Das Neue Museum in Berlin rückt eine Frau ins Licht, die wohl jeder auf der Welt kennt. Königin Nofretete war aber viel mehr als das erste Pin-up-Girl der Kulturgeschichte.
Dieser Blick lässt einen nicht mehr los. Die Versuchung ist groß, sich in den Katakomben des Stüler-Baus zu verstecken und sich einschließen zu lassen, um eine Nacht mit IHR zu verbringen, SIE wenigstens einen Augen-Blick lang nur für sich alleine zu haben. Die Schöne ist gekommen: Nofretete, die geheimnisvolle Königin aus Ägypten, wickelt den Betrachter um den Finger, obwohl sie gar keinen hat. Als wäre sie aus Fleisch und Blut, nicht aus Gips und Kalk, als stünde sie in der Blüte ihres Lebens, statt 1336 vor Christus gestorben zu sein. Zum Greifen nahe und unerreichbar. Zu schön, um wahr zu sein.
Auch als Ausstellungsstück ist sie in die Jahre gekommen und doch kein bisschen verstaubt, die Büste aus dem Wüstensand, die der Berliner Ägyptologe Ludwig Borchardt vor 100 Jahren im Niemandsland des modernen Ägypten gefunden hatte. Den Satz, den Borchardt am 6. Dezember 1912 aufgeregt in sein Tagebuch kritzelte, würden die Millionen Besucher heute noch unterschreiben, die stundenlang in der Warteschlange auf der Berliner Museumsinsel stehen, nur um einen Blick auf sie - von ihr? - zu erhaschen. "Beschreiben nützt nichts, ansehen!"
Ausgrabung 1912 Borchardt leitete 1912/13 eine Ausgrabung im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell el-Amarna, heute ein Wüstenkaff, vor 3400 Jahren für kurze Zeit die neue Hauptstadt des Reiches am Nil.
Pharao Amenophis IV., der unter seinem Namen Echnaton in die Geschichte einging, verfügte in seiner vermutlich nur 15 Jahre währenden Regierungszeit enorme gesellschaftlich-politische Umwälzungen. Er brach mit dem altägyptischen Pantheon, dem Glauben an eine Vielzahl von Göttern, und setzte den Sonnengott, Aton, als alleinigen Schöpfer und Herrscher ein.
Damit dürfte ein staatlich verordneter Bildersturm verbunden gewesen sein, eine "Revolution von oben", wie die Leiterin des Ägyptischen Museums in Berlin, Friederike Seyfried, sagt. Echnaton ließ sich und "seinem" Gott sogar eine neue Hauptstadt bauen. In Rekordzeit stampfte ein Heer von Arbeitern, das durch Soldaten verstärkt wurde, 400 Kilometer nördlich von Theben die Metropole Achet-Aton aus dem Boden am Nilufer. Buchstäblich: Die Gebäude bestanden überwiegend aus Nilschlamm.
Neue Religion In der neuen Hauptstadt setzte der Pharao mit seiner Gattin Nofretete den neuen Glauben radikal um: Der Sonnengott Re wurde nicht mehr als fuchsköpfiger Mensch dargestellt, sondern als das Licht selbst verehrt. Die Darstellungen aus Achet-Aton, heute Amarna, zeigen "Gott" abstrahiert, erstaunlich modern anmutend für eine Kultur des Altertums: Sonnenstrahlen, die in einer Hand enden, stehen für das göttliche Licht, das alles überstrahlt. In Achet-Aton hatten nach jüngsten archäologischen Erkenntnissen, die in Berlin hochdetailliert dokumentiert sind, viele Gebäude nicht einmal ein Dach. Das Licht sollte ungehindert Zugang finden.
In Achet-Aton stand eine der größten Tempelanlagen des Altertums, trotzdem überdauerte der revolutionäre Glaube die Regierungszeit Echnatons nicht lange. Als der Pharao um 1330 vor Christus starb (oder gestorben wurde, die Umstände seines Todes sind ungeklärt, sein Grab wurde bislang nicht eindeutig identifiziert), brach eine Konterrevolution aus: Die alten Götter kehrten auf den Thron zurück, die in Stein gemeißelten Zeugnisse des Aton-Glaubens wurden ausgelöscht, Echn-atons Bildnisse zertrümmert. Auch die Hauptstadt Achet-Aton wurde ver-wüstet, der nächste Pharao zog nach Memphis. Dieser Pharao war Tutench-Aton, Sohn von Echn-aton und Nofretete. Er wurde durch seine Totenmaske und unter seinem neuen Namen weltberühmt, der die Abkehr vom Aton-Glauben manifestiert: Tutenchamun.
Ein moderne Frau Hübsch war er auch, der Jüngling, seiner Mutter kann er aber nicht das Wasser reichen. Sie saß, auch das ein Vorgriff auf moderne Zeiten, gleichberechtigt neben Echnaton: er zuständig für das Religiöse, sie fürs Weltliche. So viel Frau hat es in den folgenden 3400 Jahren Geschichte nie mehr gegeben, bis heute nicht und in der Religion schon gar nicht.
Es gab und gibt viele ernsthafte Gelehrte, an der Spitze Sigmund Freud, die in Echn-atons Glauben an den einen Gott, der keine anderen neben sich haben will, den Ursprung der drei großen Weltreligionen sehen. Floh Moses vor dem Umsturz nach Echnatons Tod mit einigen Anhängern des neuen Glaubens aus Ägypten? Wurde aus Aton Jahwe, der jüdische Ein-Gott, und in der Konsequenz der Gott der Christen und der Moslems?
Diese Thesen sind umstritten. Mit großem Nachdruck haben aus naheliegenden Gründen weder die christlichen Archäologen noch die großteils jüdischen Geldgeber der Orient-Gesellschaft noch später das muslimisch geprägte Ägypten einschlägige Forschungen forciert. Birgt das Meisterstück aus der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis ein Bilderrätsel? Was will uns die in ihrer Unvollkommenheit vollkommene Schönheit, der das linke Auge aus Bergkristall fehlt, sagen?
Vielleicht sollte man die Religionsführer dieser Welt, allesamt Männer im gesetzteren Alter, für eine Nacht ins Museum sperren. Dann würde SIE zwinkern mit ihrem einen Auge, die Schöne aus Amarna, und die versteinerten Herzen in diesem einen Augenblick erweichen. Warum schlagen wir uns seit 2000 Jahren die Köpfe ein, wenn es so viel Schönheit gibt auf dieser Welt? Nofretete, die Friedenskönigin? Zu schön, um wahr zu sein ...
Die Ausstellung Die Ausstellung "Im Licht von Amarna - 100 Jahre Fund der Nofretete" ist bis 13. April im Neuen Museum auf der Museumsinsel in Berlin zu sehen (U-Bahnlinie 6, Bahnhof Friedrichstraße). Sie ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags bis 20 Uhr. Da stets großer Andrang herrscht und die Besucher nur blockweise eingelassen werden, empfiehlt sich die Reservierung der Tickets für ein Zeitfenster im Internet
( www.neues-museum.de
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