Amoklauf München: Als Angst und Terror plötzlich ganz nah waren

3 Min
Die Polizei hat nach einer Schießerei am Vortag den Zugang zur U-Bahnstation Olympia-Einkaufszentrum in München (Bayern) am 23.07.2016 abgesperrt. Die tödlichen Schüsse hat ein 18-jähriger Deutsch-Iraner abgegeben. Zehn Menschen starben, darunter der Täter. Der Schütze, ein 18-jähriger Deutsch-Iraner, habe mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine gehandelt und sich danach selbst erschossen, teilten die Ermittler am frühen Samstagmorgen mit. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Die Polizei hat nach einer Schießerei am Vortag den Zugang zur U-Bahnstation Olympia-Einkaufszentrum in München (Bayern) am 23.07.2016 abgesperrt. Die tödlichen Schüsse hat ein 18-jähriger Deutsch-Iraner abgegeben. Zehn Menschen starben, darunter der Täter. Der Schütze, ein 18-jähriger Deutsch-Iraner, habe mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine gehandelt und sich danach selbst erschossen, teilten die Ermittler am frühen Samstagmorgen mit. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Unsere Redakteurin Daniela Deeg wollte am Freitag einen alten Freund besuchen und war plötzlich mittendrin in der Amoknacht von München.

Es sollte ein entspannter Abend mit einem alten Freund in München werden. Um 18 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Frankfurter Ring. Schon in der S-Bahn lese ich die erste Pushmeldung: Schüsse im Olympia-Einkaufszentrum in München. Ich schreibe meinem Gastgeber. Ich habe seine Wohnung in der Nähe des Olympiaparks in Erinnerung. "Ja, etwa drei Kilometer entfernt", antwortet er.

Ich schreibe einem Kollegen, ob er mehr weiß. "Hoffe nix Großes!" Das ist auch mein Gedanke. Wird doch nicht schon wieder was sein - nach Nizza, Türkei und Würzburg? Sicher ein Fehlalarm.

Die Menschen am Hauptbahnhof sind alle ruhig. Keiner scheint beunruhigt. Ich bin es auch nicht. Ich setze mich in die U-Bahn. Kinder kaspern an der Haltestange, fragen ihre Oma, wann sie aussteigen müssen. Auf den Screens ist Donald Trump zu sehen. Er wird für die Republikaner antreten.
 


Freunde und Familie sorgen sich

Ich steige am Frankfurter Ring aus und gehe nach oben zum Ausgang. Ich lese auf der Anzeige "Bus zum Olympia Einkaufszentrum". Oben alles ruhig, keine Sirenen. Normales Leben.

Auf dem Weg zur Wohnung höre ich die ersten Sirenen. Es ist 18.45 Uhr. Es ist unerträglich schwül jetzt. Im Haus steht die Luft.

Wir begrüßen uns: Wie geht es dir? schöne Wohnung. Gehen wir zum Tollwood? Im Einkaufszentrum - das ist ja sicher nicht so schlimm - oder doch? Liveticker, Fernseher. Wir hören vom Amokalarm in München, möglicherweise Tote und Verletzte.

Eigentlich wollte mein Gastgeber Freitagnachmittag ja ins OEZ einen Lautsprecher kaufen, war aber dann zu müde und die Zeit zu knapp, hat er doch Besuch erwartet.

Familie, Freunde und Kollegen melden sich: "Geht es dir gut? Wo bist du? Bleib bitte in der Wohnung."

Ein Hubschrauber ist zu sehen. Er kreist über dem Olympiapark. Er bleibt immer wieder in der Luft stehen. Die Polizei ruft dazu auf, Zuhause zu bleiben. Die Rede ist jetzt von drei Tätern, sie seien auf der Flucht, bewaffnet. Meldungen über Schüsse am Tollwood und am Stachus. Es fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr.
 


So erlebten wir den Ausnahmezustand

Wir wollen noch was einkaufen. Es ist halb 8. Doch der Supermarkt direkt gegenüber hat wegen des Alarms bereits geschlossen. Die Polizei warnt eindringlich, öffentliche Plätze zu meiden. Das ist dann also dieser Ausnahmezustand.

Nun kreisen zwei Hubschrauber am Himmel. Immer wieder hört man Sirenen. Die Menschen auf der Straße werden weniger. Die Autos auch. Es regnet. Ob es viele Münchner erst jetzt mitbekommen haben? Könnten die Täter es bis hierher schaffen? Gespannte Blicke aus dem Fenster.

Wir hören die Musik vom Tollwood - Mark Forster. Wir beschließen, hinzulaufen. Wir wollen wissen, was draupßen los ist. Auf der Wiese vor dem Haus spielen Kinder auch wieder Fußball. Es regnet nur noch ein bisschen und die Straßen von Milbertshofen sind ruhig, trotzdem sind einige Menschen unterwegs. Keine Spur von Angst hier. Nur die Sirenen, die häufiger aufheulen, erinnern daran, was unweit wohl schreckliches geschieht.


Einsatzfahrzeuge rasen an uns vorbei


Wir sind am Ring. Nun können wir auch die Fahrzeuge zum Heulton sehen. Streifenwagen, gepanzerte Polizeifahrzeuge und ein Rettungswagen so groß wie ein Reisebus rasen vorbei in Richtung Olympia-Gelände, dann wieder in Richtung Innenstadt. Wir lesen: fünf Tote bestätigt. Sechs.

Mark Forster ist schon länger nicht mehr zu hören. Kleine Gruppen kommen uns entgegen. Ich sehe keine Angst, habe nur komisches Gefühl. Wir gehen weiter. Als wir am Turm ankommen, hören wir von der anderen Seite plötzlich ein Grollen. Schüsse? Darüber steht ein Hubschrauber am Himmel, der mit der dunklen Wolkendecke nicht dramatischer hätte aussehen können. Später werden wir uns fragen, ob sich der Amokläufer zu diesem Zeitpunkt selbst gerichtet hat.
 


Streit in der Kneipe

Im Olympiapark sind nur noch wenig Menschen. Drei Hubschrauber sind direkt über uns. Das Tollwood wurde gegen halb 9 geräumt, erzählt man uns da, wo normalerweise der Einlass ist.

Wir kehren also um, begleitet von Polizeihubschraubern, stets über uns. Wir wollen jetzt zurück nach Milbertshofen. Jetzt brauchen wir ein Bier und wollen mit anderen Menschen sprechen. Alle Kneipen sind geschlossen oder schließen gerade. Wir fragen uns durch - zur letzten Bastion, eine Kneipe, die noch offen hat. Auch hier die Bilder im Fernsehen, Experten sprechen. Wir sitzen draußen, denn es regnet nicht mehr. Innen gibt es Streit. Einer kann die TV-Bilder nicht mehr sein, der andere will - muss, wie er sagt, weil er seine Frau noch in einem Geschäft im OEZ wähnt. Er schlägt zu. Die Wirtin schreit. Im Fernsehen sprechen sie von acht Toten. Dann neun.

Am Tisch wird erzählt, dass die Lokale an der Hauptstraße Anrufe bekamen, sie sollen schließen. Und wilde Gerüchte gibt es auch: Die Freundin einer Freundin schreibt von einer Geiselnahme in Hasenbergl, ein Freund von einem Toten an der Isar. Schweigen.

Schließlich wird noch ein Toter in einer Nebenstraße des OEZ gefunden. Er hat sich selbst getötet und war wohl der Täter, der einzige Täter. Es ist vorbei. Die Kneipe schließt.