Regelmäßig wird das bayerische Klinikpersonal von Patienten beschimpft und angegriffen.
Der Erste, den ein Patient nach dem Betreten der Notaufnahme im Nürnberger Klinikum zu Gesicht bekommt, muss keineswegs zwingend ein Arzt oder Pfleger sein. Der Blick des Patienten kann sich stattdessen auch an den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes heften, der dort in der Notaufnahme seinen Dienst tut.
"Täglich zwischen 17 und 7 Uhr sowie an den kompletten Wochenenden unterstützt ein Security-Mitarbeiter unser Personal", sagt Peter Schuh. Er ist Vorstand für die Personal- und Patientenversorgung am Nürnberger Klinikum.
Ungehaltene Patienten
Das Nürnberger Klinikum ist bei Weitem nicht das einzige Haus in Bayern, das die Dienste eines Sicherheitsunternehmens in Anspruch nimmt.
So arbeitet die Notaufnahme der Uniklinik der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) schon seit 15 und das Klinikum Ingolstadt seit immerhin vier Jahren mit einem Sicherheitsdienst zusammen. Erst zum Jahreswechsel haben sich auch die Städtischen Kliniken in München dazu durchgerungen.
Alle Einrichtungen reagieren mit diesem Schritt auf die zunehmenden Fälle von verbaler und auch körperlicher Aggression, derer sich Pfleger und Ärzte konfrontiert sehen.
Deeskalierende Wirkung
"Wir hören immer öfter von Gewalt in bayerischen Krankenhäusern, insbesondere in den Notaufnahmen", bestätigt Siegfried Hasenbein. Er ist Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG).
Auch die Leitung des Nürnberger Klinikums sah sich seinerzeit zu einer Antwort genötigt, nachdem laut einer internen Umfrage gut die Hälfte ihrer Ärzte und Pfleger regelmäßig von Patienten körperlich und verbal angegangen worden sind.
Seit dem Jahr 2013 sollen nun die Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma das Klinikpersonal vor derartigen Attacken schützen. "Unser Sicherheitsdienst hat eine deeskalierende, vor allem aber auch eine abschreckende Wirkung", sagt Schuh.
Wie oft der Sicherheitsdienst im Nürnberger Klinikum eingreifen muss, erhebt die Klinikleitung nicht. Mit aussagekräftigen Zahlen belegbar ist laut Schuh dagegen, dass zwar nicht die Zahl der verbalen, aber immerhin der körperlichen Angriffe auf das Klinikpersonal gesunken ist: "um 20 Prozent".
Als Ursache des aggressiven Patientenverhaltens lassen sich eine gesellschaftspsychologische und eine strukturelle Dimension identifizieren. Mit voller Wucht treffen ganz offensichtlich auch die bayerischen Kliniken die Ausläufer eines Wertewandels, der die Autorität vieler gesellschaftlicher Institutionen beständig schleift.
Politiker, aber auch Polizisten und Rettungssanitäter teilen die bedrückenden Erfahrungen vieler Klinikärzte. "Immer öfter fehlt der Respekt vor der Institution Krankenhaus", klagt auch Christoph Dodt, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft Notfall- und Akutmedizin. Damit wäre die gesellschaftspsychologische Dimension des Problems beschrieben.
Die strukturelle liegt in der steigenden Beanspruchung von Notaufnahmen in deutschen Krankenhäusern. "Wir hören von unseren bayerischen Krankenhäusern immer öfter, dass Gewalt in den Krankenhäusern und dort insbesondere in der Notaufnahmen immer häufiger vorkommt. Das ist so ein Kristallisationspunkt", bestätigt Hasenbein.
Eigentlich am falschen Ort
Schon seit längerem sind Notaufnahmen die erste Anlaufstelle bei der Versorgung keinesfalls nur kritisch erkrankter Patienten außerhalb der regulären Sprechzeiten. "Die steigenden Fallzahlen bringen die Versorgungsstrukturen an ihre Belastungsgrenzen", folgerte entsprechend im vergangenen Herbst auch der Deutsche Kongress für Versorgungsforschung.
Allein die Notaufnahme des Nürnberger Klinikums hat im vergangenen Jahren 110 000 Patienten versorgt. Unter rein medizinischen Gesichtspunkten wäre ein nicht zu unterschätzender Anteil bei einem niedergelassenen Arzt oder in einer Bereitschaftspraxis besser aufgehoben gewesen. Diesen Eindruck hat Uwe Schuh, diesen Eindruck teilt auch Joachim Knetsch.
Der Chefarzt der Interdisziplinären Notaufnahme des Klinikums Bamberg schätzt, dass gut drei von zehn Patienten statt eine Notaufnahme einen Hausarzt oder eine Bereitschaftspraxis hätten aufsuchen sollen.
WLAN in Bad Kissingen
Unter der Prämisse eines nicht im selben Umfang wachsenden Personalstocks münden steigende Patientenzahlen fast zwangsläufig in steigenden Wartezeiten. "Und diese führen dann häufig zu Spannungen und auch Aggressionen gegenüber Ärzten und Pflegepersonal", sagt Markus Wörnle
von der Uniklinik der Münchner LMU.
Denn die Vorstellung, in einer Notaufnahme binnen nur weniger Minuten behandelt zu werden, kann sich im Fall nicht-lebensbedrohlicher Symptome und Verletzungen als zeitraubender Trugschluss erweisen. Mithilfe eines mehrstufigen Systems legt jedes Krankenhaus die Reihenfolge fest, in der sie die Patienten behandelt. Der entscheidende Parameter ist allein die medizinische Indikation. "Das bedeutet, dass ein Patient mit diffusen Rückenschmerzen unter Umständen einige Stunden warten muss", erklärt Schuh und identifiziert gerade in dieser Erfahrung eine Quelle für Frust und Aggression.
Dieses systemische Verhängnis hat das Nürnberger Klinikum mit der Beschäftigung eines Sicherheitsdienstes gekontert. Einen anderen Weg im Umgang mit der Gefahr aggressiver Patienten hat das St.-Elisabeth-Krankenhaus im unterfränkischen Bad Kissingen beschritten. Dort können Patienten der Notaufnahme seit März auf kostenloses WLAN zugreifen. Man wolle Patienten, die länger warten müssen, die Wartezeit "versüßen", erklärte die Leitung.