Franz Kafkas rätselhaftes Romanfragment wird auf der Bühne nicht unbedingt zugänglicher. Das zeigte die Inszenierung von Constanze Kreusch am Erlanger Markgrafen-theater.
"Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." Dass ist einer jener Sätze Franz Kafkas, die wie Keulenschläge sitzen und die der Leser nie mehr vergisst. Auch Constanze Kreuschs Dramatisierung des Fragment gebliebenen Romans "Der Prozess" beginnt mit diesem Satz - fast, denn vorher haben an den Seiten des Theatersaals aufgestellte Protagonisten die Parabel "Vor dem Gesetz" rezitiert.
Wer sich je mit Kafka-Interpretation beschäftigt hat, der weiß, dass einen nach auch nur flüchtiger Kenntnisnahme von psychoanalytischen, religionsphilosophischen oder sozialhistorischen Ansätzen schwindelt. Herauskristallisiert hat sich das Gefühl einer all- und übermächtigen Bedrohung und Bürokratie, die Hilflosigkeit des anonymen Mächten ausgelieferten Individuums.
Das sind natürlich ins Banals lappende Klischees, aber völlig falsch müssen sie deshalb nicht sein. Es wäre schön, wenn sich die Erlanger Inszenierung für eine Interpretation entschieden und diese konsistent auf die Bühne gebracht hätte. Stattdessen verzettelt sie sich in einer Nacherzählung des Textes und überfordert in über zwei sich ohne Pause quälend dehnenden Stunden den zunehmend ermüdeten Zuschauer. Zu Beginn gelingt es der Regie und dem jungen Team noch, die bedrückende Atmosphäre zu evozieren, die um den verdächtigten Josef K. entsteht. Den gibt Daniel Seniuk allerdings eher lässig-yuppiehaft, als ihm an seinem 30. Geburtstag die Wächter Franz (Robert Naumann) und Willem (Benedikt Zimmermann, der auch als Gerichtsdiener, Kanzleidirektor und Maler Titorelli redlich seine Schauspieler-Pflicht erfüllt) erklären, dass er nun verhaftet sei.
Ihre langen (Klepper?-)Mäntel lassen gleich unangenehmste Assoziationen an Gestapo- oder GPU-Schergen aufkommen. Hat nicht Arthur Koestler in seinem Roman "Sonnenfinsternis" geschildert, wie verdiente Genossen absurden Selbstbezichtigungs-Ritualen unterworfen wurden?
Dieser Ansatz wird nicht weiter verfolgt, blitzt allenfalls ab und an immer wieder einmal auf. Wir erleben mit, wie sich Josef K. durch ein Labyrinth erotischer und letztendlich metaphysischer Verstrickungen arbeitet. Die Bühne (Petra Wilke) jedoch ist schlüssig: Sechs Papierbahnen hängen vor einer ansonsten völlig kahlen Szenerie. Der Held selbst pinselt seine schrumpfende Lebensfrist darauf - im Lauf der Handlung hofft der erschöpfte Zuschauer, die Zahlen (365, 255 usw.) möchten sich doch schneller verkleinern. Doch wir müssen den Kreuzweg des Josef K.
mitgehen, der einem rätselhaften Prozess unterworfen wird, sich aber auch selber unterwirft, bis zu seiner Exekution, die nicht gezeigt, nur wieder geschildert wird.
Drastische Folterszene Dazwischen liegen absurde Disputationen vor einem ebenfalls szenisch nur spartanisch angedeuteten Gericht, eine drastische Folterszene (als "Prügler" u. a. Christian Wincierz) mit sadomasochistischen Untertönen und erotische Andeutungen. Anja Thiemann und Violetta Zupancic als Fräulein Bürstner oder Leni wuseln recht aufreizend herum; jede Interaktion artet gleich in animalisches Beißen aus, eher albern als überzeugend. Die Mehrfachbesetzungen fordern den Betrachter wie die Schauspieler, deren Leistung keinesfalls kleingeredet werden soll.
Der erst spät entdeckte Humor Kafkas, der beim Vorlesen eigener Werke mitunter schallend gelacht haben soll, erschloss sich in dieser Inszenierung ebenfalls nicht. Dazu scheute sie dann wieder die Groteske.
Regieeinfälle wie vom Himmel regnende Rosenblätter ("American Beauty"!) oder ein gemeinsam gesungenes tschechisches Volkslied sind weniger schlüssig als überflüssig. Die Schlächtermäntel der "Wächter" signalisieren: Kafka ist 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine unheimliche Prophetie auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts gelungen. Wenn sich der Erlanger "Prozess" darauf konzentriert hätte, vielleicht in einer wesentlich kürzeren Studio-Aufführung, wäre man bedrückt gegangen. Doch bestimmt zufriedener.