Boris Palmer und die Ansichten eines Provokateurs

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Rudolf Görtler (l.) diskutierte mit dem Tübinger OB Boris Palmer über dessen Buch "Wir können nicht allen helfen". Matthias Hoch
Rudolf Görtler (l.) diskutierte mit dem  Tübinger OB Boris Palmer    über dessen Buch "Wir  können nicht allen helfen". Matthias Hoch

Vieles an Boris Palmers Thesen ist diskutabel, nichts davon verletzt die Grenze des Anständigen.

Mit pointierten Beträgen zur Flüchtlingsdebatte hat es der Tübinger OB Boris Palmer zum wahrscheinlich bekanntesten Kommunalpolitiker der Republik gebracht.
Palmer versteht sich als Pragmatiker, der unbequemen Wahrheiten erstens unerschrocken ins Gesicht zu blicken und diese zweitens auch mit der nötigen Klarheit zu formulieren wagt.
Dass ihm diese Unerschrockenheit den Ruf eines Provokateurs eingetragen hat, sagt viel über Palmer, mehr noch aber über das überreizte Diskursklima der Bundesrepublik aus. Vieles an Palmers Thesen ist diskutabel, nichts aber anstößig oder gar die Grenze des Anständigen verletzend.
Über sein Buch "Wir können nicht allen helfen" diskutierte Palmer am Mittwoch in Baunach mit Rudolf Görtler von der Mediengruppe (MGO). Ein klug fragender Kulturredakteur und ein sendungsbewusster OB besprachen die drängenden Fragen unserer Zeit. Sie bescherten dem Publikum einen hochpolitischen Abend und dem Bamberger Literaturfestival einen würdigen Abschluss.

1.Boris Palmer über
Angela Merkel:

Kanzlerin Merkels ikonischen Satz "Wir schaffen das" konterte Boris Palmer schon früh mit einem halb lakonischen, halb verbitterten "Wir schaffen das nicht". Palmer fühlte sich von Merkel alleingelassen und von ihrem Satz deshalb verhöhnt.
Die Kanzlerin habe ihre Flüchtlingspolitik moralisch überhöht und auf diese Weise jede Kritik unter den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit gestellt. Palmer berichtete, wie er mehrfach ohne jede Vorwarnung Hunderte von Flüchtlingen in Tübingen unterbringen musste. Beim in der ersten Reihe sitzenden Bamberger OB Andreas Starke (SPD) versicherte sich Palmer am Mittwoch mehrmals, ob dieser ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Starkes Schweigen dürften viele Zuschauer als Zustimmung interpretiert haben.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überfordert, die Regierung wirklichkeitsenthoben. "Merkels Worte hatten keinen Bezug zu ihren Taten. Wir Kommunalpolitiker waren auf uns allein gestellt", so Palmer.
2.Boris Palmer über
die Bamberger AEO:

Am Nachmittag vor seinem Baunacher Auftritt besuchte Palmer in Begleitung des Bamberger Oberbürgermeisters Andreas Starke die Aufnahmeeinrichtung AEO. Er habe nichts entdeckt, was Kritik oder gar den Vorwurf der Unmenschlichkeit verdiene.
Die AEO entspricht Palmer Vorstellungen einer geordneten Flüchtlingspolitik, die Konsequenz mit Pragmatismus und Humanität verbindet. Als das A und O einer gelingenden Flüchtlingspolitik nennt Palmer zügige Verfahren. Schneller als bisher müsse feststehen, wer bleiben dürfe und wer gehen müsse. Wer bleiben darf, soll nach den Vorstellungen Palmer umgehend in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden.
Wer keine Bleibeperspektive hat, solle Einrichtungen wie die AEO erst gar nicht verlassen, sondern von dort aus in sein Heimatland zurückgeführt werden.

3.Boris Palmer über
Abschiebungen:

Deutschland schiebt in den Augen Palmers die Falschen ab: "Die integrierten Familienväter müssen gehen, während die Kriminellen bleiben dürfen." Aus seiner Ist-Analyse leitet Palmer zwei Forderungen ab: Wer seit Jahren in Deutschland lebe, sich an die Gesetze halte und für seinen Lebensunterhalt aufkomme, soll bleiben dürfen. Selbst dann, wenn sein Asylantrag einst negativ beschieden worden ist.
Straffällige Ausreisepflichtige will Palmer dagegen konsequenter als bisher abschieben. Im Übrigen auch nach Afghanistan.

4.
Boris Palmer über Flüchtlingskriminalität:

Dass gegen Flüchtlinge gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überproportional häufig wegen Sexualdelikten und schweren Straftaten ermittelt wird, lässt sich für Palmer nicht aus der Welt argumentieren. Wer darüber aus Gründen politischer Korrektheit beschämt schweige, mache sich an den Straftaten mitschuldig.
Jeden kausalen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Religion oder Ethnie vermeidet Palmer allerdings: "Auch in muslimischen Ländern darf man keine Frauen vergewaltigen." Als besonders hoch identifiziert er das Gewaltpotenzial junger männlicher Flüchtlinge. Von jungen Männern gehe allerdings in allen Gesellschaften die größte Gefahr aus. Weil jungen Flüchtlingen oft der "zivilisierende Einfluss von Frauen" fehle, plädierte Palmer für einen großzügigen Familiennachzug. An dieser Stelle ging ein Raunen durch den Saal.

5.Boris Palmer über
die AfD:

Furchtlose, kaum Abgrenzungszwänge kennende Politiker wie sich selbst hält Palmer für wirksamstes Mittel gegen die AfD. Das Urteil über die deutsche Flüchtlingspolitik entscheide sich in hohem Maße am sozialen Status. Den gehobenen Mittelschichten fiele ihre Zustimmung zu Merkels Flüchtlingspolitik auch deshalb leicht, weil sie von deren konkreten Folgen unberührt blieben.
Palmer bezog sich in diese Einschätzung ausdrücklich mit ein: "Wo ich wohne, wohnen keine Flüchtlinge. Mir nimmt auch kein Flüchtling mein Amt als Tübinger OB weg." Angehörige der Unterschicht, Arbeiter und Arbeitslose dagegen erlebten Flüchtlinge zunehmend als Konkurrenten um Jobs, staatliche Leistungen und Wohnraum. Die Debatte um die Essener Tafel diente Palmer als Beleg für seine These. Wo andere AfD-Wähler moralisch herabsetzen und ausgrenzten, plädiert Palmer für einen vorurteilsfreien Dialog.

6.
Boris Palmer über
Sebastian Kurz:

Sündenstolz postete Palmer zuletzt auf Facebook Fotos, die ihn zu Besuch beim österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigen. Die Kritik, die ihm dafür entgegenschlug, dürfte Palmer wohlwollend einkalkuliert haben.
Für viele Deutsche ist Kurz ein rotes Tuch, seit er seine konservative Volkspartei in ein Bündnis mit der rechtspopulistischen, in Teilen auch antisemitischen und rechtsradikalen FPÖ geführt hat. Mindestens ebenso viele bewundern Kurz aber als Mann der klaren Worte und Taten, seit er gegen den Widerstand Merkels die Schließung der Balkanroute organisiert hat.
In Sebastian Kurz dürfte Boris Palmer einen Bruder im Geiste erkennen. Eingeladen wurde Palmer, weil er Kurz ein signiertes Exemplar von "Wir können nicht allen helfen" hat zukommen lassen. Sein ursprüngliches Exemplar hatte Kurz der Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen geschenkt.