigt sind. Unter der nun geplanten Erweiterung "Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2" sollen die Beschränkungen auf rechtlich gesichertem Boden stehen. Der Paragraf 28a verankert sämtliche Schutzmaßnahmen, wie etwa Ausgangsbeschränkungen, das Abstandsgebot oder die Maskenpflicht. Die Anordnung dieser Regelungen muss allerdings "verhältnismäßig sein" und können nur für die Dauer der Feststellung einer Corona-Epidemie in Kraft treten, heißt es in dem Entwurf.
Juristen loben den Vorschlag zur neuen Fassung, üben jedoch auch Kritik. So erklärt Juristin Anika Klafki der WELT: "Das, was jetzt diskutiert wird, ist jedenfalls besser als der Status quo." Dennoch sieht sie weiterhin einen zu großen "Handlungsspielraum bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme zulässig ist." Im Entwurf steht dazu, dass die Schutzmaßnahmen "unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens [...] ausgerichtet werden."
"Ermächtigungsgesetz 2.0" - Politiker über Vergleiche empört
Vor der geplanten Verabschiedung im Bundestag und Bundesrat gibt es im Internet allerdings heftige Diskussionen. Auf Twitter war der Hashtag #Ermächtigungsgesetz am Dienstagnachmittag auf Platz 1. Während sich zahlreiche Politiker der Union und SPD für die geplante Änderung aussprechen, spricht ein Teil der Netzgemeinde vom Ermächtigungsgesetz. Mit dem am 23. März 1933 beschlossenen Gesetz wurde das Parlament der Weimarer Republik arbeitsunfähig, die NS-Regierung konnte infolgedessen auch ohne die Zustimmung des Reichstags und Reichsrats Gesetze erlassen. "Mit dem Gesetz gelang es Adolf Hitler, die Weimarer Verfassung auszuhöhlen und dem Übergang zur autoritären Diktatur den Schein von Legalität zu geben", erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung.
Wegen der klaren Unterschiede zwischen den Gesetzen kritisieren viele Politiker die Unterstellungen scharf. "Wer so infame Vergleiche anstellt, verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus und zeigt, dass er aus der Geschichte nichts gelernt hat", schreibt Außenminister Heiko Maas (SPD). Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zeigt sich empört: "Wer das mit dem Infektionsschutzgesetz gleichsetzt und so komplett gegen unsere Geschichte argumentiert, dem geht es nicht um ernsthafte demokratische Auseinandersetzung." Auch Juristin Anika Klafki kann die Verwendung des Begriffs nicht nachvollziehen: "Wie Juristen sprechen zwar von Ermächtigungsgrundlage, wenn die Legislative der Exekutive Befugnisse einräumt. Das ist aber kein Ermächtigungsgesetz, mit dem die Demokratie ausgehebelt wird."