Leere Busse auf dem Land. Kleine Gemeinden, die nur noch durch großen finanziellen Aufwand an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Wo geht es hin mit dem ÖPNV? Eine Antwort ist vielleicht die "Fahrtwunschzentrale".
Computerbildschirme, immer zwei an einem Schreibtisch, Menschen mit Headsets - normale Büroräume. Einen Ort, an dem Wünsche in Erfüllung gehen, stellt man sich anders vor. Aber hier können die Bewohner Bayerns Busse bestellen, die sie zum normalen Tarifpreis in einem bestimmten Zeitfenster vom Dorf in die nächste Stadt oder zum Arzt in die Nachbargemeinde bringen. "Fahrtwunschzentrale" nennen sich die Büros in der Nürnberger Sandstraße.
"Am Tag haben wir rund 60 bis 100 Buchungen, für zur Zeit 40 Linien in ganz Bayern", sagt Gerhard Seifert. Der 46-Jährige ist Leiter der Fahrtwunschzentrale, die von der DB Regio Bus seit Dezember vergangenen Jahres betrieben wird. Sie soll in der Zukunft ein wichtiger Bestandteil der ÖPNV-Versorgung in den ländlichen Regionen sein.
Auf die Frage, ob es in 20 Jahren noch öffentlichen Personennahverkehr geben wird, antwortet Marita Nehring schnell und zuversichtlich: "Ja, aber er wird anders aussehen als heute. Er wird von Leuten genutzt werden, die freiwillig auf ihr Auto verzichten oder kein Auto fahren können."
Jede Testphase endet irgendwann Nehring ist die Nahverkehrsbeauftragte der Stadt Coburg und bastelt an dieser Zukunft mit. In der Region Coburg, die Nehring mit Frank Schäfer vom Landkreis betreut, gibt es mehrere Gebiete, die in Pilotprojekten durch Bedarfsverkehr versorgt werden.
Noch werden diese Projekte und 70 Prozent des Betriebskosten-Defizits vom Freistaat gefördert, 30 Prozent muss die Kommune übernehmen. Aber dauerhaft ist eine Förderung nicht möglich, irgendwann ist die Testphase vorbei. Schon jetzt zeigt sich, dass einige Bedarfs-Linien gut und andere schlecht laufen.
Die Strecke in den "Langen Bergen" zwischen Meeder und Bad Rodach im Landkreis Coburg wurde eher schlecht angenommen. "Mit mehr Werbung und Marketing haben wir Anfang August einen neuen Versuch gestartet", sagt Nehring. Für den Bamberger Landkreis starten zum 2. September neue Pilotprojekte für Strullendorf und der Rufbus Jura.
"Es ist wichtig zwischen ländlichen und urbanen Räumen zu unterscheiden. In vielen Städten arbeiten Busse und Schiene an der oberen Kapazitätsgrenze. Auf dem Land ist es eher andersherum", betont Schäfer. Das alte, schwerfällige System mit Bussen, die zu festen Stoßzeiten fahren, funktioniert nicht mehr, denn die Gesellschaft ist "individueller und dynamischer geworden", wie Nehring es nennt.
Deshalb gleicht der ÖPNV auf dem Land zur Zeit einem Labor, in dem veraltete und teilweise unwirtschaftliche Angebote zu dynamischen Konzepten umgewandelt werden sollen, um der Aufgabe der Daseinsvorsorge, in Zeiten des demografischen Wandels, weiterhin gerecht zu werden. Das vielversprechendste Experiment scheint der Bedarfsverkehr zu sein. "Der typische Kunde des ÖPNV auf dem Land ist die 70-jährige Oma ohne Führerschein", betont Nehring. Egal, ob Frau Müller aus Allersberg in der Oberpfalz oder Herr Meier aus Bad Rodach in Oberfranken, einen solchen Bus bestellen wollen, sie landen in Nürnberg und hören den Satz: "DB Regio Bus Bayern, Fahrtwunschzentrale."
Verdopplung in einem Jahr "Zur Zeit haben wir vier Vollbeschäftigte und für die Wochenenden sechs auf geringfügiger Basis", sagt der Leiter der Fahrtwunschzentrale Gerhard Seifert.
Aber das ist erst der Anfang: "In einem Jahr werden wir voraussichtlich die doppelte Anzahl an Linien betreuen. Einige Landkreise wollen, außer beim Schulbusverkehr, komplett auf Bedarfsverkehr wechseln", sagt Seifert. Genug Platz für mehr Mitarbeiter ist vorhanden - nicht alle Büros in Nürnberg sind besetzt. Neben dem von Gerhard Seifert sitzt seine Frau Susanne. Headset, zwei Bildschirme, Geduld und Verständnis - mehr braucht sie nicht um die Fahrtwünsche aus den bayerischen Landkreisen zu bearbeiten. Im Schnitt dauert ein Gespräch ein bis drei Minuten
"Wenn die Leute das erste Mal anrufen, dann sind sie skeptisch und fragen oft nach, ob der Bus wirklich kommt", erklärt Susanne Seifert, "aber je öfter sie einen bestellen, desto entspannter werden sie". Auch ihre Englisch-Kenntnisse muss sie manchmal einsetzten, wenn Touristen oder GI's anrufen. Aber die Regel sind ältere Menschen.
"95 Prozent der Buchungen kommen übers Telefon und genauso viele Leute haben eine Handynummer hinterlegt, auf denen wir Bestätigungen oder Änderungen mitteilen können", erläutert Gerhard Seifert. Die meisten Anrufe nehmen Jürgen Heinrich und Florian Schenk entgegen. "Die anfängliche Skepsis weicht bei den Anrufern, wenn wir ihnen unsere Erfahrungen mitteilen", sagt Heinrich und nimmt einen Anruf entgegen. Auch eine App zur Buchung ist laut Heinrich bereits in Planung - hört sich doch irgendwie nach Zukunft an.
Fahrtwunschzentrale Mehr als ein Callcenter
Nürnberg — In der Sandstraße arbeiten Gerhard Seifert und seine Mitarbeiter an der Zukunft des ÖPNV in den ländlichen Regionen Bayerns. Pilotprojekte oder etablierte Bedarfsverkehr-Linien gibt es in allen Regierungsbezirken. Schwerpunkte sind allerdings Oberfranken und die Oberpfalz.
Eine Buchung einer Bedarfs-Fahrt ist über das Telefon oder Internet möglich und sollte spätestens 60 Minuten vor dem im Fahrplan angegeben Bedienungszeitraum bestellt werden. Regelmäßig starten neue Linien in verschiedenen Regionen. Erreichbar ist die Zentrale täglich von 7.30 bis 18 Uhr, im Internet unter
www.fahrtwunschzentrale.de sowie telefonisch unter Telefon 0800/6065600.
Das sagen die Parteien in ihren WahlprogrammenSPD Die Sozialdemokraten setzen auf eine frühere Einbindung der Bürger bei Infrastrukturprojekten. Sie wollen die Lärmsanierungs-Mittel für die Schiene auf 200 Millionen Euro jährlich verdoppeln.
Für den öffentlichen Nahverkehr sollen Gemeinde- und Landstraßen saniert werden.
CDU/CSU Die Union will das Radwegenetz ausbauen und den Bahnverkehr stärken. Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein. Auch eine bessere technische Vernetzung von Tickets und Fahrplänen ist Ziel der Union.
Grüne Die Grünen setzen auf einen Mix aus Fuß- und Radverkehr, Bus und Bahn, Taxi und Car- bzw. Bike-Sharing in der Stadt. In den nächsten zehn Jahren wollen sie flächendeckend barrierefreie Zugänge bei Bussen und Bahnen erreichen. Schwerpunkt Fahrrad: Steigerung des Radverkehrsanteil bis 2020 auf über 20 Prozent.
Stärkung des Fahrrads in der Straßenverkehrsordnung und Fahrradmitnahme in allen Zügen, auch dem ICE,
Piraten Sprechen sich gegen die Privatisierung von Verkehrsinfrastrukturen aus. Die Piraten setzen sich dafür ein, dass die verschiedenen Modelle für Fahrscheinlosen ÖPNV in Pilotprojekten getestet werden und unterstützen die Entwicklung alternativer Mobilitätskonzepte.
Freie Wähler Die Freien Wähler wollen die Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand belassen und sind gegen eine Privatisierung in Bereichen wie der Wasserversorgung und dem öffentliche Nahverkehr. Sie lehnen eine PKW-Maut und ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen und eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften ab. Sie wollen auch das Straßen- und Schienennetz in öffentlicher Hand halten.
Auch die Berücksichtigung der Anforderungen an barrierefreie Mobilität bei allen Verkehrsprojekten soll bei den Freien Wählern eine Rolle spielen.
FDP Die Liberalen lehnen ein generelles Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen ab. Um für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, hat die FDP (laut ihrem Wahlprogramm) das Personenbeförderungsgesetz novelliert und an den europäischen Rechtsrahmen anpasst. Die Liberalen bekennen sich zu einer bedarfsgerechten öffentlichen Mitfinanzierung des ÖPNV in Deutschland. Als Leitbild fungiert bei der FDP dabei ein unternehmerischer und wettbewerblich ausgerichteter ÖPNV.
Die Partei will mittelständischen Unternehmen die Beteiligungschancen sichern und insbesondere eine Betreibervielfalt im Busgewerbe gewährleisten.
Die Linke Die Partei möchte den Nah- und Fernverkehr ausbauen und dabei tarifgebundene Arbeit in öffentlicher Trägerschaft schaffen, um der neuen Nachfrage nach ökologischen Formen der Mobilität zu entsprechen. Perspektivisch will die Linke einen fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr, der entgeltfrei und steuerfinanziert ist. Sie fordert eine flächendeckende Einführung von Sozialtarifen und einer Sozial-Bahncard für einkommensschwache Haushalte. Im ländlichen Raum will die Linke ein flexibles Angebot wie Bürgerbusse oder kostengünstige Anruf-Sammeltaxis. Den Ausbau eines konkurrierenden Busfernnetzes lehnt die Linke ab.
Ausführlich Alle Wahlprogramme, auch mit den ausführlichen Zielen zum ÖPNV, sind auf den Internetseiten der Parteien zu finden.