Nach Daimler Truck und Commerzbank setzt auch die Deutsche Bahn in Krisenzeiten erstmals auf eine Frau als Chefin. Wissenschaftler sehen ein Muster darin - und nennen einen klaren Grund.
Hartmut Mehdorn, Rüdiger Grube, Richard Lutz - die neue Bahnchefin Evelyn Palla folgt auf eine lange Reihe von männlichen Vorstandsvorsitzenden bei der Deutschen Bahn. Sie gilt bei Experten als Beispiel für die Theorie der Gläsernen Klippe: Danach steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in Führungspositionen berufen werden, wenn Unternehmen in einer Krise stecken - sei es finanziell oder durch einen Skandal.
Die Chancen sind laut dem Mannheimer Betriebswirtschaftler Max Reinwald in finanziellen Krisen rund 50 Prozent höher als bei Unternehmen in stabilen Ausgangslagen. Es ist allerdings Anstieg auf niedrigem Niveau: Grundsätzlich liege die Chance für Frauen, in Führungspositionen berufen zu werden, bei 5 Prozent - in einer Krisensituation steige diese auf 7,6 Prozent.
«Die Bahn ist seit Jahren in der Krise. Es ist auch nicht absehbar, dass eine spürbare Besserung sehr schnell eintritt», sagt Reinwald. «Und das Verkehrsministerium war natürlich auch unter Druck und möchte zeigen: ,Okay, wir sind dran, wir ändern da was.'»
Unternehmen wollen Signal der Veränderung senden
Hintergrund der Gläsernen Klippe ist laut Reinwald der Versuch von Unternehmen in der Krise, ein Signal zu senden, wonach sie auf Veränderung setzen - das funktioniere besonders gut bei Unternehmen, die stets männliche Chefs gehabt hätten wie die Bahn, sagt der Wissenschaftler. Laut Reinwald verstärkt sich der Effekt der Gläsernen Klippe auch mit der öffentlichen Sichtbarkeit eines Unternehmens. Je mehr mediale Aufmerksamkeit ein Unternehmen bekomme, desto stärker trete der Effekt auf.
Palla wurde in dieser Woche vom Aufsichtsrat der Deutschen Bahn zur neuen Chefin des Konzerns berufen. Sie war bislang Chefin der Regionalverkehrssparte der Bahn.
Mehr als 26.000 Wechsel in Führungspositionen ausgewertet
Reinwald hat mit zwei Kollegen von der Universität Konstanz nach eigenen Angaben 26.156 Wechsel in Führungspositionen börsennotierter US-Unternehmen in den Jahren 2000 bis 2016 ausgewertet. Davon betrafen zwar nur 7,4 Prozent Frauen. Aber aufgrund der hohen Gesamtzahl an ausgewerteten Wechseln, sei das Ergebnis belastbar, sagt Reinwald. Er geht davon aus, dass die Ergebnisse grundsätzlich auf Deutschland übertragbar sind.
Die Hypothese, dass Konzerne lieber Frauen berufen, weil die Männer in Krisensituationen nicht gewollt hätten, hält der 36-Jährige nicht für haltbar. «Ich würde mal vermuten, dass es bei der Bahn einige Männer gegeben hat, die bereitgestanden wären.»