Der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe warnte in einem Interview vor kommenden Blackouts. Die Behörde korrigierte die Aussage nachträglich. Jetzt erklären Experten, was wirklich zu befürchten ist.
Uneinigkeit beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Krisenexperten zur Wahrscheinlichkeit großflächiger Blackouts
Was ist eigentlich ein Blackout und was ein Brownout?
Drei Arten von Stromausfällen
"Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird." Das sagte der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, in einem Interview mit der Welt am Sonntag vom 19. November 2022. Einen Tag später erschien auf der Webseite des BBK eine Pressemitteilung mit dem Titel "Klarstellung des BBK".
Sorge vor Blackout in Deutschland nach Interview von BBK-Präsident
Ein großflächiger Stromausfall - also ein Blackout - in Deutschland sei "äußerst unwahrscheinlich", heißt es darin. Das elektrische Energieversorgungssystem verfüge "über zahlreiche Sicherungsmechanismen, um das Stromnetz bei Störungen zu stabilisieren." Tiesler habe sich in dem Interview auf regional und zeitlich begrenzte Abschaltungen bezogen, um die Gesamtversorgung weiter sicherzustellen. Damit habe er die "grundsätzliche Bedeutung von Vorsorgemaßnahmen" hervorheben wollen. Die Wahrscheinlichkeit von begrenzten erzwungenen Abschaltungen sei aber gering und man bedauere missverständliche Formulierung.
Die nachträgliche Korrektur der Aussage des BBK-Leiters trägt nicht gerade dazu bei, dass Bürger*innen Vertrauen in die Behörde haben. Der Krisenforscher Frank Roselieb sagt dazu gegenüber Focus Online: "Die ‚Klarstellung‘ des BBK deckt sich leider mit dem fatalen Bild, das die Krisenpolitik der amtierenden Bundesregierung seit einiger Zeit erzeugt." Der Ordnungsruf des Amtes an seinen eigenen Präsidenten käme zu einer Unzeit. Gerade in einer Zeit der Krisen würden Menschen nach Verlässlichkeit suchen.
Unrecht habe Tiesler mit seiner Aussage allerdings nicht gehabt, meint Experte Roselieb. "Hier hat sich nicht irgendein vorlauter 22-jähriger Katastrophenpraktikant geäußert, sondern ein 62-jähriger, äußerst erfahrener Katastrophenschützer mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung." Die Formulierungen seien vielleicht teilweise missverständlich gewesen. Im Grundsatz entsprechen die Aussagen von Tiesler aber dem Ergebnis von den "Sonderanalysen Winter 2022/2023" der vier Übertragungsnetzbetreiber, die im September 2022 erschienen sind.
"Versorgungssituation äußerst angespannt"
Darin heißt es: "In allen drei betrachteten Szenarien zeigt sich die Versorgungssituation im kommenden Winterhalbjahr äußerst angespannt - in Europa kann im Strommarkt die Last nicht vollständig gedeckt werden." Außerdem: "In den beiden kritischeren Szenarien treten in einigen Stunden Lastunterdeckungen auch in Deutschland auf." Insgesamt wurden in der Sonderanalyse drei mögliche kritische Szenarien betrachtet.
"Genau das war auch die Kernaussage von Ralph Tiesler", so Krisenexperte Roselieb gegenüber Focus Online. Der BBK-Leiter hat im Interview mit der Welt am Sonntag gesagt: "Das Risiko steigt ab Januar und Februar, sodass wir davon ausgehen, dass es von da an stellenweise für eine gewisse Zeit zu Unterbrechungen der Stromversorgung kommt.“
Auch Roselieb kann nicht ausschließen, dass es im Winter zu regionalen Stromausfällen kommen könnte. Das Krisenmanagement der Ampel-Regierung kritisiert er: "Dort bricht man mit den bewährten Grundsätzen guter Krisenprävention wie Redundanz, Resilienz und Robustheit." Stattdessen versuche man, "die Gesetze der Physik auszutricksen".
Drei Arten von Stromausfällen - wie wahrscheinlich ist ein echter Blackout?
Die Krisenforschung suche immer nach der "gesicherten Leistung", erklärt Roselieb gegenüber Focus Online. "Diese Verlässlichkeit können durchaus auch regenerative Energien liefern wie beispielsweise die Wasserkraft, vor allem aber Gas, Kohle, Öl und Atom. Hier kann man sich Kohle und Brennstäbe mit Vorlauf beschaffen und auf Halde legen." Bei Solar- und Windenergie würde das nicht funktionieren. Denn diese Energie sei "eine Zufallsenergie." "Die gesicherte Leistung ist folglich gleich null. Wer mittelfristig allein hierauf setzt, multipliziert oder addiert also null mit null - und geht bei einer ‚Dunkelflaute‘ leer aus“, warnt Roselieb.
"Auch hinreichende Speicherkapazitäten für die gesamte Bundesrepublik sind nach den Gesetzen der Physik in den nächsten Jahren nicht annähernd realisierbar. Das gilt erst recht bei einem massiven Ausbau der E-Mobilität. Hier hilft nur ein redundanter Mix verschiedener Energieträger." Auf die Frage, wie wahrscheinlich großflächige Blackouts in Deutschland seien, erklärt Krisenforscher Roselieb: "Wir unterscheiden drei Arten von Stromausfällen":
Die klassische Havarie: Damit sind Versorgungsunterbrechungen gemeint, die zwar sehr wahrscheinlich sind, aber in der Regel schnell behoben werden können. Das klassische Beispiel ist hier "Bagger trifft Stromkabel".
Geplante, kontrollierte Abschaltung: Kontrollierte regionale Abschaltungen seien nach der Einschätzung der Übertragungsnetzbetreiber im Herbst und Winter erstmals wahrscheinlich. Geplante und kontrollierte Abschaltungen - den sogenannten Brownout - habe auch der BBK-Leiter im Interview gemeint.
Der "echte" Blackout - unkontrollierte Abschaltung: Hackerangriffe oder ähnliches könnten zu echten Blackouts führen. Das sei "zwar stets möglich, aber insgesamt eher unwahrscheinlich“, so Roselieb gegenüber Focus Online. Die Übertragungsnetzbetreiber würden solche Fälle regelmäßig im Echtbetrieb trainieren.
Insgesamt betont Roselieb, dass flächendeckende Stromausfälle in Deutschland eher unwahrscheinlich sind und selbst wenn es dazu käme, gebe es sehr gute Voraussetzungen, um sie gut zu überstehen. Denn es gebe "eine gut funktionierende Marktwirtschaft mit kreativen Unternehmen, die zügig nach innovativen Lösungen in Krisenzeiten suchen“. Außerdem hätten wir "eine gefestigte Demokratie, die sich auch von Extremisten nicht so schnell aus der Bahn werfen lässt".
Auch Strommarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool befürchtet in diesem Winter in Deutschland keinen Blackout. "Möglich ist allenfalls ein sogenannter Brownout, bei dem die Übertragungsnetzbetreiber einzelne Großverbraucher oder Regionen stundenweise vom Netz nehmen müssten", sagt Huneke gegenüber der Deutschen Presseagentur. Dies könne bei großer Kälte etwa am frühen Abend geschehen, wenn der Haushaltsstromverbrauch stark zunehme.
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