Deshalb ist die Impfpflicht in Deutschland gescheitert

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Die Impfpflicht in Deutschland ist vorerst gescheitert. Der Bundestag debattierte heftig und lange - eine Einigung gab es nicht. Was sind die Gründe für das Scheitern der Impfpflicht?

Die Abstimmung des Deutschen Bundestags zur Impfpflicht gegen das Coronavirus gilt schon jetzt als historisch. Und tatsächlich dürften die Folgen des "Neins" der Abgeordneten noch länger zu spüren sein. So zumindest sehen es viele Mediziner, die spätestens im Herbst eine Überlastung des Gesundheitssystems befürchten. Das Abstimmungsergebnis sei eine Enttäuschung und mache den Kampf gegen die Corona-Pandemie spätestens im Herbst sehr viel schwerer, meinte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unmittelbar nach der Abstimmung.

Doch wie konnte es zu diesem Ergebnis kommen? Was sind die Gründe für das Scheitern der Impfpflicht im Bundestag? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht - und doch lassen sich einige Gründe identifizieren.

Versagen der Regierung oder Parteikalkül der Opposition?

Gerade die Opposition interpretiert das Scheitern der Impfpflicht als ein Scheitern der Ampelkoalition. Die Regierung hatte keine eigene Gesetzesvorlage zur Impfpflicht vorgelegt. Vielmehr wurde über vier verschiedene Entwürfe abgestimmt: zunächst über eine Impfpflicht ab 60 - ein Kompromissvorschlag aus zwei Entwürfen um Heike Baehrens (SPD) einerseits,  Dieter Janecek (Grüne) andererseits. Dieser scheiterte mit 296 zu 378 Stimmen. Der Vorschlag der Unions-Fraktion zu einem gestuften Impfmechanismus mit Einführung eines Impfregisters scheiterte danach mit 172 zu 496 Stimmen. Die Anträge der Gruppe um den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki (85 zu 590) und der AfD-Fraktion (79 zu 606), die beide eine Impfpflicht verhindern wollten, scheiterten jedoch ebenso deutlich. 

Schaut man sich das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten genauer an, zeigt sich: Die Auflösung des Fraktionszwangs, um eine persönliche Gewissensentscheidung der Abgeordneten zu gewährleisten, sollte wohl nur die innere Zerrissenheit der Koalition kaschieren. Nur 9 SPD-Politiker*innen und 6 Politiker*innen der Grünen stimmten gegen die Impfpflicht, allerdings 79 Abgeordnete der FDP (bei 5 "Ja" Stimmen).  Auch die anderen Fraktionen stimmten relativ gleich ab. In dieser Lesart trieb der Skeptizismus der FDP gegenüber den Corona-Maßnahmen die Ampelkoalition auseinander und machte die Regierung handlungsunfähig

Die Koalitionäre hingegen sehen den Fehler vor allem bei der Union: Denn die Unions-Fraktion stimmte fast geschlossen gegen die Impfpflicht und unterstützte lieber den eigenen Vorschlag. Der scheiterte dann aber wie gesagt mit den eigenen 172 Unionsstimmen - kein einziger Abgeordneter einer anderen Fraktion schloss sich dem Entwurf der Union an. Dass sich die Union gegen die Impfpflicht sträubte, sei einzig parteipolitischem Kalkül geschuldet und der Versuch, die Regierung schlecht dastehen zu lassen. Diese Lesart wird unterstützt, schaut man sich die Abstimmung zur Masern-Impfpflicht aus dem Jahr 2019 an: Dort hatten Union und FDP noch gemeinsam für die Impfpflicht gestimmt - die Grünen hingegen gegen eine solche Pflicht. 

Regierung sitzt das Problem aus - rechtliche Bedenken

Experten hatten eine Impfpflicht schon lange gefordert. Und auch Bundeskanzler Scholz hatte bereits im November 2021 öffentlich dafür geworben. Doch die Debatte wurde verschleppt. Eine Diskussion im Bundestag Anfang des Jahres zeigte, wie uneins sich die Abgeordneten bei dem Thema sind. Für die Ampel-Regierung wurde die Impfpflicht zum Spagat: Einerseits die Gegner einer Impfpflicht nicht verprellen, andererseits in den Augen der Wähler im Kampf gegen Corona nicht versagen. Da kam die milder verlaufende Omikron-Welle gerade recht: Trotz einer vierstelligen Inzidenz brach das Gesundheitssystem nicht zusammen. Zwar starben und sterben trotzdem weiterhin hunderte Menschen an und mit Covid-19 pro Tag. Aber gefühlt schien das Problem weniger drängend. Diese Argumentation findet sich bei vielen Abgeordneten, die jetzt gegen eine Impfpflicht stimmten, weil noch nicht absehbar sei, ob denn Corona im nächsten Herbst überhaupt zu einer weiteren gefährlichen Welle führen wird. Doch die aktuelle Diskussion zeigt: Im Fall der Fälle - sollte beispielsweise bis zum Herbst eine gefährlichere Corona-Variante die Oberhand gewinnen - wird sich wahrscheinlich keine schnelle Impfpflicht umsetzen lassen. Schließlich dauerte es auch heuer fast 6 Monate vom ersten Vorschlag bis zur Abstimmung.

Nicht zuletzt scheiterte die Impfpflicht aber auch an rechtlichen Bedenken. Denn tatsächlich sind für die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland hohe Hürden gesetzt. Die Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein. Außerdem muss die Maßnahme geeignet sein, die Krankheit effizient zu bekämpfen. Zwar verhindert die Corona-Impfung zuverlässig schwere Verläufe - sie verhindert aber eben keine Infektion. Sie kann die Verbreitung von Covid-19 zwar abschwächen, weil sie die Viruslast reduziert. Aber eben nicht gänzlich unterbinden. Es war klar, dass gegen eine Impfpflicht geklagt werden würde. Ob eine allgemeine Impfpflicht verfassungsrechtlichen Bestand gehabt hätte, ist nicht klar. Das Risiko, mit einer Impfpflicht auf juristischem Weg zu scheitern, dürfte einigen Abgeordneten zu hoch gewesen sein. 

Für das Scheitern der Impfpflicht gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe. Die Debatte ist sicherlich keine Sternstunde des Deutschen Bundestags - zu emotional aufgeladen, zu parteitaktisch verzerrt war sie dafür. Sie kann jedoch als eine Lehrstunde der deutschen Demokratie gelten - mit all ihren Stärken und Schwächen. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir dieses Lehrstück der Demokratie am Ende nicht mit neuen Corona-Maßnahmen, mit Lockdowns oder dem Verlust vieler Menschenleben bezahlen müssen.  

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Vorschaubild: © Paul Zinken/dpa